Text zu NAH DRAN 61 (21./22. Januar 2017) von Alexandra Hennig

 

 

 

Wenn wir schon nicht ausschließen können, uns miss zu verstehen, dann feiern wir das doch am besten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das ist nur ein Vorschlag unter vielen, der sich nach der Performance von Alexandra Vasilieva an diesem Wochenende im Januar 2017 im ada Studio aus der Erinnerung formen lässt. Da wird jetzt noch einiges dazu gedichtet.

Arrangiert hat sie die Bühne jedenfalls mit Katzenfotos an der hinteren Wand. Zwei Einhörner sind auch dabei. Habe ich „Feier“ gesagt? Ich meinte, Festlichkeit, festliche Stimmung, okay, das, was sich 2017 rüber retten lässt. Oder den Vorschlag, eine Frage zu stellen. Nehmen wir mal an: Wenn wir alle auf der gleichen Ebene von ‚bescheuert‘ wären, würden wir vielleicht weniger merken, wie bescheuert die anderen sind? Über diesen Satz aus „Forming Forms Formless“ hab‘ ich noch länger nachdenken müssen.

Wir erinnern uns: Am Tag zuvor ist Donald Trump ins Weiße Haus eingezogen. Wovon sprechen wir eigentlich? Alexandra Vasilieva betritt die Bühne mit zwei Plüschkatzen in den Armen. Die liegen majestätisch auf der Seite, das Köpfchen erhoben, und geben von Zeit zu Zeit ein weises: Miiiiiiiiaaauuuoo von sich. Die Performerin, die nach eigener Aussage weder Geburtstag hat, noch friert, tritt auf mit einer bunt blinkenden Clowns-Geburtstagskrone auf dem Kopf und schweren Schneeschuhen an den Füßen. Und einem Katzenvideo. Alexandra mit ihrer Katze im Wohnzimmer, die Katze vor drei Futternäpfen, die Katze auf dem schmalen Vorsprung zum Balkon. Anschließend werden Fusselrollen und Lametta verteilt. Das Publikum kann sich „schon mal schick machen“. Wovon reden wir? Party im Weißen Haus, Endzeitstimmung überall sonst, Lamettareste auf der Bühne im ada.

Die in St.Petersburg geborene und in Berlin aufgewachsene Künstlerin ist gegen die stringente Erzählung, gegen das Versprechen von Einvernehmen und stattdessen für eine kluge, humorvolle und assoziativ wirkende Aneinanderreihung von Missverständnissen angetreten. Das heißt: Schweren Schrittes. Schlürfende Schneeschuhe über den Bühnenboden.

Können Sie bitte meine Katze halten?“

Dieser Bitte ist nur folgerichtig, denn es soll auch noch getanzt werden. Dafür hat Vasilieva eine Schablone angelegt: es laufen You Tube Schnipsel vom russischen Pop, Wohnzimmertanzaufnahmen eines Mädchens und Musical-Interpretation von Pinks „Family Portrait“, die sie mehr oder weniger ehrgeizig nach zu tanzen versucht und mitunter nicht nur mich an genau diese Praxis des Nachtanzens im Wohnzimmer (damals noch ViVa) erinnert. Damit schafft sie eine schräge Form von Intimität und Komik, die von anerkennenden Miiiiiiiiaaauuuoos begleitet wird. Szenenapplaus.

Können wir einander noch verstehen?
Wir hören einen Dialog zweier Freundinnen, als Soundtrack zur verschlagenen, lässigen Choreografie. Eine der beiden hat ein Anliegen: ihre Freundschaft zu einer dritten Freundin sei inhaltsleer geworden, die Gesprächsthemen ausgegangen; es bleibt nur noch, sich über die Dummheit anderer Leute auszutauschen. Darüber möchte sie sich beschweren. Aber sie kommt nicht dazu. Durch Suggestivfragen und (absichtliche) Missverständnisse verzetteln sie sich in Annahmen, Erklärungen und Abschweifungen.

I am concerned about the fact people are getting more and more stupid”

Derweil hüpft Alexandra Vasilieva durch den Raum. Arme erhoben. Versteckt sich halb hinterm Vorhang. Aus dem tritt sie hervor, erhebt die Stimme und schleudert voll Pathos ein Brecht-Zitat hinaus, das ich passenderweise nicht ganz verstanden habe. Irgendwas von ‚einfachen Worten‘ und ‚zugrunde gehen‘. Brechtigte Bitte ans Publikum:

