Text zu „reinkommen“ (29. November 2024) von Akiles, ins Deutsche übersetzt von Gabi Beier
We Hate Pink! (Wir hassen rosa!) - Eine künstlerische Untersuchung von Stereotypen und Geschlechterkonstrukten
Nach einer vierwöchigen Residenz im ada studio präsentierten SueKi Yee und Giorgia Bovo We Hate Pink! im Format einer offenen Probe, eine kühne Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Stereotypen, Geschlechterrollen und starren Erwartungen, die an Frauen im öffentlichen und privaten Bereich gestellt werden. Die Performance verbindet auf meisterhafte Weise Satire, Körperlichkeit und Publikumsbeteiligung und schafft so eine vielschichtige Kritik an der heutigen Wahrnehmung von Identität und Weiblichkeit.
Die Illusion der Wahlfreiheit brechen
Die Performance beginnt an der Schwelle, am Eingang des Veranstaltungsortes. SueKi und Giorgia, die übertriebene Höflichkeit verkörpern, stehen an der Tür und bieten den Gästen auf einem Tablett rosa Haarspangen, Schleifen und andere Accessoires an. Doch dies ist kein gewöhnliches Angebot. Es ist eine Aufforderung, getarnt als Wahlmöglichkeit. Die Zuschauer müssen eins der Schmuckstücke nehmen; Ablehnung ist keine Option.
Der rosa Clip, ein scheinbar harmloser Gegenstand, wird zu einem tiefgründigen Symbol für die geschlechtsspezifischen Stereotypen, die Frauen auferlegt werden. Indem die Künstlerinnen dem Publikum dieses symbolische Accessoire aufzwingen, kehren sie geschickt die Rollen der Beobachtenden und der Teilnehmenden um und machen das Publikum zu einem untrennbaren Teil der Kritik.
Verwischung der Grenzen der Performance
Sobald die Aufführung beginnt, verschwimmen die Grenzen zwischen den Performerinnen und dem Publikum nahezu sofort. SueKi und Giorgia durchbrechen die konventionelle Distanz zwischen Bühne und Zuschauerraum und ziehen das Publikum in eine gemeinsame Erkundung von Identität, Geschlecht und gesellschaftlicher Konditionierung hinein. Durch spielerische und doch pointierte Aktivitäten laden sie die Teilnehmenden in einem ironischen Ton dazu ein, sich damit zu beschäftigen, wie man sitzt, aussieht, Anti-Aging-Gesichtsübungen macht, „Schönheitstipps“ aufnimmt und lernt, sich als idealisierte Frauen „selbst zu verwirklichen“.
Die Beteiligung des Publikums an der Performance fordert dieses auf, über seine Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser Normen nachzudenken, sei es als Vollstrecker, Opfer oder stille Zuschauende.
Das Streben nach Perfektion und dessen Zusammenbruch
Die visuelle und physische Sprache der Performance kritisiert das Konstrukt der „perfekten Frau“. SueKi und Giorgia verkörpern das unerreichbare Ideal durch minutiös einstudierte Bewegungen, auffällige Posen und übertriebene Anmut. Doch im Laufe der Performance zeigen sich erste Risse. Die Bewegungen geraten ins Stocken, die Posen brechen zusammen, und das Streben nach Perfektion erweist sich als unhaltbar. Das sorgfältig kuratierte Bild der Weiblichkeit bricht auseinander und legt die Menschlichkeit der Performerinnen unter der Fassade der gesellschaftlichen Erwartungen frei.
Dieses absichtliche Scheitern ist eine brillante künstlerische Entscheidung. Es spiegelt die Vergeblichkeit und den Schaden, den das Strebens nach einem unmöglichen Standard anrichtet, wider und zeigt Momente der Verletzlichkeit, die tief nachhallen. Durch diese Zusammenbrüche gewinnen die Performerinnen ihre Individualität zurück und fordern das Publikum auf, die Schönheit in der Unvollkommenheit zu sehen. Die „ideale Form“ wird als eine Maske entlarvt, die die Authentizität freilegt.
In seinem Kern ist We Hate Pink! eine Untersuchung von Identität und gesellschaftlicher Konditionierung. Es stellt unbequeme, aber notwendige Fragen:
- Wie viel von dem, was wir sind, gehört wirklich zu uns?
- Wie werden unsere Identitäten und sogar unsere Sexualität durch gesellschaftliche Kräfte geformt?
- Sind wir, die „moderne, aufgeklärte Generation“, wirklich so frei von Vorurteilen, wie wir selbst glauben?
Diese Fragen werden nicht direkt beantwortet, sondern verbleiben in den Köpfen der Zuschauenden. Indem die Performance sich weigert, eindeutige Antworten zu geben, spiegelt sie die Komplexität dieser Themen wider und regt zu tiefer Selbstreflexion an.
Die Künstlerinnen setzen sich auch mit der Idee der Befreiung selbst auseinander. Reicht die Ablehnung offenkundiger Stereotypen, wie etwa die Assoziation von Weiblichkeit mit der Farbe Rosa, aus, um wahre Freiheit von gesellschaftlichen Normen zu erlangen? Oder verpackt die moderne Kultur diese Erwartungen in subtilere, heimtückischere Formen? Die Performance lädt das Publikum dazu ein, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und macht die Erfahrung ebenso intellektuell anregend wie emotional mitreißend.
