Text zum A.PART Festival 2024 - Programm 1 (17. Mai 2024) von Maia Joseph

 

Ich muss sagen, dass es wirklich eine Freude war, dem Eröffnungsprogramm des diesjährigen A.PART-Festivals beizuwohnen, vor allem nachdem ich letztes Jahr selbst daran teilgenommen hatte. Dieses erste Programm stellte sich als ein sehr verletzlicher Abend heraus und schien von Didi und Julek, den Kuratorinnen, absichtlich mit großer Sorgfalt für die beteiligten Künstler kuratiert worden zu sein. Sara Müller Troconis, Imogen Pickles, Camilla Barbera, Naledi Majola und Frances-Marlene Prasse erzählten wunderbare Geschichten und machten den Abend zu einem magischen Ereignis. 

 

Sara eröffnete den Abend für uns mit einem Solo. Sie legte sich zu Beginn auf den Boden und nahm sich die Zeit, aufzustehen und ihre Haut sanft zu streicheln. Die Geste des sanften Streichelns ihrer Wange schien den Akt der Liebe zu symbolisieren. Erst nachdem wir auf die Welt gekommen sind, nachdem wir auf dramatische Weise von der Person, die uns das Leben geschenkt hat, verstoßen wurden, erleben wir diese erste menschliche Berührung und finden durch ihre Vertrautheit ein Gefühl der Ruhe und Zugehörigkeit.  

 

Wenn wir jedoch älter werden, wird unsere Selbstwahrnehmung von der Gesellschaft geprägt, und diese einst „liebevollen“ Berührungen und Worte können sich wie aggressive Schläge auf unser körperliches und emotionales Wohlbefinden anfühlen. Sara drückte diese Konzepte mit ihren Bewegungen aus und benutzte einen Spiegel auf der Bühne als buchstäbliche Darstellung dessen, wie wir uns selbst sehen und wie sich dies im Laufe der Zeit verändert. Sie wählte verschiedene Musikstücke aus, von denen das letzte das einzige mit gesprochenen Worten war. Fragen wie „Bin ich nicht das, was du wolltest?“ erfüllten den Raum, während Sara auf ihren eigenen Körper deutete. Aber wer ist es, der darüber entscheidet, wer du bist, außer dir selbst? Ist das, was die Welt sieht, das wahre Spiegelbild unserer selbst, oder ist es nur eine Projektion dessen, was sie von uns erwartet? 

 

Der Abend wurde mit einem Duett von Imogen und Camilla fortgesetzt. Der Vorhang wurde geöffnet und das Tages-(Abend-)licht fiel in den Raum. Die Beiden bewegten sich als Einheit, ineinander verschlungen, in der Mitte der Bühne. Sie experimentierten mit Partnerarbeit und loteten die Grenzen aus, wie weit sie sich aneinander festhalten konnten, bevor sie sich voneinander lösten. Mit der Zeit wurde es immer schwieriger zu erkennen, ob sie sich zueinander hingezogen fühlten oder versuchten, sich voneinander zu trennen. 

 

Die Dynamik ihrer Beziehung schien stabil zu sein, bis klar wurde, dass sie sich nicht mehr aufeinander verlassen konnten. Sie begannen sich wie ein Pendel aus dem Rhythmus zu bewegen und versuchten, als zwei Individuen wieder eine Art Gleichgewicht zu finden. Das Licht, das in den Raum fällt, wirft ein Licht auf ihre Situation. Sie versuchen, sich dem zu stellen, immer noch magnetisch zueinander hingezogen, aber vielleicht wirkt Newtons Gesetz der Anziehung jetzt in umgekehrter Richtung.   

 

Wenn wir eine neue Beziehung eingehen, sehen wir die Person oft durch eine „rosarote Brille“ und übersehen die Anzeichen dafür, dass diese Person vielleicht nicht zu uns passt. Wenn wir uns erlauben, uns von anderen zeigen zu lassen, wer sie sind, anstatt Vermutungen anzustellen, würden wir einander besser verstehen. 

