Text zu „reinkommen“ (1. Dezember 2023) von Adèle Aïssi-Guyon, die für die Studioschreiberin Maia Joseph eingesprungen ist.

 

Als ich das Studio betrete, ist der Raum in zwei Hälften geteilt: zwei Seiten des Raumes für das Publikum und zwei weitere als Bühne. Die übliche Konfrontation zwischen den Zuschauer*innen und den Performer*innen wird reproduziert, aber in einer mehr umgebenden, intimeren Form. Die beiden Performer*innen stehen, die Augen geschlossen. An den beiden Seiten ihrer Bühne lehnen einige Gemälde und Zeichnungen an der Wand oder liegen auf dem Boden. In der Ecke sind zwei Telefone auf uns gerichtet: eines mit der Kamera auf uns gerichtet, wie ein kleiner Spiegel, das andere zeigt ein Video von Wasser. Ich höre auch das Geräusch des Wassers, das zu meinem Gefühl der Intimität beiträgt.

 

Im Programmheft des Abends lese ich, dass sich das Stück auf die Zusammenarbeit konzentriert, mit der Metapher, dass diese biologischen Prozessen ähnlich ist. Dieses Bild bleibt bei mir, während sich das Stück entwickelt, und meine Aufmerksamkeit richtet sich auf die Umgebung und darauf, wie Tanz und Bewegungen aus ihr heraus entstehen.

Während der gesamten Aufführung zeigen die Performer*innen verschiedene Arten der Kommunikation, des Zusammenseins, des Miteinanders, des Teilens eines Raumes.

 

Als erstes erinnere ich mich, während sie nebeneinander tanzen, Formen in Bewegung bilden, die Position ihrer Körper konstruieren, dekonstruieren und wieder rekonstruieren, daran, wie ich mich manchmal fühle, wenn ich die Natur beobachte: Die Dinge mögen für mich nicht verständlich sein, die Elemente mögen chaotisch und beziehungslos erscheinen, aber ich weiß auch, dass alle Pflanzen, Tiere, Böden Teil eines Systems sind, ihr eigenes kooperatives Funktionieren haben. Ich spüre, dass die Körper der beiden Performer*innen eine geheime Sprache haben, ein gemeinsames Verständnis für die andere, das ich nicht begreifen kann und das doch spürbar ist. Sie sehen sich kaum an, aber ich spüre, dass sie mit dieser unsichtbaren Verbindung spielen, die sich aus der vorangegangenen Arbeit, der gemeinsam verbrachten Zeit und den Partituren, die sie miteinander gefunden haben, ergibt. Wenn sich ihre Blicke kreuzen, sehe ich Zärtlichkeit und Austausch. Sie teilen sich einen Raum, weder als Individuen noch als eine Einheit. Ihre Gesten und Bewegungen reagieren aufeinander.

 

Aber diese Verbindung ist auch eine der absoluten Spontaneität: Wenn eine Verschiebung stattfindet und die Performer*innen anfangen, sich gegenseitig zu berühren und zu packen, mit, auf, unter der anderen zu tanzen, sehe ich, wie «impulsiv» oder «primitiv» die Zusammenarbeit auch ist - sei es das Thema oder das Ziel einer Recherche, sie ist auch eine der ersten Möglichkeiten, sich auf das Anderssein zu beziehen. Während sie sich gegenseitig belasten, reiten, fallen, sich miteinander verknoten, kann ich sehen, wie unschuldig dieser unbeholfene Spielkampf ist. Das macht ihn zart und humorvoll zugleich.

 

Nach diesem ersten Moment kommen verschiedene Teile, die ich als ein Ritual sehe, das zweimal ausgeführt wird, mit Variationen; sie trinken zusammen, eine tanzt, während die andere sie zeichnet, und dann zieht sie sich aus und tanzt, während die andere einen Text liest. Die Reihenfolge kehrt sich um (nach dem ersten Glas Wasser tanzt die eine erst zur Zeichnung und dann zum Text, und nach dem zweiten Glas Wasser tanzt die andere erst zum Text und dann zur Zeichnung) und diese Teile enthalten Variationen.

Daher fühlt sich die Dramaturgie wirklich wie ein Austausch an: beide Performer*innen geben und empfangen etwas vom anderen, gleichzeitig oder nacheinander. Es ist ein sehr verletzlicher Prozess. Einen Tanz für eine Zeichnung anbieten, einen Text einem Körper anbieten und umgekehrt: Es geht nicht darum, wer gibt und wer empfängt, sondern um das Zusammenspiel und die Interaktion. Die Spuren der vorangegangenen Prozesse sind durch die Zeichnungen an der Wand präsent, von denen wir annehmen, dass es sich um Zeichnungen handelt, die sie im Laufe des Projekts geschaffen haben.

 

Indes scheint ihre Beziehung immer stärker zu werden.

