Text zum A.PART Festival 2023 - Programm 2 (12. Mai 2023) von Alexandro Gonzalez, der für die Studioschreiberin Adèle Aïssi-Guyon eingesprungen ist, die selbst am Festival teilnimmt. Ins Deutsche übersetzt von Auro Orso

 

Am 12. Mai besuchte ich Programm #2 des A.PART Festivals. Das Programm des Abends bestand aus zwei und dann drei Aufführungen, unterbrochen von einer kleinen Pause. Die Tanzkünstler*innen, die an den Aufführungen beteiligt waren, sind aufstrebende Künstler*innen, die in den letzten Jahren in Berlin studiert oder ihren Abschluss gemacht haben.

 

Kristen Rulifson & Mei Bao: No Such Virtue ("Keine solche Tugend")

Ich betrete den Raum, die beiden Künstler*innen tanzen bereits. Die Eröffnung fühlt sich an wie eine Anime-Eröffnung. Eine Welt, die immer da ist, ein Raum, der nicht nur für mich geschaffen wurde, sondern ein Ort, an dem ich mich für kurze Zeit eingeladen fühle. Da ist etwas sehr Bewegendes, die Art und Weise, wie sie einander ansehen, während sie zärtlich den Körper des anderen streicheln. Ich kann mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Tiger und Katze: die T-Shirts, die sie tragen. Im Hintergrund erklingt sanfte Klaviermusik, leichte Sommerstimmung. Tiger und Katze rennen, springen, tanzen, kämpfen, schmusen, streicheln, spielen, singen und entwickeln auf viele andere Weisen Körperlichkeit. Aber für mich geht es nicht darum, was Tiger und Katze tun oder nicht tun, sondern um die Regeln, die sie im Raum etablieren. Der Raum ist klar aufgeteilt zwischen dem Publikum und dem Spielplatz, was mir soziale Verhaltensweisen und Barrieren im Gegensatz zu einvernehmlichen Spielräumen bewusster macht. Die Performenden singen laut zueinander, fast Lippen zu Lippen. Die Spannung der beiden Körper, die sich danach sehnen, sich zu küssen, während sie einen groben Kontakt haben, zeigt die Komplexität von Beziehungen und Begehren. Spucken. Lache und bringe das Publikum zum lachen. Sie bieten einander ihre Körper auf unterschiedliche Weise an, wie z.B. durch Manipulation des Körpers oder festes Anpacken am Nacken des anderen.

All diese nonverbalen, einvernehmlichen Handlungen führen zu einer lockeren, leichten, aber komplexen Beziehung zwischen Katze und Tiger. Diese Vertrauensübung wird zum Zentrum ihrer Arbeit und aus der Sicht des Publikums zu einem warmen und positiven Gefühl.

 

Libertad Esmeralda Locco, Katherine Rojas Contreras, Pimon Leckler: The afternoon of an infinite day ("Der Nachmittag eines unendlichen Tages")

Auf der Bühne sehe ich zwei blaue Arbeitsoveralls auf zwei Stühlen. Libertad und Katherine tauchen hinter den Stühlen auf und streicheln die Overalls als Teil ihres Körpers. Sie ziehen sich langsam diese zweite Haut an, die für den Rest der Performance ihr Käfig sein wird. Es ist still und ich kann die Vögel draußen durch das Fenster des Studios hören. Nach der Stille hören wir Maschinengeräusche im Hintergrund, während die zwei Performenden scharfe, sich wiederholende und mechanische Bewegungen ausführen, die ich mit Fließbandarbeiten assoziiere, aber nicht so sehr mit alltäglichen Bewegungen oder Handlungen. Künstliche Intelligenz oder Entfremdung von der Maschine. Wird sie zusammenbrechen? Was wird ihr danach passieren? Es wird dunkel und blau auf der Bühne. Nacht. Der Ozean. Die beiden Körper sind nicht mehr im vorherigen Zustand, sondern sie verstecken sich hinter den Stühlen und bewegen sich langsam. Verstecken sie sich vor etwas? Vielleicht sind sie nicht in der Lage, den Käfig zu verlassen. Ich habe das Gefühl, der Zusammenbruch ist da. Wie in einem surrealistischen Gemälde halten sie die Stühle auf dem Kopf und verbergen so geschickt ihre Gesichter vor dem Publikum. In einer Geste finden sie zum ersten Mal den Körper der anderen, was zu einer weicheren, menschlicheren Qualität führt. Nach dieser Szene tauchen die Bewegungen vom Anfang wieder auf, aber dieses Mal gelingt es einer der beiden Personen, ihnen zu entkommen.

