Text zum A.PART Festival 2024 - Programm 2 (24. Mai 2024) von Maia Joseph

 

Dieses zweite Programm des A.PART Festivals hatte eine ganz andere Energie als das erste. Wieder einmal haben Julek Kreutzer und Diethild Meier einen Weg gefunden, den Abend so zu gestalten, dass er uns in eine andere Welt entführt. Die Orte, an die uns Noah Rees, Johann Eggebrecht, Andrea D'Arsiè, Marta Ferraris und Olivia Das führten, fühlten sich sowohl physisch als auch mental an, und die Reise zu und von diesen Orten sorgte für einen interessanten Abend. 

 

Für das erste Stück wurden wir gebeten, um die Bühne herum zu sitzen, damit wir Noah und Johann genauer beobachten konnten. Dieser Abend begann jedoch nicht mit Tanz, sondern mit gesprochenem Wort. Jojo Büttler gab uns eine beschreibende Zusammenfassung dessen, was dey in Echtzeit sah, und verwendete Worte, die den Raum um uns herum sehr detailliert darstellten. So konnten wir den Raum mit allen Sinnen wahrnehmen, im besonderen, wie voll er war, noch bevor die beiden Performer eintraten. Darüber hinaus wurde das Stück so auch für Menschen zugänglich, die zwar sehbehindert sind, aber dennoch den Tanz genießen wollen, was dem Stück einen schönen Bewusstseinszustand verlieh. 

 

Auf verschiedenen Seiten der Bühne lagen Johann und Noah auf dem Boden und streckten ihre Arme aus, als ob sie etwas festhielten, fast so, als ob sie sich für das, was als Nächstes kommen würde, abstützten. Sie begannen eine Bodensequenz und spiegelten die Bewegungen des jeweils anderen. Die Phrase wurde immer schneller und dynamischer, und während sie herumrutschten und sich wälzten, begannen ihre Körper zu verschwimmen, wie ein Steppenläufer, bis sie mit dem Gesicht nach oben und nebeneinander liegend einen Ruhepunkt fanden. Während Jojo das Heben und Senken ihrer Brust kommentierte, begannen sie, mit Partnerarbeit zu experimentieren. Sie schienen sich gegenseitig zu testen, manchmal waren sie spielerisch, manchmal fühlte es sich an, als wären sie zwei Sparringspartner auf einer Eisbahn, mit uns als Beobachtern um sie herum, die darauf warten, zu sehen, wer gewinnt. Es gab eine Pause, in der sie sich einfach nur umarmten und einer von ihnen streichelte sanft das Haar des anderen. Sie wiederholten dieses Bild ein paar Mal und brachten uns zum Nachdenken über die Beziehung zwischen ihnen. Wenn wir zwei Menschen so nah beieinander sehen, neigen wir zu der Annahme, dass sie eine romantische Beziehung zueinander haben müssen. Aber was wäre, wenn unter der Zärtlichkeit ihrer Nähe Gewalt läge? Und ist es möglich, die beiden zu unterscheiden, wenn die Grenze zwischen ihnen so fragil ist?

 

Als sie sich trennten, streckten sie ihre Arme aus und hielten die Form des jeweils anderen fest, während der Raum zwischen ihnen größer wurde. Dieser Raum bildete die Grundlage für das zweite Stück des Abends, ein Sound-Solo von Andrea. Wir wurden gebeten, in der Mitte der Bühne zu sitzen, bequem zwischen den vier Lautsprechern des Studios, mit geschlossenen Augen. Das Sound-Solo fühlte sich an wie das Hören einer Erinnerung. Genauer gesagt, als würde man beobachten, wie es sich anfühlt, jemanden zu verlieren. Das Gefühl, an jemandem festzuhalten, der nicht mehr da ist. Gemeinsam erlebten wir Schreie, das Zerspringen von Glas, schweres Atmen und wurden mit geflüsterten Fragen konfrontiert wie „Bist du unversehrt?“. Es fühlte sich an wie ein Film, in dem eine wichtige Figur stirbt und uns Schnappschüsse ihres Lebens hinterlässt, nur dass wir sie nicht in Bildern, sondern in Tönen erlebten. 

 

Wir alle haben in irgendeiner Form schon einmal Trauer erlebt, ob es sich nun um einen schweren Verlust handelt oder nicht. Oft fühlen wir uns dabei so allein, denn die Art und Weise, wie wir trauern, ist für jede*n von uns einzigartig und individuell. Und doch ist es eine universelle Erfahrung. Wenn man in einem Raum mit geschlossenen Augen und größtenteils Fremden sitzt, ist es unmöglich zu wissen, welche Gefühle und/oder Erinnerungen dieses Stück hervorgerufen hat. Der Applaus am Ende brauchte einige Zeit, da die Besucher*innen von dem Ort zurückkommen mussten, an den die Musik sie in ihren Gedanken gebracht hatte. Obwohl wir alle unsere persönlichen Erfahrungen mitbrachten, teilten wir einen Moment des gemeinsamen Verlustgefühls. Aber was kommt nach der Trauer?