 

Das bringt uns zum dritten Stück des Abends, einem Solo von Naledi. Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen das Gefühl haben, sich ständig erklären zu müssen, vor allem in Bezug auf die Geschlechtsidentität. Darüber hinaus verwenden einige Sprachen vorgegebene Geschlechter für bestimmte Wörter, was es noch schwieriger macht, den jeweiligen sprachlichen Zwängen zu entkommen. In Südafrika, wo Naledi herkommt, werden die geschlechtsspezifischen Wörter Mann und Mädchen jedoch nicht ausschließlich in Bezug auf ihre Geschlechterrollen verwendet. Während ihres Auftritts überlagerte Naledi eine Aufnahme von sich selbst, auf der dey „I'm a King, I'm a Prince, I'm a Prince, I'm a King“ singt, und kreierte so eine chorähnliche musikalische Begleitung. Während deren Gesang den Raum erfüllte, bewegte dey sich mit ausgebreiteten Armen durch den Raum und formte manchmal sogar den Buchstaben „K“ mit deren Körper. Dey groovte und tanzte zu deren eigenem Gesang und brachte uns mit dem komödiantischen Timing einiger deren Schritte oft zum Lachen. Nach der musikalischen Nummer las Naledi einen Live-Monolog, in dem dey das Wort „Mädchen“ auf unterschiedliche Weise aussprach. Die verschiedenen Alliterationen des Wortes, z. B. giiirrrrllll, gal, girlie usw., haben einen merkwürdigen Effekt: Welche Bedeutung hat ein Wort, wenn es nur noch ein Wort ist?  

 

Wenn wir etwas oft genug wiederholen, bekommt es oft ein Eigenleben und damit auch bestimmte emotionale Konnotationen. Wenn wir die „wissenschaftliche Korrektheit“ dessen, was wir sein sollten, beiseite lassen würden, dann wüssten wir es vielleicht einfach. 

 

Wenn wir uns mit dem Druck der Gesellschaft nicht wohlfühlen (ich meine, wann tun wir das jemals?), sind wir gezwungen, Wege zu finden, damit fertig zu werden, und möglicherweise zu verbergen, wie wir uns wirklich fühlen. Frances, die letzte Künstlerin des Abends, führte ein Solo auf, das genau dies zum Ausdruck brachte. Nachdem sie den Raum betreten hatte, nahm sie sich einen Moment Zeit, um mit uns in Kontakt zu kommen, und lächelte... obwohl es unehrlich wirkte. Das irritierte Zucken ihrer Finger verriet den inneren Kampf, der sie bewegte, und während ihres Stücks sahen wir zu, wie sie sich diesem Kampf stellte.  

 

Sie setzte ihren Körper ein, um die objektive „Hässlichkeit“ zu vermitteln, die wir durchleben, während wir versuchen, „den Schein zu wahren“. Wir sahen zu, wie sie sich in buchstäblich unbequeme Positionen begab und waren fasziniert von ihren kreativen Wegen, aus diesen herauszukommen. Interessanterweise lag in der Komplexität ihrer Bewegungen eine offensichtliche Schönheit, obwohl es klar war, dass dies nicht ihre Absicht war. Ganz gleich, wie wir nach außen hin erscheinen, niemand weiß wirklich, was jemand durchmacht, und es ist in Ordnung, nicht in Ordnung zu sein. Die meiste Zeit ihres Stücks beobachteten wir, wie Frances zum Ausdruck brachte, wie es sich anfühlt, sich zu verstecken, und einen Moment lang tat sie das auch, indem sie hinter dem schwarzen Vorhang verschwand. Wir konnten nur ihr leises Summen hören, das immer noch die Vorstellung vermittelte, dass „alles in Ordnung“ sei. Kurz nachdem sie wieder hinter dem Vorhang hervorgetreten war, begann sie, blaue Flecken auf ihren Körper zu malen und wurde so wirklich eins mit ihrem Unbehagen und ließ uns daran teilhaben.

