Xenia Taniko - Künstler*in, Performer*in und Choreograf*in - ist Mitte Februar 2024 in Berlin gestorben.

Zwischen 2013 und 2022 hat Xenia in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen im ada Studio gearbeitet. 

Hier ist ein Nachruf.

Xenia Taniko - artist, performer and choreographer - died in Berlin in mid-February 2024.

Between 2013 and 2022, Xenia worked in different contexts at ada Studio. 

Here is an obituary.

 

Trickster / Für Xenia

 

Als ich Xenia zum letzten Mal sah, saßen wir im "Comcha" am Kottbuser Tor. Wir hatten überlegt: entweder Tee in den Uferstudios oder veganes Lunch in Kreuzberg. Xenia schlug das "Comcha" vor und sagte, wir müssten feiern. Vor knapp drei Monaten hatte Xenia das Solo "I'm A Lie That Tells The Truth" im ada Studio an zwei Abenden als offene Probe gezeigt. Weitere sechs Monate vor­her hatten wir es als Premiere geplant, aber Xenia konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Prozess, der die unterschied­lichsten Wahrnehmungsperspektiven in die künstlerische Praxis einbezog, plötz­lich abgebrochen werden und in ein Büh­nenstück transformieren sollte. Diese Art von Transformation konnte Xenia sich so­wieso für deren künstlerische Praxis nicht mehr vorstellen. Produkt statt Prozess - dorthin konnte Xenia nicht zurück. Wes­halb auch alle Möglichkeiten öffentlicher Förderung, die auf den Verkauf eines Bühnenstücks hinausliefen, für Xenia nicht mehr in Frage kamen. Ich glaube, dass die zweieinhalb Jahre der Pandemie und das damit einherge­hende verlangsamte Tempo des Arbeitens und Lebens, die öffentliche finan­zielle Unterstützung prozessbasierten Arbeitens, insgesamt des Sich-Zeit-Nehmen-Könnens in Xenia unermessliche Potenziale freigesetzt haben. In dieser Zeit haben wir zusammen wie in einem Rausch ein Sustainability Lab konzipiert. Dieses wurde im Frühjahr 2021 nach einem horizontalen Einla­dungsprozess mit 14 Tanzkünstler*innen Realität und widmete sich der Nachhaltigkeit (tanz-)künstlerischen Arbeitens und der grundsätzlichen Fra­ge, wie Leben und Arbeiten zusammen gedacht und praktiziert werden könnten. Das Lab hieß "This is not a project", und ich höre noch heute den Schalk in Xenias Stimme, als dey öffentlich erklärte - auch den Förderern -, dass es keine Dokumentation geben würde. Der Prozess sei die Dokumenta­tion. Das, was die Beteiligten darin lernen und weitergeben. Heute denke ich, das war das Nachhaltigste, was wir jemals im ada Studio gemacht ha­ben.

Wir saßen also im "Comcha", Xenia sagte, dey habe sich von den Anstrengun­gen von "I'm A Lie That Tells The Truth" noch immer nicht erholt, werde das nächste Projekt, zu dem dey eingeladen sei, absagen und sich ansonsten noch stärker der Audiodeskription widmen, einem von Xenias Lieblingsthe­men. Xenia war eine begnadete Audiodeskriptor*in und eine kompromisslose Kämpfer*in für Barrierefreiheit im zeitgenössischen Tanz. Xenias Audiode­skriptionen sind ikonisch, und wie lachte dey jedes Mal, wenn ich fragte, ob dey denn nie die Befürchtung habe, mit den Beschreibungen zu ausufernd zu sein und somit die nächste Sequenz zu verpassen. Ich glaube, die Gefahr, etwas zu verpassen, kam in Xenias Denken und Fühlen nicht vor. Xenia lebte im Fluss.

Doch zurück zu dem Tag im "Comcha". Wir waren inzwischen beim Dessert. Ich legte den Entwurf meines Antrages auf Basisförderung für das ada Studio zwischen unsere Bananen-in-Klebreis-Teller und fragte, ob ich dazu noch ein paar Fragen stellen könne, um sicher zu sein, die Künstler*innenperspektive richtig beschrieben zu haben. Xenia war in gewisser Weise ein Sensor für den Zustand und die Entwicklungsrichtungen der Berliner zeitgenössischen Tanzszene oder zumindest eines bestimmten Teils davon (eben der Künstler*innen, in deren Praxis das Prozesshafte prioritär ist). Ohne in meinen Entwurf zu schauen und ohne meine Fragen abzuwarten, sagte Xenia: "Die Berliner Tanzszene ist nach der Pandemie zerfleddert und muss wieder hergestellt werden. Das könnte eine Aufgabe des ada Studios sein." Ich wusste sofort, dass Xenia recht hat. Und dey fuhr fort, dass das ada Studio ein Statement setzen könnte mit der Aussage, ein Anti-Produktionsort zu sein. Und dass es sowieso einfach aufhören müsse zu behaupten, es sei ein Theater, wo es doch ein Studio sei. Ja. Ja. Und ja. Es war eine dieser Konversationen, in der ich wieder einmal dachte, wenn es die Position einer Weisen im zeitgenössischen Tanz gäbe, müsse sie mit Xenia besetzt werden.