 

Das dritte Stück nach der Pause fühlte sich an, als würden wir beobachten, wie es von außen aussieht, mit diesem inneren Monolog umzugehen. Marta, die dritte Performerin des Abends, zeigte in ihrem Solo, wie wir unterdrücken, was wir durchmachen, um einem Urteil zu entgehen. Einfache Gesten können so viel Bedeutung haben ... und sie können auch überhaupt nichts bedeuten. 

 

Als wir den Raum wieder betraten, sahen wir sie auf dem Boden liegen, und die Geräusche eines Gewitters erfüllten den Raum. Sie hatte einen Finger im Ohr, als ob sie versuchte, den Lärm von draußen oder den Lärm in ihrem Kopf auszublenden. In einer Szene ging sie umher und vollführte Fußgängerbewegungen, als würde sie den Raum um sich herum dirigieren, manchmal sprach sie zu uns, aber ohne Ton. Hatte sie sich verlaufen? 

 

Ihre Bewegungen erfassten nach und nach den ganzen Körper. Sie war ständig in Bewegung und drehte sich auf der Bühne wie ein unendlicher Gedanke. Wir wurden Zeuge ihres Kampfes; der innere und der äußere Monolog versuchten, einen Weg zur Koexistenz zu finden, bis es zu viel wurde. Der Raum hörte sich an, als würde er sich mit Wasser füllen, und das Wasser nahm ihren Körper in Beschlag, so dass sie endlich still sein und einfach nur zuhören konnte. 

 

Das letzte Stück des Abends schien dort weiterzumachen, wo das vorherige aufgehört hatte. Darüber hinaus fühlte es sich an wie ein Moment, in dem sich der Kreis für den gesamten Abend schloss, da Olivia ihr Stück mit einer Aufnahme begann, in der sie ihre Gedanken aussprach. Beim ersten Stück mussten wir alles so betrachten, wie es ist, und bei diesem letzten Stück wurden wir aufgefordert, darüber nachzudenken, was das alles bedeutet... und wie wir gerade gesehen hatten, bedeutete es vielleicht gar nichts. 

 

Olivia rollte sich zu einem Ball auf dem Boden zusammen und wir hörten ihr zu, wie sie rationalisierte, wie wir an Dingen hängen und wie diese Dinge einfach nur... nun ja, Dinge sind. Wir beobachteten, wie sie ihre eigenen Gedanken in Bewegung umsetzte. Als sie darüber nachdachte, ziellos durch ein Einkaufszentrum zu wandern, erinnerte das an einen Moment aus Martas Stück, als sie verloren herumlief und uns entweder um Rat oder um Bestätigung bat. Aber Olivia war zur nächsten Stufe dieses geistigen Kampfes übergegangen und versuchte, ein Gefühl des Verstehens zu finden, um sich nicht so zu fühlen. Sie dachte über die Idee des Vertrauens nach und darüber, dass es manchmal da ist und sich manchmal anfühlt, als wären wir nur zerbrochene Puzzleteile, die schlecht wieder zusammengesetzt werden. 

 

Sie dachte darüber nach, dass Alter nicht gleichbedeutend mit emotionaler Reife ist und dass wir vielleicht nach jemandem greifen, von dem wir besser die Finger lassen sollten. Als weitere Stimmen zur Aufnahme hinzukamen, änderte sich ihre Dynamik, während sie gleichzeitig versuchte, sich an all die externen und internen Informationen anzupassen. Plötzlich änderte sich das Licht und tauchte uns in einen kalten violetten Dunst. Olivia setzte sich hin, atmete schwer und versuchte, sich zu beruhigen, und ermöglichte uns dadurch, alles zu verstehen, was wir an diesem Abend erlebt hatten. 

 

Das Leben ist eine merkwürdige Sache. Wir geben allem eine Bedeutung oder einen Namen und entscheiden über seinen Wert und seine Bedeutung. Und doch haben wir keine Kontrolle darüber, wie wir reagieren, wenn wir etwas verlieren, dem wir eine Bedeutung gegeben haben. Wie wir einander behandeln und respektieren, ist ein Spiegelbild dessen, wie wir uns selbst behandeln, und wir müssen uns erlauben, alles zu fühlen, auch auf die Gefahr hin, beurteilt zu werden. Es kann schwierig sein zu entschlüsseln, was irgendetwas bedeutet, so dass man umherirrt und sich sowohl verloren fühlt, als auch den Verlust spürt. 

 

Das Leben ist schon seltsam, denn es kann nichts bedeuten, und es kann auch alles auf einmal bedeuten. 

 

 

This second program of the A.PART festival had such a different energy from the first. Once again, Julek and Didi found a way to curate the evening in such a way that took us to a different world. The places that Noah Rees, Johann Eggebrecht, Andrea D’Arsiè, Marta Ferraris and Olivia Das brought us to felt both physical, and mental, and the journey to and from these places made for an interesting night. 