Humor und Satire als Werkzeuge der Kritik
Einer der auffälligsten Aspekte von We Hate Pink! ist die Fähigkeit, schwere, ernste Themen mit Humor und Ironie zu behandeln. Die Absurdität der Schönheitsrituale, die übertriebene Anmut der Performerinnen und das Theatralische in den „Vorträgen“ über Weiblichkeit sorgen für Momente herzhaften Lachens. Dieser Humor ist jedoch nicht nur ein Moment der Unterhaltung. Er ist ein Werkzeug der Kritik. Indem die Performance das Publikum dazu bringt, über die Absurdität gesellschaftlicher Normen zu lachen, ermutigt sie es, diese Normen als das zu sehen, was sie sind: willkürlich, unterdrückend und oft lächerlich.
Dieses Gleichgewicht zwischen Humor, Satire und Ernsthaftigkeit fesselte das Publikum und machte die Performance zugänglich, während sie gleichzeitig ihre kritische Schärfe behielt.
Die 50-minütige Präsentation von SueKi Yee und Giorgia Bovo ist das Ergebnis einer erfolgreichen Recherche-Residenz, in der ein scheinbar repetitives Thema in etwas Neues und Tiefgründiges verwandelt wurde. Der künstlerische Prozess nutzt Humor, Tiefe, Spontaneität, Ehrlichkeit und Ironie, um das Publikum in sinnvolle Überlegungen zu verwickeln. Die Performance endet positiv, eröffnet aber dennoch den Horizont für viele Reflexionen über das Recherche-Thema und die außergewöhnliche Fähigkeit der Kunst, gesellschaftliche Normen in Frage zu stellen, zum Nachdenken anzuregen und zu Wandel und Veränderung zu inspirieren.
We Hate Pink! - An Artistic Examination of Stereotypes and Gender Constructs
After a month-long residency at ada studio, SueKi Yee and Giorgia Bovo presented We Hate Pink! in an open rehearsal format, a bold exploration of societal stereotypes, gender roles, and the rigid expectations imposed on women in public and private spheres. This performance masterfully intertwines satire, physicality, and audience participation, creating a layered critique of contemporary perceptions of identity and femininity.
Breaking the Illusion of Choice
The performance begins at the threshold, at the entrance of the venue. SueKi and Giorgia, embodying exaggerated politeness, stand at the gate, offering guests pink clips, ties, and other accessories on a tray. But this is no ordinary offering. It is an imposition disguised as a choice. The audience members must take a clip; refusal is not an option.
The pink clip, a seemingly innocuous object, becomes a profound symbol of the gendered stereotypes imposed on women. By forcing this symbolic accessory on the audience, the artists cleverly invert the roles of observer and participant, making the audience an intrinsic part of the critique.
Blurring the Boundaries of Performance
Once the performance begins, the boundaries between performers and the audience blur almost immediately. SueKi and Giorgia break the conventional distance between stage and spectator, drawing the audience into a shared exploration of identity, gender, and societal conditioning. Through playful yet pointed activities, they invite participants to engage in how to sit, look, and do anti-aging face exercises, absorb “beauty tips,” and learn to “carry themselves” as idealized women in an ironic tone.
The audience participation in the performance challenges them to reflect on their roles in perpetuating these norms, whether as enforcers, victims, or silent bystanders.
The Pursuit of Perfection and Its Collapse
The performance’s visual and physical language critiques the construct of “the perfect woman.” SueKi and Giorgia embody the unattainable ideal through meticulously rehearsed movements, striking poses, and exaggerated grace. Yet, as the performance unfolds, cracks begin to show. Movements falter, poses collapse, and the pursuit of perfection is revealed as unsustainable. The carefully curated image of femininity unravels, exposing the performers’ humanity beneath the veneer of societal expectations.
This deliberate failure is a brilliant artistic choice. It reflects the futility and harm of striving for an impossible standard, offering moments of vulnerability that resonate deeply. Through these collapses, the performers reclaim their individuality and challenge the audience to see beauty in imperfection. The “ideal form” is revealed as a mask that strips away authenticity.
At its core, We Hate Pink! is an inquiry into identity and societal conditioning. It asks uncomfortable but necessary questions:
• How much of who we are is truly ours?
• How are our identities and even our sexualities shaped by societal forces?
• Are we, as a “modern, enlightened generation”, as free from prejudice as we believe ourselves?
These questions are not answered directly; they are left to linger in the audience's minds. By refusing to provide tidy resolutions, the performance mirrors the complexity of these issues, encouraging deep introspection.
The artists also confront the idea of liberation itself. Is rejecting overt stereotypes, such as associating femininity with the color pink, enough to achieve true freedom from societal norms? Or does modern culture repackage these expectations in subtler, more insidious forms? The performance invites the audience to grapple with these questions, making the experience as intellectually engaging as it is emotionally resonant.
Humor and Satire as Tools of Critique
One of the most striking aspects of We Hate Pink! is its ability to tackle heavy, serious topics with humor and irony. The absurdity of the beauty rituals, the exaggerated grace of the performers, and the theatrical delivery of “lectures” on femininity create moments of genuine laughter. This humor, however, is not just a source of entertainment. It is a critique tool. By making the audience laugh at the absurdity of societal norms, the performance encourages them to see these norms for what they are: arbitrary, oppressive, and often ridiculous.
This balance between humor, satire, and seriousness engaged the audience, making the performance accessible while retaining its critical edge.
SueKi Yee and Giorgia Bovo's 50-minute presentation reveals a successful research residency that transforms a seemingly repetitive subject into something new and profound. Their robust artistic process uses humor, depth, spontaneity, honesty, and irony to engage the audience in meaningful reflections. The performance ends positively but still opens the horizon of many reflections related to the project subject and the extraordinary ability of art to challenge societal norms, provoke thought, and inspire transformation and change.