Text zu "NAH DRAN extended: IN TOUCH" (5.-6. Juni 2021) von Anuya Rane

 

Vom 5. bis 6. Juni 2021 zeigten Jee Chan & Stefan Pente, Susanne Grau und Sharon Mercado Nogales & Kiana Rezvani ihre Stücke / work-in-progress in der Performancereihe „NAH DRAN extended: IN TOUCH“, kuratiert von Roni Katz und Maya Weinberg. Es wurde online gestreamt.

 

„sub-vision 2021“, von und mit Jee Chan und Stefan Pente, ist ein work-in-process, der kein laufender Arbeitsprozess ist, sondern eine sachliche Präsentation als Ergebnis eines Denkprozesses. Eine Aufführung, die keine Fragen stellt, sondern eine Aussage trifft. „sub-vision 2021“ ist ein Statement. Aber was ist das für ein Kunstwerk, das uns nicht zum Hinterfragen zwingt? Kann es uns eine bestimmte Perspektive aufdrängen? Ist es überhaupt möglich, dass die Zuschauer*innen während einer solchen Performance dranbleiben?  Ja, es ist möglich. Dieses Stück ist ein Beispiel dafür. Es bietet eine neue Perspektive, eine neue Sicht, die immer wieder in Frage gestellt und durch die Pandemie verändert und geprägt ist. Die Position und die Mitwirkung den Zuschauer*innen, die Position, der Stellenwert der Bühne. Es versteht sich von selbst, dass die Performance und die Performer*innen dem Raum seinen Charakter geben. Aber wenn dieser besondere Raum in einen kleinen Bildschirm gequetscht wird und eine statische, zweidimensionale Qualität annimmt, während das aufgeführte Stück über alle Grenzen hinauswächst, bleibt er dann doch der Raum den Performer*innen oder wird er zu einem Raum, an den sich die Performance bzw. die  Performer*innen anpassen müssen? 

Jee Chan and Stefan Pente beschäftigen sich mit der physischen Existenz eines Aufführungsraums und dessen aufgezeichnetem Bild. Dazu kommt das Spiel mit der Positionierung sowie der Gegenpositionierung von Aufführungsraum und Zuschauerraum. Dieser Raum ist der Hauptakteur der Performance. Der Raum, wie er ist, nackt und still, ist die Performance. Das ada Studio oder andere solche Räume, die nicht über den traditionellen Aufbau – Bühne und Zuschauerraum – verfügen, ermöglichen vielfältige Optionen, mit der Sicht zu experimentieren. (Eine interessante Ergänzung dazu ist der neu hinzugekommene Kamerablick, der ein Mittel ist, zu zeigen und zu sehen.) Warum nicht mal die Podeste dahin stellen wo gewöhnlicherweise aufgeführt wird… Das tun die beiden Künstler*innen hier. Allerdings, bevor sie mit den Podesten hantieren, steht der Raum vor unseren Augen leer und still. Danach beginnt das Manöver, um die Plätze für das Publikum vorzubereiten. Plötzlich sieht der Raum anders aus als sonst, oder anders als im ersten Bild. Zeit und Ruhe werden uns gelassen, um diese Verwandlung zu betrachten. Mit dem folgenden Bild werden wir auf die andere, die leere, habituelle Zuschauer*innen-Seite aufmerksam gemacht. All diese bewegungslosen Bilder wirken laut; als ob sich der Raum mit uns unterhält. Oder noch anders, in diesen (physischen) virtuellen offenen Raum wagen die Zuschauer*innen einzutreten, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen… Kurz pausieren, den Moment wahrnehmen und in die Zukunft blicken. Nie sind wir zufrieden mit den Situationen und Umständen, in denen wir uns gerade befinden. Nie sind wir satt von dem, was wir haben. Und wir wollen uns auch weiter verbessern, entwickeln. Der Drang ist groß, gewaltig. Wege zu einer Verwandlung, die wir uns vorstellen, sind immer vorhanden. Aber die heutige Zeit ist etwas besonderes, und der Drang zu Veränderung ist noch größer als sonst. 

