Text zu S.o.S. - Students on Stage (16./17. Mai 2015) von Thomas Schaupp
„S.o.S. – Students on Stage” ist ein seit 2008 jährlich stattfindendes Format, das sich zur Aufgabe macht, studentische Arbeiten über ausbildungsinterne Veranstaltungen hinaus einem breiteren
Publikum zugänglich zu machen. Für die ChoreographInnen und TänzerInnen in Ausbildung ist es eine erste Möglichkeit, sich noch während, aber eben erstmals auch außerhalb des schützenden Rahmens
der Ausbildungsstätte, etwa dem Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz in den Uferstudios (HZT) oder den zahlreichen privaten Tanzschulen und -akademien in Berlin, zu präsentieren. In dieser
nunmehr achten Ausgabe von „S.o.S. – Students on Stage“ waren nicht nur TänzerInnen und ChoreographInnen, sondern auch StudentInnen des theoriebasierten Masterstudiengangs Tanzwissenschaft am
Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin (FU) eingeladen. Doch nicht nur das: Unter der Leitung von Junior-Professorin Susanne Foellmer und Gabi Beier, der Leiterin des ada
Studios, waren die TanzwissenschaftsstudentInnen darüber hinaus sogar dazu aufgerufen, die diesjährige Veranstaltung selbstständig zu kuratieren.
Ausgangspunkt für diese neue Form der Zusammenarbeit war ein Projektkolloquium im Rahmen des tanzwissenschaftlichen Studiums. Während dieses Kolloquiums erarbeiteten die StudentInnen gemeinsam
mit der Leiterin des Kolloquiums Susanne Foellmer aus einer wissenschaftlichen (teils auch künstlerischen) Praxis heraus verschiedene Projekte. Gemäß der Studienordnung müssen die StudentInnen im
Rahmen dieser Übung eigenständig Ideen entwickeln und umsetzen, eine gemeinsame Präsentation der Ergebnisse erarbeiten und diese auf wissenschaftlicher Ebene reflektieren. Für gewöhnlich findet
dies immer in einem mehr oder weniger öffentlichen Rahmen statt. Selten aber reichte dieser über das Institut hinaus. Erst zum zweiten Mal wurde ein Format gefunden, das die Ergebnisse nicht nur
für sich stehen ließ – eine erste Begegnung außerhalb des wissenschaftlichen Rahmens fand 2013 im Rahmen des BA-Festivals des HZT statt. Erstmals aber wurden die Arbeiten Ausgangspunkt und
zentraler Bestandteil eines von studentischer Seite organisierten größeren Ganzen: Drei Studentinnen, Cilgia Carla Gadola, Alexandra Hennig und Johanna Withelm, alle drei Teilnehmerinnen des
Projektkolloquiums, entwickelten die Idee, „S.o.S. – Students on stage“ zu einem kleinen Festival zu verwandeln, welches eben nicht nur die eigenen Arbeiten aus-, sondern sie neben verschiedenste
choreographische Arbeiten von ChoreographInnen und TänzerInnen aus anderen Ausbildungsorten des Tanzes stellte.
Ganz gemäß dem selbsterwählten, wenngleich vielleicht auch etwas zu ambitionierten Gedanken der „Vernetzung, Begegnung und Aushandlung verschiedener Tanz- und Wissenshorizonte“, dazu später mehr,
trafen so StudentInnen der einzelnen Institutionen, also der FU, des HZT, sowie der drei Tanzausbildungsschulen „DANCEWORKS berlin“, „Die Etage – Schule für die Darstellenden und Bildenden
Künste“ und „Tanzakademie balance 1“ in einem gemeinsamen Rahmen aufeinander. Eigentlich fast unglaublich für eine Stadt wie Berlin, die nach wie vor als DIE Weltmetropole des Tanzes verstanden
wird und einen vielfältigen Pool an Festivals für den Tanz aufzuweisen hat. Aber klar, als salonfähig gilt in den renommierteren bzw. bekannteren Festivals in aller Regel nur der-/diejenige,
der/die seine/ihre Ausbildung bereits durchlaufen hat – das ist im übrigen für StudentInnen der Tanzwissenschaft und deren Begegnungsorte, etwa Konferenzen, Symposien und Tagungen, keineswegs
anders. Dabei wird schon seit Jahren die Praxisferne verschiedenster Ausbildungs- und Studiengänge kritisiert und doch nach wie vor zu wenig auf die jeweiligen Herausforderungen des Berufsalltags
vorbereitet. Insofern ist das Format „S.o.S. – Students on Stage“ an sich, insbesondere die diesjährige Initiative der beiden LeiterInnen des Projekts, vor allem aber auch die der drei
KuratorInnen Gadola, Hennig und Withelm ganz wunderbar und nur zu begrüßen. Sie sollte in der Zukunft nicht nur eine Fortsetzung, sondern vielmehr auch ihre Nachahmer finden.