Als sie das erste Mal trinken, gießen sie Wasser in das Glas der anderen und geben es sich gegenseitig, um nacheinander zu trinken. Beim zweiten Mal trinken sie gemeinsam, behalten das Wasser im Mund und drücken ihre Gesichter aneinander, bis sich das Wasser zwischen ihre geschlossenen Lippen ergießt.

Der erste vorgelesene Text ist ein Bericht über Chemotherapie und Krebs, und die Performer*in benutzt zwei Plastikstöcke als Requisiten, Hilfen, Waffen oder Verlängerungen ihres eigenen Körpers zum Tanzen. Der zweite Text ist ein Interview über Spiritualität, Natur und Kunst, und die Performer*in benutzt einen Stein als Objekt, um darauf zu antworten. Die Assoziation eines verarbeiteten Materials (Kunststoff) mit einem natürlichen Material (Stein) kann in dieser Vorstellung von Transformation, die durch die Zusammenarbeit entsteht, als bedeutsam angesehen werden.

 

Am Ende sind beide nackt und tanzen zusammen, interagieren mit den Objekten, schauen sich an. Ich sehe wieder diese Mischung aus Zärtlichkeit und Gewalt, aus Mit- und Gegeneinander, die wunderbar zum Vorschein kommt, als sie den Stein in einer unmöglichen Umarmung zwischen ihre Körper legen.

Vielleicht ist diese letzte Szene die ultimative Metapher für ihre Recherche, weil sie die ganze Komplexität und Verletzlichkeit von Prozessen der Zusammenarbeit, des Miteinanders und des Austauschs enthält.

 

 

As I enter the studio, the space is divided in two: two sides of the room for the audience and two others as the stage. The usual face to face between the spectators and the performers is reproduced, but in a more surrounding, intimate shape. The two dancers are standing, their eyes closed. On the two perpendicular sides of their stage, some paintings and drawings are leaning against the wall, on the floor. In the corner, two phones are facing us: one with the camera directed at us, like a tiny mirror, the other one showing a video of water. I also hear the sound of water, which participates in my feeling of intimacy.

 

In the evening program sheet, I read that the work is focusing on collaboration, with the metapher of it being similar to biological processes. This image stays with me as the piece unfolds and my attention is directed to this environment, and how dance and movements get born out of it.

Throughout the showing, the dancers show different ways of communicating, being together, being with each other, sharing a space.

 

First, as they dance next to each other, forming shapes in motion, constructing, deconstructing and reconstructing the position of their bodies, I remember how I feel sometimes when observing nature: things might not be understandable for me, elements might seem chaotic and unrelated, but I also know that all vegetation, animals, soils, are part of a system, have their own collaborative functioning. I sense that the two dancers’ bodies have a secret language, a common understanding of the other one, that I cannot grasp and that is yet tangible. They barely look at each other, but I feel that they are playing with this invisible connection made of the previous work, the time spent together, the scores they have found with each other. When their gazes cross, I see tenderness and exchange. They are sharing a space neither just as individuals nor as one entity. Their gestures and movements respond to each other.

 

But this connection is also the one of absolute spontaneity: when a shift happens, and the performers start touching and grabbing each other, dancing with, on, under the other one, I see how «impulsive» or «primitive» collaboration also is – be it the topic or aim of a research, it is also one of the first ways of relating to otherness. As they are putting weight, riding, falling, becoming a knot with each other, I can see how innocent this clumsy playfight is. This is what makes it tender and humoristic at the same time.

 

After this first moment come different parts that I see as a ritual executed twice, with variations; they drink together, one dances while the other draws her, and then takes off her clothes and dances while the other one reads a text. The order is inverted (after the first glass of water, the first one first dances to the drawing then to the text, and after the second glass of water, the second one dances to the text and then to the drawing) and these parts contain variations.

Therefore, the dramaturgy really feels like an exchange: both performers are giving and receiving something to and from the other, simultaneously or successively. It is a very vulnerable process. Offering a dance for a drawing, offering a text to a body, and vice versa: it is not about who gives and who receives, but about interplay and interaction. The traces of previous processes are present through the drawings on the wall, which we assume are the ones they have made earlier in their research.

 

Throughout this, their relationship seems to grow stronger and stronger.

The first time they drink, they pour the water into each other’s glass and give it to each other to drink one after the other. The second time, they drink together, keep the water in their mouth and stick their faces against each other until the water pours between their closed lips.

The first text is a testimony about chemotherapy and cancer, and the dancer uses two plastic sticks as props, help, weapon or prolungation of her own body to dance. The second text is an interview about spirituality, nature and art, and the dancer uses a stone as an object to respond to it. The association of a processed material (plastic) and a natural one (stone) can be seen as meaningful in this notion of transformation that collaboration creates.

 

In the end they are both naked, and dance together, interact with the objects, look at each other. I see again this mixture of tenderness and violence, of being with and against, which beautifully appears as they put the stone between their body in an impossible embrace.

 

Maybe this last scene is the ultimate metapher of their research, because it contains the whole complexity and vulnerability of processes of collaboration, togetherness, exchange.


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