Kann jemand die Katze sprechen lassen? Oder das Einhorn?“


Mit diesem unmissverständlichen Tiefgang geht es weiter zum zweiten Stück des Abends:
Eine halbe Treppe tiefer“. Und es geht für mich tatsächlich ein Stück bergab, wird ganz ernst und schummrig. Zu einer Soundcollage, die sich mit Percussion Beat, Panflöten und Urwaldgeräuschen schmückt, vertanzen die Performerinnen Yara Li Mennel und Lilly Pöhlmann poetische Ausbrüche der Dichterin Marianne Tuckmann, die diese teils improvisiert, teils aus ihrem Gedicht „The Inn“ vorträgt. Zum Einsatz kommen neben dick aufgetragenen Worten – auf einer Lichtung seltsam anmutende Erotik – noch die Irrlichter von Glühbirnen und Taschenlampen, die die „Instant Composition“ in Schattenspiele tauchen und für die notwendige Dramatik sorgen, die keinen Zweifel daran lassen soll, dass es hier um Kunst geht. Dazwischen Grillenzirpen. Die Partnerinnen-Choreografie (Regie: Martina Gambardella) ist in ihrer Schlichtheit und Präzision ausdefiniert und schön anzusehen. Die Dichterin mit der schönen Sprecherinnenstimme verfolgt die zwei Tänzerinnen selbst tänzerisch gekonnt. Inmitten der seufzenden Bildsprache tritt die Bewegung jedoch in den Hintergrund. Die Szenerie, die hier akustisch aufgebahrt wird, verdichtet sich zu einem allzu engagierten Versuch, Bedeutung zu kreieren.
Die Worte – so schön sie auch gesprochen sind – lösen bei mir unweigerlich ein ähnliches Gefühl aus wie beim Anblick von Puttenhaufen auf barocken Gemälden und das ist es wohl, was Poesie eben auch kann. Triefen.

Feel me so.
Jesus,
Plaque me
Six months a year“


Einmal abgetaucht, bin ich zuletzt völlig ratlos. Shiori Tada hat mit „Into the Cave” eine echte Zumutung geschaffen. Inspiriert ist diese Arbeit von Harold Printers Einakter: „Der Liebhaber“. Ein Stück, das 1963 uraufgeführt wurde und dessen Inhalt sich auf das Eheleben (Mann und Frau, logisch) zweier Leute konzentriert, die sich ihr eingeschlafenes Begehren über ein Rollenspiel zurück erobern. Der Mann spielt einmal die Woche den Liebhaber seiner Frau – betrügt sich quasi mit sich selbst. Vielleicht keine so schlechte Idee, obwohl auch hier die Sprengkraft dieses Stoffes wohl über 50 Jahre zurück liegt. Die tänzerische Interpretation Shiori Tadas im Jetzt hat mich im besten Falle in Ratlosigkeit versetzt.

Vor den Klischees weiblicher Sexualität aber steht ein eindrucksvolles Bild im Raum. Ein Hula Hoop-Reifen ist an der Decke aufgehangen. An ihm ist ein langes, samtiges, pinkes Tuch befestigt, ein Schleier, unter dem sich eine Gestalt verbirgt und sich räkelt. Die Tänzerin schält sich heraus wie ein Insekt, kauert auf dem Boden – ihr Kopf zunächst noch mit dem Saum bedeckt. Schließlich sitzt sie, von ihrer Haube bereit, breitbeinig auf ihren Fersen hockend. Ihr Blick apathisch und irre suchend in alle Richtungen gedreht. Was war das noch für eine Geschichte? Ahja, eine Frau mit sexueller Lust. Bekleidet in bunten Shorts und knappem Oberteil, die sich immer wieder mit verdrehtem Kopf und gespreizten Beinen über die Bühne bewegt, auf allen Vieren hockend, hechelnd, creepy und objektiviert. Die Musikkollage von Andres Bucci und Shiori Tada, ein Sammelsurium aus Versatzstücken von Streichkonzert bis Hundebellen, passt zur grotesken Erotik, die sich ganz schwer einordnen lässt. So tritt Shiori Tada ganz an den Rand des Zuschauerraumes, streckt ihre Arme aus und präsentiert uns ihre Anmut, im gleichen Moment hockt sie devot auf dem Boden, provoziert die Blicke jedoch immer wieder mit fordernden Gesten und seltenen, aber intensiven Blicken direkt ans Publikum. Im besten Fall sehen wir hier keine klassische Hausfrauen/Hausmännerphantasie, sondern eine empowernde feministische Zurschaustellung der eigenen sexuellen Kraft. Immerhin schreitet sie langsam immer wieder wachen Blickes die Reihen ab. Dennoch komme ich immer wieder mit meinen eigenen Blickachsen ins Straucheln und versuche stattdessen, Tadas tänzerische Virtuosität als solches zu betrachten. Ich kann nicht sagen, wer hier („Into the Cave“) in welchem Käfig steckt. Zuletzt kehrt dieser Abend wohl zu den Missverständnissen zurück. Jetzt würde ich gern nochmal das Einhorn befragen.


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

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