Text zu „reinkommen“ (17. Februar 2023) von Adèle Aïssi-Guyonins Deutsche übersetzt von Auro Orso

 

 

Am 17. Februar besuchte ich im Rahmen von "reinkommen" eine offene Probe von "Los Malos Hábitos" von und mit Valeria Oviedo (Choreografie und Performance) und Eva Robayo (Performance), die in Zusammenarbeit mit Aloe (Musik), Paula Lancaster (Kostüm) und Alejandro Ramos (Fotografie) entstanden ist. Das Stück hat die Form einer

progressiven Enthüllung, eine Reise, auf der man sich selbst in Bezug auf das Thema der Weiblichkeit näher kommt.

 

Beim Betreten des Raumes hören wir Hintergrundmusik und sehen in der Mitte der Bühne eine in roten Stoff gekleidete Silhouette, mit verhülltem Gesicht. Es ist wie ein bewegtes Bild, ein lebendiges Gemälde, ikonisch, aber in Bewegung, hauptsächlich mit den Händen. Die Silhouette ist sehr hoch, als stünde sie auf einem Podest, und trägt eine Krone oder einen Heiligenschein, der an eine Königin oder an die Jungfrau Maria erinnert, ebenso wie die Gesamtform der langen Stoffe des Kostüms. Zugleich erinnern die Kombination von Rot und Schwarz und die Rüschen an den Ärmeln an traditionelle oder folkloristische Kostüme. Diese Figur erscheint mir als eine Art Matriarchin, eine heilige oder generische Figur. Die rote Farbe ist natürlich sehr symbolisch.

 

Ihre Hände und Arme bewegen sich mit Anmut, tanzen auf eine Art und Weise, die zwischen Abstraktion und repräsentativen Bewegungen liegt: Ich sehe Gesten, die Zärtlichkeit, Schutz oder Kampf andeuten.

Diese Ikone beginnt sich immer mehr zu bewegen, sie dreht sich, ihre Arme dehnen sich in mehrere Richtungen aus. Sie nimmt ihre Krone ab, ihr Rücken beugt sich, sie verlässt ihren Sockel und der Stoff rutscht von ihrem Kopf, um ihr Gesicht zu enthüllen. Diese heilige, abstrakte Figur wird menschlicher, individueller. Unter dem Stoff trägt sie ein anderes Kostüm in denselben Farben, mit Rüschen und Blumen. Nach einer Konfrontation mit der Krone legt sie diese auf den Boden.

 

In diesem Moment erscheint eine zweite Performerin hinter ihr. Mit ihren fleischfarbenen Kostümen, verziert mit einigen roten und schwarzen Elementen, bildet sie einen Kontrast zur ersten Performerin, während sie mit ihr in Beziehung steht: Verkörperte die erste Performerin eine heilige oder ikonische, vielleicht gottähnliche oder Autorität ausstrahlende Figur, so kann diese als eine andere mögliche Version der Weiblichkeit gesehen werden, die mehr in einem fleischlichen" oder "natürlichen" Zustand verwurzelt ist. Als sie ankommt, flüstert sie der ersten Performerin lächelnd etwas ins Ohr. Sie scheint sie zu einer Reise einzuladen, die sich als transformative Reise erweist.

 

Während sich die beiden Performenden gegenüberstehen, verändert sich die Musik und rhythmische Beats erklingen. Sie beginnen sich im Raum im Kreis zu bewegen, mit verschiedenen Bewegungen, die miteinander in Verbindung stehen: kreisförmig, die Hände bewegend, gehend, fallend. Die erste Performerin verliert nach und nach Elemente ihres Kostüms und trägt schließlich nur noch einen Rock und ein Oberteil mit Blumen auf der Brust. Nach und nach fangen sie an, ihren Körper rhythmisch zu berühren, und konzentrieren sich dabei auf bestimmte Körperteile wie die Hüften, das Becken, den Po und die Brust. Nach und nach werden die Bewegungen immer stakkatoartiger und rhythmischer, wodurch eine gemeinsame Energie entsteht, die immer stärker wird. Der Rock der ersten Performerin fällt, und einen kurzen Moment später gehen beide zu Boden und wälzen sich auf dem Boden. Die zweite Performerin nimmt das rote Tuch, das zu Beginn des Stücks das Gesicht der ersten verdeckte, und hält es vor sich, dann bedeckt sie ihre Partnerin damit. Was die erste Göttin bedeckte, bekommt nun eine neue Bedeutung, denn es verbirgt einen waagerechten Körper, der sich seiner Zwischenschichten entledigt hat. Die erste Performerin bewegt sich darunter und zieht es schließlich aus, und wir können sie ebenfalls in diesem hautfarbenen Kostüm erblicken. Diese letzte Szene suggeriert eine Art Wiedergeburt, als hätten die schrittweise Entschichtung und die zyklischen Rhythmen sie in einen "reineren" Zustand oder in eine natürlichere Dimension gebracht. Wie das Team später in der Fragerunde erläuterte, kann diese Verwandlung in Bezug auf das Frausein gesehen werden, aber auch als universeller Prozess der Selbstfindung. Dank der Bilder und Bewegungen tauchen in dem Stück viele unterschwellige Themen auf: Elternschaft, Sehnsucht, Ahnenschaft, Selbstliebe, Spiritualität, Beziehung zur Erde...