Als ich die Performance sah, hinterfragte ich die Wahl, Fabrik- und Industrie-Bewegungen als Repräsentation des alltäglichen Körpers heranzuziehen. Denn meine momentane Erfahrung als in Berlin arbeitende Person ist mit einer anderen verkörperten Unterdrückung verbunden. Vielleicht könnte es für die Entwicklung des Stücks interessant sein, neue Aspekte von Routine und Wiederholung einzubeziehen. Ich frage mich auch, wie man über dieses Thema sprechen kann mit hochpräzisen, jungen und fähigen Körpern. Die Körper von Fabrikarbeitenden sind dagegen meist alt, verbraucht und beschädigt. Das Stück bietet jedenfalls eine klare, leicht zu verfolgende Erzählung mit kohärenter Struktur vom Anfang bis zum Ende.

 

Maia Joseph: The Other ("Die Andere")

Maia liegt auf der Bühne, das Licht blendet ein und projiziert den Schatten des sich bewegenden Körpers an die Studio-Rückwand. Die schwarz gekleidete Performerin bewegt sich mit hohem Muskeltonus und spielt mit der Grenze zwischen Spannung und Entspannung. Ich kann eine Geschichte in ihrem Gesicht lesen, einen Kampf, eine Stimme. Ich möchte ihr wirklich zuhören, aber sie kommt nicht. Stille. Maia präsentiert einen Körper, der bereit ist, gehört zu werden, und sie tut es durch den Blick, die Geste des Gesichts und die grimmige Haltung vor dem Publikum. Alle Informationen, die durch den Körper wandern, sammeln sich in der Kehle der Person und suggerieren einen Moment, in dem all diese Gedanken artikuliert werden. Auch in der Musik gibt es einen Bezug zur Kehle, denn wir hören elektronische Musik mit Elementen von Kehlkopfgesang.

Diese Sammlung von Informationen lässt mich nicht nur über all die Stimmen nachdenken, die nicht sprechen können, sondern auch über die Art und Weise, wie wir unterdrückten sozialen Gruppen zuhören. Wie ist unsere Aufmerksamkeit gegenüber bestimmten Körpern? Was ist unsere Veranlagung? Wie positionieren wir unseren Körper als Subjekt vor dem anderen? Maia schafft eine Erwartung, schafft den Moment, der der Artikulation, der Aussage vorausgeht. Die Stille. Die Äußerung wird nie kommen und ich fühle mich hilflos. Liegt es an meiner Wahrnehmung als weißer cis-Mann? Das einzig Hörbare ist ein lautes Ausatmen. Black out.

 

Jessica Ikonen & Nastasja Berezin: spectrum ("Spektrum")

„spectrum“ beginnt damit, dass die beiden Performeerinnen eine akrobatische Bewegungssequenz tanzen. Jessica und Nastasja zeigen präzise tänzerische Fähigkeiten und verkörpern zwei unterschiedliche Charaktere. Eine Person ist energiegeladener, lebendiger und schneller, während die andere in Erschöpfung verfällt. Synchronisierte Tanzbewegungen machen diese Unterschiede sichtbar und führen uns bis zu dem Punkt, an dem eine der beiden Figuren zusammenbricht. Während diese sich auf dem Boden wälzt, beginnt die andere Person zum Publikum zu sprechen. Die Ansprache ist erzählerisch, klar und beschreibt die Strategie eines Kaninchens, das von einer Wildkatze angegriffen wird. Nun begreife ich, dass das Stück auf der Idee basiert, wie wir mit Situationen umgehen, wie stark oder schwach wir uns anderen gegenüber präsentieren: unsere Überlebensstrategien. Ich habe einen Anruf abgelehnt, sagt Nastasja, um den Text zu beenden. Balance, Gleichgewicht. Eine Performerin trägt das Gewicht der anderen, vom Boden bis zum Stehen. Alles geschieht langsam. Sie verlassen die Form und gehen gemeinsam wieder auf den Boden. Sie kuscheln und spielen mit Gewichtsverlagerungen. Ich frage mich, wie diese Figuren miteinander balancieren, wie ist das Gleichgewicht in dem Paar? Die vorherige Aktion wiederholt sich, aber diesmal mit einer Abblende, die das Ende des Stücks markiert.