Auf dem Weg nach Hause schickte mir Xenia noch eine Sprachnachricht: "Weißt du, es ist doch so, der Ort ada Studio ändert sich ja nicht, und gleichzeitig ändert er sich enorm. Die Frage ist, wie du das beschreibst."

In den letzten Wochen ertappte ich mich mehrere Male bei dem Versuch, zum Telefon zu greifen, um Xenia anzurufen und zu fragen, wie es geht, um Dinge zu besprechen, um kleine Zeichen weiter zu geben, dass wir mit dem Zusammensetzen der zerfledderten Tanzszene in winzigen Schritten voran kommen und um Xenias berühmtes, immer ein bisschen hingeworfen klingendes, aber sehr ernst gemeintes "Das freut mich." zu hören.

Xenia hinterlässt eine große Community und ich finde in jeder und jedem ein Stück von Xenia. Das ist tröstlich, und gleichzeitig fehlt mir Xenia auf eine nicht in Worte zu fassende Weise. Als Freund*in, als Mensch, als Forscher*in, als Gegenüber und als der Trickster, der Xenia so gern war.

 

(Gabi Beier, April 2024. Foto von Evan Loxton: Xenia in einer Kostümprobe zu "I'm A Lie That Tells The Truth", Oktober 2022)

 

 

Trickster / To Xenia

 

The last time I saw Xenia, we were sitting in the "Comcha" Restaurant at Kottbuser Tor. We had thought about it: either tea at Uferstudios or a ve­gan lunch in Kreuzberg. Xenia suggested the "Comcha" and said we had to celebrate. Almost three months ago, Xenia had performed the solo "I'm A Lie That Tells The Truth" at ada studio on two evenings as an open rehear­sal. Another six months earlier, we had planned it as a premiere, but Xenia could not imagine that this process, which incorporated diverse perspec­tives of perception into the artistic practice, would suddenly be cut and transformed into a piece. Xenia could no longer imagine this transforma­tion for their artistic practice anyway. A product instead of a process - Xe­nia could not go back to that. Which is why Xenia no longer considered any possibilities of public funding that would lead to the sale of a dance piece. I believe that the two and a half years of the pandemic and the resulting slowdown in the pace of work and life, the public financial support for pro­cess-based work and the ability to take time for ourselves have unleashed immeasurable potential in Xenia. During this time, we worked together in a frenzy to design a Sustainability Lab. This became a reality in spring 2021 after a horizontal invitation process with 14 dance artists and was dedica­ted to the sustainability of artistic work and the fundamental question of how life and work could be thought and practiced together. The lab was called "This is not a project", and I can still hear the mischief in Xenia's voice when they publicly explained - also to the sponsors - that there would be no documentation. The process is the documentation. What the participants learn and pass on. Today I think that was the most sustainable thing we've ever done at ada studio.

So we were sitting in the "Comcha", Xenia said that they had still not reco­vered from the exhaustion caused by "I'm A Lie That Tells The Truth", that they would cancel the next project to which they had been invited and that they would otherwise devote themselves even more to audio descrip­tion, one of Xenia's favorite topics. Xenia was an exceptionally gifted audio descriptor and an uncompromising fighter for accessibility in contemporary dance. Xenia's audio descriptions are iconic, and how they laughed every time I asked if they never worried about being too verbose with the des­criptions and missing the next sequence. I don't think the danger of missing something was part of Xenia's thinking and feeling. Xenia lived in a flow.

But back to the day at the "Comcha". In the meantime, we were eating dessert. I placed the draft of my application for basic funding for the ada Studio between our banana-wrapped-in-sticky-rice plates and asked if I could ask a few more questions to make sure I had described the artist's perspective correctly. In a way, Xenia was a sensor for the state and deve­lopment of the Berlin contemporary dance scene, or at least a certain part of it (the artists whose practice prioritizes the processual). Without looking at my draft and without waiting for my questions, Xenia said: "The Berlin dance scene is tattered after the pandemic and needs to be re­stored. That could be a task for ada studio." I knew immediately that Xenia was right. And they went on to say that ada Studio could make a statement by being an anti-production space. And that it simply had to stop claiming to be a theater anyway, when it was a studio. Yes. Yes. And yes. It was one of those conversations in which I once again thought that if there was a position of a sage in contemporary dance, it should be given to Xenia.

On the way home, Xenia sent me a voice message: "You know, the place ada Studio doesn't change, and at the same time it changes enormously. The question is how you describe it."

Over the last few weeks, I've found myself picking up the phone several times to call Xenia and ask how things are going, to discuss things, to pass on little signs that we're making tiny progress in putting together the tattered dance scene and to hear Xenia's famous, always a little bit thrown in, but very serious "I'm glad."

Xenia leaves behind a large community and I find a piece of Xenia in every­one. That's comforting, and at the same time I miss Xenia in a way that I can't put into words. As a friend, as a person, as a researcher, as a coun­terpart and as the trickster that Xenia loved to be.

 

(Gabi Beier, April 2024. Photo by Evan Loxton: Xenia in a dress rehearsal for "I'm A Lie That Tells The Truth", October 2022)


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

ada Studio für zeitgenössischen Tanz

in den Uferstudios/Studio 7

Uferstraße 23

13357 Berlin

T: +49 (0) 30-218 00 507

E: ada-berlin [AT] gmx.de

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