Entstanden ist ein randgefüllter und facettenreicher Abend, ein Nebeneinander verschiedenster künstlerischer und theoriebasierten Arbeiten. Der Begriff des Nebeneinander ist für mich allerdings
tatsächlich auch treffender als der der „Vernetzung”, „Begegnung” oder eben „Aushandlung” (was auch immer das meinen soll?!), und das zeigte sich allein schon mit den Programmheften: Es gab derer
zwei, eines für den Tanz und eines für die Präsentation der Ergebnisse des Projektkolloquiums. Mit dem Titel „forschen. finden. verdichten.” hatte letzteres auch noch eine eigenständige Rahmung
und markierte damit nicht nur eine unangepasste, sondern vielleicht auch unpassende Selbstständigkeit. Andererseits, dieser Teil des Abends war für die StudentInnen der Tanzwissenschaft letztlich
auch eine universitäre Pflichterfüllung, die mit Leistungspunkten abgegolten wird. Und das bringt sicherlich auch gewisse Auflagen mit sich. Die Präsentation dieser Forschungsergebnisse fand
jedenfalls im Rahmen einer von 16 Uhr bis 20.30 Uhr geöffneten Ausstellung statt, während das Tanzprogramm im Anschluss zur klassischen ada-Programmzeit um 20.30 Uhr begann. Formate der
Begegnung, Vernetzung oder Aushandlung, wie zum Beispiel klassische Gesprächsrunden oder ähnliches, gab es nicht – zumindest nicht innerhalb des öffentlichen Programms. Insofern muss man diese
Idee wohl eher als eine Aufforderung zur Selbstinitiative verstehen – einem Kennenlernen und Zusammenkommen in Pausenlücken bzw. während der Ausstellung –, oder aber auch als eine Art Reflexion
des sicherlich nicht immer einfachen kuratorischen Prozesses, der den beiden Abenden voranging. Wie auch immer, das kuratorische Arbeiten wurde konsequenterweise auch ausgestellt, und zwar von
den drei Kuratorinnen selbst in einer circa dreißig Minuten währenden Audioinstallation (mit dem Titel „Kuratorische Praxis in Bewegung hörbar”), wohlgemerkt auf den Toiletten der Uferstudios. Da
man sich an diesem Ort in der Regel nur so kurz wie möglich aufhält, trat diese Arbeit auch etwas in den Hintergrund – eigentlich für sich auch schon ein interessanter und zum Nachdenken
anregender Kommentar über die kuratorische Praxis und ihre Schwierig- und Widrigkeiten, die sie trotz ihrer seit Jahren regen Präsens in künstlerischen und theoretischen Diskursen nach wie vor in
sich birgt.
Die Audioinstallation war aber nur eines der vielen Projekte, die im Rahmen von „forschen. finden. verdichten.” präsentiert wurden: „Please do not dance” von Frieda Fielers setzte sich mit der
Frage auseinander, warum der Tanz in einigen Ländern auch eine Regelwidrigkeit oder gar Straftat sein kann und verglich dazu aktuelle Tanzverbote in Japan, im Iran und in Deutschland. Darüber
hinaus forderte Frieda Fielers mit Hilfe eines Audioguides aber auch zu einer partizipativen Auseinandersetzung mit diesem Thema auf und schaffte Verbots- und Freiräume für das Tanzen innerhalb
der Ausstellung. Victoria Tsypkina stellte in ihrer zwanzigminütigen Lecture-Performance die Frage, „warum Ballett noch keine olympische Disziplin” sei und machte mit einfachen und durchaus
überzeugenden Mitteln deutlich, wie die Grenzen zwischen Tanz, Sport und Kunst ineinander verschmelzen. Sie wanderte in einer charmanten Leichtigkeit einfach über sie hinweg, auch indem sie immer
wieder in neue Kostüme schlüpfte. Maria Hirnich interessierte sich in ihrem Vorhaben für „Tänzerisches Übersetzen von Literatur” und traf damit auch einen Nerv der Zeit, denkt man nur an das
aktuell laufende Projekt „STEP-TEXT”, gemeinsam initiiert vom Zentrum für Bewegungsforschung an der FU und dem Literarischen Colloquium Berlin, unter der Leitung von Sigrid Gareis und Prof.