 

Cikacé Lestine, Marta Marja Ruszkowska, Hana Stojaković: Jean Djender & The Foolz ("Jean Djender & Die Narren")

Der Raum ist dunkel und die Tür öffnet sich, eine große Erwartung steht im Raum und eine Stimme spricht und präsentiert den jährlichen Ball des Königs Jean Djender de la Fluide von Sexony du Gendrefuque de Cooir, der erste seines Namens. Cikacé, Marta Marja und Hana Stojaković erscheinen auf der Bühne mit bunten pseudo-mittelalterlichen queeren Kostümen. Die erste Szene, in der sich verschiedene Posen abwechseln, zeigt ein Potpourri aus mittelalterlicher religiöser, königlicher und heidnischer Ikonographie. Eine humorvolle Annäherung an die Romantisierung der mittelalterlichen Höfe, Könige, Königinnen, Narren und Drachen. Ihre Bewegungen erinnern mich an die menschlichen Statuen, die man auf der Straße findet und die sich bewegen, wenn man ihnen eine Münze gibt. Das Wort Tableaux kommt mir in den Sinn, ebenso wie ein zweidimensionales Gefühl. Die Abfolge der Posen ist nicht lang, was ein Gefühl der Langeweile erzeugt, das ich besonders genossen habe. Ab und zu tauchen Witze auf, die sich manchmal auf unangenehme Art und Weise wiederholen. Es hat etwas sehr Dadaistisches, wie langweilig es sein kann. Es ist vielleicht nicht leicht, ein mittelalterlicher König zu sein, wenn man das alles mitmachen muss. Sie tanzen zu einem Musikstück von John Cage mit sich wiederholenden Bewegungen und langsam aus dem Takt kommend. Nichts ist übertrieben, aber es wirkt sehr absurd. Marta Marja und Hana Stojaković beginnen eine Revolution als die „Narren“ des Königs, eine Revolution, die in einer kleinen Narration endet, indem sie die Macht über den König ergreifen. 

Was mir persönlich an dem Stück gefallen hat, war die Absurdität, die Erschöpfung des Materials, bis es vorhersehbar wurde, um es später mit etwas anderem zu brechen. Auch, wie sie sich selbst präsentieren, ungeschickt, langweilig, lahm oder uninteressant.

 

Nachdem ich mir das gesamte A.PART-Festival angesehen habe, kann ich festhalten, dass im Laufe von zehn bemerkenswerten Aufführungen, die alle aus verschiedenen Tanzausbildungsprogrammen kamen, eine große Diversität an Arbeiten gezeigt wurde. Das Festival präsentierte eine interessante Collage aus Bewegung, die eine breite Palette von Themen, Stilen und Techniken umfasste. Von kraftvollen Erzählungen bis hin zu abstrakten Erkundungen - die Darbietungen verschoben Grenzen und stellten Konventionen in Frage.

Das Festival diente als Statement für die aufstrebende zeitgenössische Tanzszene in Berlin, aber auch als Sprungbrett in akademische und professionelle Felder für zukünftige Tanzschaffende.

 

 

On 12th of May I attended the second showing of the A.PART Festival. The program for the evening consisted of two and then three performances, divided by a small intermission. The artists that took part in the showings are emerging artists who are studying or who graduated in the last years in Berlin.


Kristen Rulifson & Mei Bao: No Such Virtue
I enter the room and the two performers are already dancing onstage. Opening, it feels like an anime opening. A world that is always there, a space that is not created just for me but a place where I feel invited for a short time. There is something very moving in the way they look at each other, while tenderly caressing each other’s body. I cannot avoid a little smile. Tiger and cat: the T-shirts that they wear. There’s soft piano music in the background, easy summer vibe. Tiger and Cat run, jump, dance, fight, cuddle, caress, play, sing and develop physicality in many other ways.
But for me, it is not about what Tiger and Can do or don’t, but it is about the rules they stablish in the room. The space is clearly divided between the audience and the playground, which makes me more aware of social behaviors and barriers in contrast with consensual playful spaces. The performers sing loudly to each other, almost lip to lip. The tension of the two bodies longing to kiss while having a rough contact shows the complexity of relationships and desire. Spit. Laugh and make the audience laugh. They offer their bodies to each other in different ways, like manipulating the body or grabbing hard the neck of the other. All these non-verbal consensual actions lead to a fluffy, easy but complex relation between Cat and Tiger. This exercise on trust becomes the center of their work and, from an audience perspective, a warm and positive feeling.


