Text zu neworks (23./24. September 2017) von Alexandra Hennig und Johanna Withelm

 

 

Im zeitgenössischen Tanz verbringen wir einige Zeit damit, über sogenannte „Bewegungsqualität“ nachzudenken. Lina Gómez hat sich diesem Thema buchstäblich verschrieben. Wie auch ihren vergangenen Arbeiten „Staub“ 2016 oder „Träumerei des Verschwindens“ 2015 merkt man dem gemeinsam mit der Tänzerin Julek Kreutzer erarbeiteten Solo „Restraint“ in jedem Moment an, dass hier ein feinsinniges, präzises und konsequentes Nachspüren als Motor der Bewegung wirkt.

Dabei ist ihr Interesse für „Restraint“ auf die uns umgebenden Grenzen und Begrenzungen gerichtet, die es zu überwinden oder abzustecken gilt. Tritt die Tänzerin als einsame Kriegerin auf? Verlorene Vogel-Gestalt? Als Studentin 2017 in Berlin am Abend der Bundestagswahl, anlässlich derer erstmalig eine rechte Partei mit über 13% Stimmen in den Bundestag einzieht? Als Volksbühnenbesetzerin?

Julek Kreutzer betritt gemeinsam mit dem Drummer Michelangelo Contini die Bühne. Es geht sofort los. Der treibende Rhythmus des Schlagzeugs verstärkt noch den tänzerischen Kraft-Wirbel Kreutzers, den sie über die komplette Zeit des Stücks aufrechterhalten wird. Die Bewegungen sind harsch, kraftvoll und dabei gleichzeitig nicht etwa ausladend, sondern im ständigen Innehalten: Stop and Go. Kleine, zackige Bewegungen durchfahren die Tänzerin, sie reißt ihren Oberkörper hoch, runter, hoch, runter, ruckelt die Arme nach vorn und wieder zurück, vorn, wieder zurück. Taumel. Körperteile werden mit Wucht vom Zentrum weg geschleudert und sogleich wieder gebremst, als würden sie gegen eine unsichtbare Grenze prallen. Es scheint, als würde die Bewegung nicht ‚von innen‘ zurück gehalten, sondern unaufhörlich von einem ominösen Aufprall eingeholt.

Dieses Solo vibriert im Raum und geht fast in einen tranceartigen Zustand über. Julek Kreutzer wirkt wie außer sich, versunken in der monorhythmischen Bewegung – ein Zustand, der sich auch auf Zuschauende wie uns überträgt. „Restraint“ entwickelt einen Sog, in den frau reingezogen wird. Von dort aus können wir uns dem Kampf mit der Grenzüberwindung kaum noch entziehen. Besonders ist Lina Gómez' choreografischer Ansatz, einerseits einen emotionalen, stark physischen Zugang zum Tanz zu wählen und gleichzeitig präzise, konzeptuelle Entscheidungen zu treffen.

Einzig schade ist, dass das Stück nur 20 Minuten dauert. Auch weil das Format „neworks“ ja (im Gegensatz zu anderen Reihen wie NAH DRAN) gerade diese Chance bietet, ein abendfüllendes Stück zu choreografieren und zu präsentieren. Wie wäre es wohl, die Arbeit mit dieser Bewegungsqualität auf 50 oder 60 Minuten auszuweiten? Oder doch mit einem Bruch zu arbeiten und die Performerin die Grenze überwinden zu lassen? In jedem Fall ist „Restraint“ eine spannende Arbeit, die mit einem einzigen Schlag endet – so abrupt, wie sie begonnen hat. Auf eine Fortsetzung lässt sich hoffen…


OUTTAKE aka STUDIOSCHREIBERINNEN-Bekenntnis:

Wir verfolgen und begleiten die Arbeit von Lina Gómez, seit wir sie und ihr Stück „Träumerei des Verschwindens“ 2015 zu der Reihe „S.o.S. – Students on Stage“ eingeladen haben und schätzen ihre Arbeit sehr. Wir haben uns aus unserer Einigkeit über die Qualität der Arbeit heraus gegen ein dialogisches Schreibformat und für einen Text aus einem Guss entschieden.


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

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