 

Mich würde interessieren, wie sich diese Arbeit entwickelt und ob es auch die Begriffe "Natürlichkeit", "Authentizität", "Instinkt", "Intuition" und eine Vision von Weiblichkeit, die im Moment vielleicht nur in biologischen Merkmalen verankert ist, in Frage stellen und komplexer gestalten kann (die Archetypen der Frau als sozial konstruierte Figur tauchen am Anfang auf, aber die allgemeine Transformation deutet auf die starke Präsenz einer "echten" oder "reinen" Weiblichkeit hin, die zugrunde liegt, was fragwürdig sein kann). In der Frage- und Antwortrunde im Anschluss an die Vorführung erwähnte das Team, dass sie mehr Zeit und Geld benötigen, um das Projekt weiterzuentwickeln, und wir können nur hoffen, dass sie die nötigen Mittel erhalten, um so zu arbeiten, dass die Selbstfürsorge, die ihnen am Herzen liegt, respektiert wird und sie diese Forschung fortsetzen können!

 

 

On February 17th, in the frame of «reinkommen», I went to see an open rehearsal of "Los Malos Hábitos", by and with Valeria Oviedo (choreography and performance) and Eva Robayo (performance), created in collaboration with Aloe (music), Paula Lancaster (costumes) and Alejandro Ramos (photography). The piece takes the shape of a progressive unlayering, a journey that brings closer to oneself, in relation to the topic of womanhood.

 

When we enter the space, we can hear background music and see a silhouette dressed all in red and fabric, her face covered, in the center of the stage. It is like a picture in motion, a living painting iconic but in movement, mostly with the hands. The silhouette is very high, like standing on a pedestal, and is wearing a crown or a halo that reminds of a queen or of the Virgin Mary, just like the overall shape of the long fabrics of the costume. At the same time, the combination of red and black and the frills on the sleaves remind of traditional or folkloric costumes. This figure appears for me as a form of matriarch, a holy or generic figure. The red color is of course very symbolic.

 

Her hands and arm move with grace, dancing in a way that is between abstraction and representative movements : I see gestures that suggest tenderness, protection or fighting.

This icon starts moving more and more, turning, her arms expanding in more directions. She takes her crown out, her back bends, she leaves her pedestal and the fabric slips from her head to uncover her face. This holy, abstract figure becomes more human, more particular. Under the fabric, she wears another costume in the same colors, with ruffles and flowers. After a face-to-face with the crown, she puts it on the floor.

 

At this moment, a second performer appears from behind her. With her flesh colored costumes, ornated with some red and black elements, she creates a counterpoint to the first performer, while relating to her: if the first one incarnated a holy or iconic, maybe god-like or authority-bearing figure, this one can be seen as another possible version of womanhood, more rooted into a «fleshy» or «natural» state. As she arrives, she whispers something in the ear of the first performer with a smile. She seems to invite her to what unfolds as a transformative journey.

 

Indeed, as the two performers face each other, the music shifts, and rhythmic beats start. They start moving in space in a circle, with different movements that relate to each other: ondulating, moving hands, walking, falling. The first performer progressively keeps losing elements of her costume, and is then dressed with a skirt and a top with flowers on her chest. Progressively they start touching their body in rhythm, focusing on certain bodyparts such as the hips, the pelvis, the buttocks, the chest. From ondulating, they start to have more staccato, rhythmic movements, creating a common energy that rises. The first performer’s skirt falls, and a little moment after they both also go to the ground, ondulating and crawling. The second performer takes the red scarf that was covering the face of the first one in the beginning of the piece and holds it in front of her, then covers her partner with it. What was covering the first goddess is now taking a new meaning, as it hides a horizontal body that has gotten rid of its layers inbetween. The first performer moves under it and finally takes it off, and we discover her also dressed in this skin toned costume. This last scene evokes a form of rebirth, as if the progressive unlayering and the cyclic rhythms had brought them to a «purer» state, or a more natural dimension. As the team explained later in the Q&A, this transformation can be seen in relation to womanhood, but also as a universal process of getting closer to oneself. Many subliminary topics arise through the piece, thanks to images and movements : parenthood, desire, ancestry, self-love, spirituality, relationship to the earth...

 

I would be interested to see how this work evolves, and if it can also question and complexify the concepts of «natural», «authenticity», «instinct», «intuition» and a vision of womanhood that is for now maybe anchored only in biological features (the archetypes of women as a socially constructed figure appear in the beginning, but the general transformation suggests the strong presence of a «real» or «pure» womanhood lying underneath, which can be arguable). In the Q&A following the showing, the team mentioned they would need more time and money to develop the project, and we can only hope that they will get the resources they need to work in a way that respects the self-care that is dear to them and enables them to continue this research!


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