Libertad Esmeralda Locco, Katherine Rojas Contreras, Pimon Lekler: The afternoon of an infinite day
On stage I see two blue worker-overalls on top of two chairs. Libertad and Katherine appear from behind the chairs, caressing the overalls as part of their body. They slowly dress up with this second skin, which will be their cage for the rest of the performance. There is silent and I can hear the birds outside through the window of the studio. After the silence we hear machinery sounds in the background while the two performers execute sharp, repetitive and mechanic movements that I associate with assembly line workers, but not so much with everyday movements or actions.
Artificial intelligence or alienation with the machine. Is it going to collapse? What will it happen afterwards? It is getting dark and blue onstage. Night. Ocean. The two bodies are not in the previous state anymore, but they hide themselves behind the chairs, moving slowly. Are they hiding from something? Maybe they are not able to leave the cage. I feel like the collapse is here. As in a surrealistic painting, they hold the chairs on top of their head, skillfully managing to hide their faces from the audience. In a gesture they find each other’s bodies for the first time, leading into a softer, more human, quality. After this scene, the movements from the beginning appear again, but this time one of the workers manages to escape from them.
When seeing the performance, I questioned the choice of referring to industrial factory movements as a representation of the everyday body, while my actual experience as a worker in Berlin is connected with a different physicality of oppression. Maybe it could be interesting for the development of the piece to include new faces of routine and repetition. I also wonder how to speak about this topic from highly precise, young and able bodies while the bodies of factory workers are usually old, wasted and damaged. Anyhow, the piece presents a clear narrative, easy to follow, and a coherent structure from beginning till end.


Maia Joseph: The Other
Maia lays onstage, the lights fade in projecting the shadow of the moving body in the back wall. Dressed in black, the performer moves with high muscular tone, playing in the line between tension and release. I can read a story in her face, a struggle, a voice. I really want to listen to it, although it never comes. Silence. Maia is presenting a body willing to be listened, and she does it through the gaze, the gesture of the face and the fierce attitude in front of the audience. All the information that travels through the body is accumulated in the throat of the performer, suggesting a moment where all these thoughts will be articulated. There is also a reference to the throat in the music, as we hear electronic music with elements of throat singing.
This collection of information makes me think not only about all the voices that cannot speak but also about the way we listen to oppressed social groups. How is our attention towards certain bodies? What is our predisposition? How do we position our body as a subject in front of the other? Maia creates an expectation, creates the moment that precedes the articulation, the statement. Silence. The articulation will never come and I feel helpless. Is it my perception as a white cis man? The only thing that we hear from her is a loud breathing. Black out.


Jessica Ikonen & Nastasja Berezin: spectrum
“spectrum” starts with the two performers executing an acrobatic sequence of movement. Jessica and Nastasja showcase precise dance skills embodying two different characters. One of them is more energetic, vibrant and fast while the other falls into exhaustion. Synchronized dance moves make these differences more visible and guide us until the point where one of the characters collapses. While rolling on the ground, the other performer starts talking to the audience. The talk is narrative and clear, describing the strategy of a rabbit when it is attacked by a wildcat. I understand then that the piece is based on the idea of how we deal with situations, how strong or weak we present ourselves to the others: our strategies to survive. I declined a phone call, says Nastasja to finish the text. Balance, equilibrium. One of the performers carries the weight of the other, from the floor till standing. Everything happens slowly. They release the shape and go together to the floor again. They cuddle and play with weight shifts. I wonder how these characters balance with each other, what is the equilibrium in the couple. The previous action repeats, but this time with a fade out that marks the end of the piece.
 

 

Cikacé Lestine, Marta Marja Ruszkowska, Hana Stojaković: Jean Djender & The Foolz
The space is dark and the door opens, there is a huge expectation in the room and a voice speaks presenting the annual ball of the King Jean Djender de la Fluide von Sexony du Gendrefuque de Cooir, first of his name. Cikacé, Marta Marja and Hana appear on stage with colorful pseudo-medieval queer outfits. The first scene, alternating different poses, showcases a potpourri of medieval religious, royal and pagan iconography. A humorous approach to romantization of medieval courts, kings, queens, jesters and dragons. Their movements remind me of the human statues that one can find in the streets and move when you give them a coin. The word tableaux comes to my mind, as well as a two-dimensional feeling. The sequence of poses is not long, which creates a sense of boredom that I specially enjoyed.
Jokes appear now and then and sometimes repeated in a cringy way. There is something very “dada” in how boring it can be. It might not be easy to be a medieval king if you have to go through all that stuff. They dance to a John Cage music piece with repetitive movements and slowly going out of the beat. Nothing is exaggerated, but it feels very absurd. Marta Marja and Hana start a revolution as the “foolz” of the king, creating a small narrative that ends by taking the power over the king. But what I personally enjoyed from the proposal was the absurdity of it, the exhaustion of the material till they became predictable in order to break it later with something else. Also, how they presented themselves awkward, dull, lame, or uninteresting.

After watching the whole A.PART festival I can conclude that over the course of ten notable performances, each coming from different dance programs, the festival showcased a lot of diversity in the proposals. It presented an interesting collage of movement, including a wide range of themes, styles, and techniques. From powerful narratives to abstract explorations, the performances pushed boundaries and challenged conventions. This festival served as a statement of the upcoming contemporary dance scene in Berlin, as well as a platform that bounds academic and professional fields for future dancers. 


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

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