Text zu „reinkommen“ (14. April 2023) von Adèle Aïssi-Guyonins Deutsche übersetzt von Auro Orso

 

 

Da ich die letzte offene Probe im Rahmen von „reinkommen“ nicht besuchen konnte, habe ich mir die Streaming-Version davon angesehen. In ihrer Arbeit „(k)not knowing“ erforschen Liisi Hint und Maria Ladopoulos die wörtliche und poetische Symbolik der Knoten.

Sie beginnen mit einem wörtlichen Ansatz, der sich dann in verschiedene Richtungen entwickelt. Die Performance beginnt mit beiden Performerinnen auf dem Boden, Maria macht Knoten an einem roten Faden, der an einer Tür am Rand des Raumes befestigt ist, Liisi arbeitet an einem großen Stück Häkelarbeit. Etwas später, als Liisi zum vorderen Teil des Raumes geht, um ihre Arbeit auf den Boden zu legen, entdecken wir, dass sie mit einem langen blauen Seil mit Knoten und Schlaufen verbunden sind. Es ist an Liisis Taille und Marias Knöchel befestigt. So können sie die Verbindungen zwischen ihren Körpern erforschen: Wenn sich eine von ihnen bewegt, zieht sich das Seil zusammen, bis die Bewegung der anderen gestoppt oder beeinträchtigt wird. Sie sind voneinander abhängig, eine Bewegung hat eine direkte und sehr physische Auswirkung auf den anderen Körper. Sie verändern die Position des Seils, lösen es oder schaffen neue Schlaufen, legen es umeinander, wie unsichtbare Kleider.

Sie erkunden verschiedene Entfernungen und Konstellationen, während sich die Form der Schnur immer wieder verändert. Es entsteht ein riesiger Knoten in ihrer Mitte, zu dem sie immer wieder zurückkehren. Es entsteht auch eine gewisse Machtdynamik, je nachdem, ob sie selbst mit dem Seil interagieren, indem sie damit spielen, darauf gehen oder es um sich herum drehen, oder ob sie es auf oder um den anderen herum legen. Auf diese Weise setzen sie sich zunächst konkret mit dem Material auseinander, was eine funktionelle Bewegungen erzeugt - sie werden beim Gehen durch die straffe Schnur gestoppt, müssen sich beugen und mit den Händen präzise arbeiten, um einen kleinen Knoten zu lösen, usw. Die Art und Weise, wie das Seil an der Taille des Jumpsuits befestigt ist, erinnert auch an eine Kletterausrüstung.

Aber mehr und mehr wird die Beziehung zu diesem Material auch spielerisch und symbolisch oder poetisch. Irgendwann zieht Liisi viele Lagen gestrickter Oberteile aus und legt sie auf einen Stapel, auf den sie zu Beginn das Stück Stoff gelegt hatte. Sie fangen auch an, mehr zu spielen, miteinander zu interagieren, in die von den Schlingen gebildeten Schlaufen einzudringen. Maria läuft auf der Schnur oder dreht sich auf dem Boden und rollt das Seil um sich herum. Dieses Spiel mit dem Material ist nicht von dem Spiel miteinander zu trennen: Mit der Schnur um sie herum schafft Maria in diesem Moment unweigerlich mehr Nähe zu Liisi. Diese Interaktionen wirken manchmal wie Einladungen, manchmal wie Provokationen, manchmal wie Initiativen und manchmal wie Verweigerungen.

Liisi bringt das rote Seil und formt es mit ihren Händen, und sie reichen es einander weiter, wobei sie die von der Schnur gebildete Figur verändern. Dies ist ein bekanntes Kinderspiel, und so wird die Schnur zu einem dritten Objekt, das sie spielerisch miteinander verbindet, bis sie fällt.

Im Laufe des Stücks erleben wir, wie die Schnur die Bewegungen einschränkt, wie die Bewegungen die Position des Seils beeinflussen, das zum Beispiel um den Körper gerollt werden kann, und wie im Gegenzug die Bewegung des Seils Bewegungen erzeugt oder verhindert. Die Verwendung des Seils ermöglicht eine Form der Materialisierung von Dynamiken sowohl auf individueller als auch auf zwischenmenschlicher Ebene: individuell, weil es die Möglichkeiten des Körpers beeinflusst, und persönlich, weil es eine Beziehung schafft, die von Ambiguität zwischen den beiden Tanzenden geprägt ist. Sie sind Partnerinnen, aber auch Rivaleninnen, sie sind voneinander abhängig, ergreifen aber möglicherweise auch die Macht oder unterwerfen sich im umgekehrt dem Tanz und dem Kontrollwillen der anderen Person.

Irgendwann taucht eine Stimme auf, die dem Publikum eine Art Mission erteilt: Sie bittet es, den Teppich zu entwirren, den Liisi zu Beginn des Stücks fertiggestellt hat, und so die stundenlange Arbeit innerhalb weniger Sekunden zu zerstören, und aus den gezogenen Fäden Wollknäuel herzustellen. Währenddessen spielen und kämpfen sie in der Mitte. Diese beiden Aktionen reagieren aufeinander und verweisen auf die zerstörerische und zweideutige Dimension des Themas „Knoten lösen“.