 

Das zweite Stück des Abends, „Spills“ von Susanne Grau, bricht die Stille. Die Tänzerin spricht, erzählt etwas über einen Fuchs, eine Maus, Wasser, Flüssigkeit, etwas über Beziehungen zwischen Dingen; leider ist der Ton nicht separat aufgenommen, deswegen ist die Stimme nicht laut und klar genug. Störend ist dies aber nicht, da es offensichtlich ein work-in-progress ist. Die Tänzerin sucht, erforscht und improvisiert. Oder sie hat sich tatsächlich die Choreografie ausgedacht, ist aber trotzdem immer im Moment. Die Bewegungen fließen, damit fließen ihre Gedanken und wecken ihre Sinne. Was ist jedoch daran so außergewöhnlich? Solch eine Recherche bietet die Grundlage für jede Performance. Das besondere daran ist, das sie eine bestimmte Person ist und ihre innere Welt vor und für uns öffnet. Sie nimmt uns mit in ihre Suche nach ihrer Beziehung zur Sprache, zum Raum. Sie spürt den Raum. Sie versucht, einen Kontakt damit zu etablieren. Das herausragende Merkmal ihres Prozesses ist, dass sie diesen Raum mit ihren Augen, mit dem Sehen wahrnimmt. Ihre Augen folgen nicht nur ihren Bewegungen, sondern wandern durch den Raum, um nach weiteren Stimulationen Ausschau zu halten. Manchmal wirkt sie dabei wie ein Kind oder ein Tier, das vor Neugier platzt. Der Arbeitsprozess ist endlos. Das Streben nach mehr und anderem kennt keine Grenzen. Wann kommt der Punkt, wenn es genug ist… Wann ist ausreichend improvisiert und es fängt an, ein Kunstwerk zu sein… Was fasziniert die Tänzer*in… Wo steckt der Impuls zu tanzen… Aus welchen Beziehungen formt er sich, der Tanz?

 

Nach dieser Untersuchung tauchen wir in ein strukturiertes choreografisches Stück ein.  „Earth Beings“, eine sogenannte Installations-Performance, von Sharon Mercado Nogales & Kiana Rezvani. Die beide Tänzerinnen präsentieren eine wunderbare, komplexe, fast besessene Arbeit. 

Zwei Stoffbahnen, die im Raum von oben bis zum Boden hängen und eine stehende Struktur aus irgendwelchem festen Material (auf dem Bildschirm war durch die Entfernung zur Bühne nicht zu erkennen, was für ein Material es war) bilden die Installation. Es ist dennoch in Ordnung, diese Details nicht genau gesehen zu haben, weil viele Dinge viel Raum einnehmen und um Aufmerksamkeit kämpfen, was für die Performance willkommen ist. Unterschiedliche Formen, Kurven, Materialien definieren und ergänzen die Welt, in der die Tänzerinnen sich bewegen. Seltsamerweise vermittelt dieses Stück an verschiedenen Stellen das Gefühl, sich in einem Museum oder einer Kunstgalerie zu befinden. 

Die beiden Tänzerinnen beginnen mit synchronisierten Bewegungen. Sie stehen so, dass sie sich beinahe ineinander verlieren. Sie tanzen in spannendem Rhythmus, bewegen sich zusammen und auch gegeneinander. Stampfende Schritte mit den Füßen, die in Moon-Boots-artigen Schuhen versteckt sind, kreieren die musikalische Atmosphäre. Diese Rille, der Impuls, verstärkt die Syntax. In dieser Art, mit minimalen Bewegungen – sich wiederholendes Stampfen – erkunden sie den Raum. Sie scheinen so vertieft in diesen Akt zu sein, dass es schwer fällt zu erkennen, ob sie sich frei fühlen oder sich in dieser choreografierten Einheit verlieren. Die Schritte sind so, dass sie eher in Richtung Boden gehen, wodurch sie der Performance eine sehr geerdete Präsenz verleihen. 

Durch das Bewegen im Raum hinterlassen die Tänzerinnen Spuren, während sie in Wirklichkeit dabei sind, nach Spuren zu suchen, die an etwas Bekanntes erinnern, das sie zelebrieren, bevor sie den Verlust bedauern. Was ist bekannt? Was ist verloren oder abwesend? Wir können es nicht wissen. Wir können jedoch, dank der Projektionen von Orten via Google Earth, mit ihnen in die Landschaften wandern und an ihrem zeremoniellen Tanz teilnehmen. Sie erforschen den Einfluss von Orten auf uns und unseren Körper.

Die Performance ist komplex in ihrem Zusammenspiel von Musik, Licht, Bühnenbild und Videoprojektionen. 


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

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