Gabriele Brandstetter. Maria Hirnich erprobte die Übersetzbarkeit von Literatur in Tanz anhand Frank Wedekinds Stück „LULU” gemeinsam mit Schülern eines Gymnasiums und stellte erste Ergebnisse
mit Film- und Schriftmaterial dokumentarisch aus. Anna Teresa Schild kombinierte wissenschaftlichen und künsterischen Ansatz miteinander, um ihre Ergebnisse über das „Zittern, Zappeln, Zucken:
Der südapulische Tarantismus im zeitgenössischen (Video)Tanz” zu zeigen. Neben einer mit Video- und Schriftmaterial aufbereiteten Dokumentation zeigte sie zusammen mit Sayumi Yoshida eine kleine
Performance, die ich persönlich leider verpasste, da sie zweimal innerhalb der ersten beiden Stunden der Ausstellung gezeigt wurde. Das war schade – man hätte erwarten können, dass die meisten
BesucherInnen erst in der letzten Stunde vor Beginn des abendlichen Tanzprogramms erscheinen würden, zumal es das detaillierte Programm mit den einzelnen Terminen der (Lecture-)Performances nur
vor Ort gab und nicht vorher online gestellt wurde. Valentin Schmehl und Alexandra Hennig erschufen mit „Tell me why: Tableaux Vivants? Spiel zwischen Stillstand und Bewegung” für die
BesucherInnen einen regelrechten Parcours zwischen wissenschaftlicher, künstlerischer und spielerischer Annäherung. Ein ambitioniertes, aber auch sehr gelungenes Projekt, das nicht nur nach der
Lust am Tableaux Vivants suchte, sondern auch bereitete. Einen ganz anderen Weg schlug Daria Pigulevska ein: Sie drehte einen Tanzfilm mit dem Titel „Fallende Blätter – Tanzende Körper” und
versuchte gemeinsam mit der Luftakrobatin Gabriela Schwab, die, wie sie schrieb, „schönen Formen und Bewegungen, die beim Blätterfall enstehen”, zu inszenieren. Das Video war in jedem Fall so
etwas wie ein Gegenpol zu all den eher theoretischen Beiträgen. So auch die kurzen tänzerischen Interventionen von Ece Cinar mit dem Titel „Alice Heiner”.
Die Diversität von „forschen. finden. verdichten.” fand im abendlichen Tanzprogramm ihre ebenbürtige Fortsetzung: Mit „Remis” von Maria Krabek Thomsen (DANCEWORKS), „Zwischenstand” von Octavia
Iveta Barvulsky (falance 1), „Walfeyja” von Sophia Klatt-D'Zouza (DANCEWORKS), „Devaneios sobre o desaparecimento (Träumerei des Verschwindens)” von Lina Gómez (HZT) und „aufeinWort...los!” von
Zoe Bohsung, Rebecca Dirler, Leni Kulke und Melanie Widmann (Etage), wurden fünf Arbeiten eingeladen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Es ist kaum überraschend, dass die bei weitem
spannendste Arbeit von Lina Gómez aus dem Hause HZT stammte. Alle anderen Arbeiten machten deutlich, dass es in den meisten Tanzschulen weniger um die Entwicklung einer eigenständigen
künstlerisch-innovativen Sprache geht, als vielmehr um das grundlegende Erlernen von Bewegung, Ausdruck und Komposition. Tanzschulen und -akademien sind in der Regel auch sehr viel offener für
Tanzbegeisterte und besitzen bei weitem nicht die gleichen Auswahlkriterien wie ein Studiengang am HZT. Insofern fiel „Devaneios sobre o desaparecimento” im Grunde auch sehr aus dem Rahmen. Dass
das aber auf diese radikale Art und Weise einfach auch mal ausgestellt wurde, finde ich spannend und es regte mich tatsächlich auch zum Nachdenken über eigene Sehgewohnheiten und damit
einhergehende Vor(ver)urteil(ung)en an. Der sicherlich krönende Abschluss des gesamten Abends war die Lecture-Performance „Kranich dir eine Frage stellen?” von hannsjana aka Laura Besch, Alice
Escher, Jule Gorke, Lotte Schüßler, Katharina Siemann und Marie Weich, StudentInnen der Theater- und Tanzwissenschaft sowie PerformerInnen – eine wunderbar gelungene Persiflage auf, über und an
uns alle, die sich mit der Frage auseinandersetzte, „ob der Kranich das Potenzial hat, sich zu einem feministischen Rolemodel zu entwickeln”. In einer witzigen und köstlich ironischen Art und
Weise nahmen sie nebenbei auch noch so manch komische Gepflogenheit im wissenschaftlichen Betrieb auseinander und waren damit irgendwie auch wunderbar passend Teil dieses Abends – ein schöner
Kniff am Ende.