Nach diesem Moment versuchen die beiden Tanzenden, sich so weit wie möglich voneinander zu entfernen - aber der Raum ist zu klein, um das Seil straff zu spannen, es bleibt locker. Dann laufen beide gleichzeitig in die Mitte und versuchen, um die Knoten zu kämpfen, und das Seil wird zum Objekt der Begierde, zu einem Ziel, das es zu erreichen gilt. Dieser spielerische Kampf dauert so lange, bis sie sich hinsetzen und eine andere Stimme beginnt, eine estnische Fabel oder eine Parabel zu erzählen, mit der die Stimme beginnt, den Knoten des Themas zu „lösen“, indem sie viele Beispiele für Ausdrücke und Situationen anführt, die Knoten enthalten.

Auf diese Weise wird das Konzept der Forschung erklärt und die verschiedenen und mehrdeutigen Verständnisse des Themas entwickelt.

 

 

As I couldn’t attend the last open rehearsal in the frame of «reinkommen», I watched the streaming version of it. In their work «(k)not knowing», Liisi Hint and Maria Ladopoulos explore the literal and poetic symbolics of the knots.

They start with a literal approach that then develops into different directions. The performance opens with both performers on the floor, Maria making knots on a red thread that is attached to a a door at the edge of the space, Liisi working on a big piece of crochet. A bit later, as Liisi goes to the front of the space to place her work on the floor, and we discover that they are attached with a long blue rope with knots and loops on it. It is attached to Liisi’s waist and Maria’s ankle. This allows them to explore the interconnections of their bodies: when one moves, the twine tightens until the movement of one of the other gets stopped or affected. They are dependent to each other, one movement has a direct and very physical consequence on the other body. They change the position of the rope, untying it or creating new loops, putting it around each other, like invisible clothes.

They explore different distances and constellations while the shape of the string keeps changing. A huge knot starts to be created in the middle of them, to which they keep going back to. Some power dynamics also emerge, depending on whether they interact on their own with the rope, playing with it, walking on it or turning it around them, or if they place it on or around the other. In that way, they first engage with a concrete approach to the material, that generates functional movement – being stopped in the walk by the tight string, having to bend and work with precision in the hands in order to untie a small knot, etc. The way the rope is attached to the waist of the jumpsuit also reminds of climbing outfits.

But more and more, the relationship to this material becomes also playful and symbolic or poetic. At some point, Liisi takes off many layers of knitted tops, and then puts them on a pile where she had place the piece of cloth in the beginning. They also start playing around more, interacting with each other, getting inside the loops formed by the loops. Maria walks on the string, or turns on the floor, rolling the rope around her.

This play with the material cannot be separated from the play with each other: with the string around her, Maria inevitably creates more proximity with Liisi at this moment. These interactions sometimes seem like invitations, sometimes like provocations, sometimes like initiatives and sometimes like refusals.

Liisi brings the red rope, making a shape with her hands, and they pass it on to each other, changing the figure formed by the string. This is a famous children game, and this turns the twine into a third object connecting them through playfulness, until it falls.

Throughout the piece, we witness how the twine constricts the movements, how the movements influence the position of the rope, which can be rolled around one’s body, for example, and in return, how moving the rope creates and generates movements or prevents movement. Using the rope allows a form of materialization of dynamics both on an individual and interpersonal level: individual, because it influences the possibilities of the body, and personal, because it creates a relationship made of ambiguity between the two dancers. They are partners, but also rivals, they are codependant but also possibly taking power or, in the contrary, submitted to the other’s dance and will of control.

At some point, a voice-over appears, to give a sort of mission to the audience: it asks them to unravel the carpet that Liisi was finishing at the beginning of the piece, thus destroying hours of work within a few seconds, and to make balls of wool out of the pulled strings. Meanwhile, they play and fight in the middle. Those two actions are responding to each other, suggesting the destructive and ambiguous dimension of the topic of untying a knot.

After this moment, the two dancers try to get as far as possible from each other – but the room is too small for the rope to be tight, it stays loose. Then they both run at the same time to the middle, trying to fight over the knots, and the rope becomes an object of desire, a goal to reach. This play-fight lasts until they sit and another voice-over starts telling an Estonian story, that is a fable or parabol the voice uses as a starting point to «untie» the knot of the topic by giving many examples of expressions and situations that include knots. This explains the concept of the research and develops the diverse and ambiguous understandings of the topic.

The piece ends with a sequence that seems to contain all the complexity of the exploration. Maria goes to a corner of the room opposite to Liisi, until the rope is tight, and then comes back as if she was climbing up a mountain (but horizontally) dragging herself with her arms in order to get closer. Then, Liisi is on the floor and it is Maria who drags her from the rope attached to the waist. This duality of interdependence that creates both closeness and struggle is very visible at this moment. They are so tightly connected that they can barely move. Then, they engage in a double, opposite, movement: Maria starts untying a piece of cloth that Liisi was wearing, and the balls of wool that the audience had left in the front of the scene. At the same time, Liisi takes the other end of the string from the same piece of cloth and starts making a ball out of it.

They finish facing each other, Liisi making the ball while Maria keeps untying the piece of cloth, like in an endless movement of making and unmaking that concentrates the ambiguity of the symbolic that has been developed in the piece. 


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