 

For the first piece, we were asked to sit around the stage, allowing space for us to observe Noah and Johann more intimately. However, this evening didn't start with dance, but rather with spoken word. Jojo Büttler, gave us a descriptive summary of what they saw in real time, and used words that depicted the space around us in great detail. This allowed our senses to fully take in the space around us, and appreciate how full it was even before the two performers entered. Furthermore, it made the piece accessible to people who may be visually impaired, but still want to appreciate dance, which added a beautiful state of consciousness to their piece. 

 

On separate sides of the stage, they lay on the floor, their arms reaching out as if holding something, almost as if bracing themselves for what was to come next. They started a floorwork sequence, mirroring each other’s movements. The phrase started to increase in both speed and dynamics, and as they slid and rolled around, their bodies started to blur, like a tumbleweed, until they found a resting point, lying face up, side by side. As Jojo narrated the rising and falling of their chests, they began to experiment with partner work. They seemed to be testing one another, sometimes being playful, other times it felt as if they were two sparring partners in a rink, with us being the observers around them, waiting to see who wins. There was a pause and they just held each other, one of them gently stroking the other's hair. They recreated this image a few times, making us think about what the relationship between them was. When we see two people in such close proximity, we tend to assume that they must have a romantic relation to one another. But what if underneath the tenderness of their closeness was violence? And is it possible to differentiate the two, when the line between them is so fragile? 

 

As they separated, they left their arms out, holding the shape of one another as the space between them increased. That space held the imagery for the second piece of the night, a sound solo by Andrea. We were asked to sit in the center of the stage, comfortably between the studio’s four speakers with our eyes closed. The sound solo felt like listening to a memory. More precisely observing how it feels to lose someone. The feeling of holding onto someone who's no longer there. Together we experienced shouting, the shattering of glass, heavy breathing, and were asked whispered questions such as, "are you whole?". It felt like watching a movie when an important character dies, leaving us with snapshots of their life, but instead of in images, we had it in sound. 

 

We all have experienced grief in some way at some point, whether it be a severe loss or not. We often feel so alone when this happens, as how we grieve is unique and individual to all of us. And yet, it's a universal experience. From sitting in a room with closed eyes and mostly strangers, it’s impossible to know what emotions and/or memories this piece brought up. The applause at the end took some time as people had to come back from wherever the music had taken them to in their minds. Though we all came in with our personal experiences, we shared a moment of feeling our losses together. But what comes after grief?  

 

The third piece after the intermission, felt like we observed how it looks from the outside to deal with this inner monologue. Marta, the third performer of the evening, shared a solo, which portrayed how we suppress what we're going through to escape judgment. Simple gestures can carry so much meaning...and they can also mean nothing at all. 

 

As we re-entered the space, we noticed her lying on the floor, and the sounds of a thunderstorm filled the space. She had one finger in her ear, as if she were trying to block out the outside noise, or the noise in her head. In one scene, she walked around performing pedestrian movements, as if conducting the space around her, sometimes speaking to us but with no sound. Was she lost? 

 

Her movements gradually became more full-bodied. She was constantly moving, twisting and spiraling around the stage like a never ending thought. We witnessed her struggle; the inner and outer monologue trying to find a way to co-exist, until it became too much. The room sounded as if it were being filled with water, and it took over her body, allowing her to finally be still, and just listen. 

 

The last piece of the night seemed to pick up where the previous one left off. Furthermore, it felt like a full circle moment for the entire evening as Olivia, the soloist started her piece with a recording of her speaking her mind. The first piece had us observing everything as it is, and with this last one, we were challenged to reflect upon what it all means…and as we’d just seen, it might not mean anything at all. 

 

Olivia began curled up in a ball on the floor, and we listened to her rationalize how we’re attached to stuff and how that stuff is just…well stuff. We watched as she interpreted her own thoughts into movement. As she thought about wandering aimlessly through a mall, it echoed a moment from Marta’s piece as she walked around lost, looking at us for either guidance or reassurance. But Olivia had gone to the next stage of this mental battle, trying to find a sense of understanding so as not to feel this way. She reflected on the idea of confidence, and how sometimes it’s there, and other times it feels as though we are just broken puzzle pieces, poorly placed back together. 

 

She contemplated how age doesn’t equate to one’s emotional maturity, and that we may find ourselves reaching out for someone we’d be better off walking away from. As more voices were added to the recording, her dynamics shifted, simultaneously trying to adapt to all of the external and internal information. There was a sudden change in the lighting of the piece, submerging us into this cold purple haze. She sat down, breathing heavily, trying to calm herself down, and by doing so, allowed us to try and understand everything we had experienced that evening. 

 

Life is a peculiar thing. We give everything a meaning, or a name, and decide its value, and worth. And yet we have no control over how we'll react when we lose what we've given importance to. How we treat and respect one another is a reflection of how we treat ourselves, and we have to give ourselves permission to feel everything, even at the risk of being judged. It can be difficult to decipher what anything means, leaving one to wander, and feel both lost, and loss. 

 

Life is funny that way, because it can mean nothing, and it could also mean everything all at once. 


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

ada Studio für zeitgenössischen Tanz

in den Uferstudios/Studio 7

Uferstraße 23

13357 Berlin

T: +49 (0) 30-218 00 507

E: ada-berlin [AT] gmx.de

© ada Studio