 

Die vier Stücke befassten sich mit Konzepten, die für das, was wir tagtäglich erleben, sehr relevant sind, und es war äußerst mutig von den Künstler*innen, ihre individuelle Reise mit uns zu teilen. Wenn es um unsere Identität geht, sind wir die Einzigen, die entscheiden können, wie wir uns präsentieren wollen. Wir können nicht ändern, wie andere das interpretieren, aber das liegt eher an ihnen und nicht an uns. Wir sind alle Menschen, und wenn wir uns selbst so akzeptieren, wie wir sind, wird es viel einfacher, ein harmonisches Leben zu führen, sei es allein oder mit einem Partner. Weil wir Menschen sind, werden wir oft Menschen begegnen oder uns in Situationen befinden, in denen wir uns unwohl fühlen, aber dem treu zu bleiben, was wir sind, und diese Person nicht zu verstecken, ist eine der größten Stärken, die wir nutzen können.  

 

Wir sind alle einzigartig und kommen mit unterschiedlichen Hindernissen auf die Welt, aber die Art und Weise, wie wir ihnen begegnen, macht uns zu dem, was wir sind: menschlich. 

 

 

I must say, it was truly a pleasure to watch this year’s A.PART festival, especially having taken part in it last year. This first program turned out to be a very vulnerable evening, and seemed to be intentionally curated by Didi and Julek with deep care for the artists involved. Sara Müller Troconis, Imogen Pickles, Camilla Barbera, Naledi Majola, and Frances-Marlene Prasse each shared beautiful stories, making it a magical event. 

 

Sara opened the evening for us with a solo. She lay on the floor to begin, and took her time to come to standing, gently stroking her skin. The gesture of softly caressing her cheek seemed to symbolize the act of love. It is only after we've come into the world after being dramatically expelled from the person who helped give us life, that we experience that first human touch, and from its familiarity, find a sense of calm and belonging. 

 

However as we age, our perception of ourselves is shaped by society, and those once 'loving' touches and words can start to feel like aggressive hits to our physical and emotional well-being. Sara expressed these concepts with her movement, and used a mirror on stage as a literal representation of how we see ourselves, and how it changes overtime. She had a few different musical choices, the last one being the only one with spoken word. Questions such as, “Am I not what you wanted?” filled the room as Sara gestured to her own body. But who is anybody else to decide who you are, besides yourself? Is what the world sees the true reflection of self, or is merely a projection of who they want us to be? 

 

The evening continued with a duet by Imogen and Camilla. The curtains were opened and daylight poured into the space. They moved as one, intertwined with one another in the center of the stage. They experimented with partner work, exploring the limitations of how far they could reach out while holding onto one another, before breaking apart. As time went on, it became harder to tell if they were drawn to one another, or trying to separate themselves. 

 

The dynamic of their relationship seemed stable, until it was clear that they could no longer rely on one another. They began to move like a pendulum out of rhythm, trying to find a sort of balance once more as two individuals. The light entering the room sheds itself onto their situation. They try to confront it, still magnetized to each other, but perhaps Newton's law of attraction is now working in reverse.  

 

When we enter a new relationship, we often see the person through a ‘rose-coloured lense’, and may fail to pick on signs that that person might not be right for us. If we allow ourselves to let others show us who they are instead of assuming, we would have a better understanding of one another. 

 

This brings us to the third piece of the evening, a solo performed by Naledi. We live in a time where people feel like they must constantly explain themselves, especially in regards to gender identity. Furthermore, some languages use predetermined genders for certain words, making it even more difficult to escape the respective language constraints. However, in South Africa, where Naledi is from, the gendered words man and girl are not used exclusively in reference to their gender roles. Throughout their performance, Naledi layered a recording of themselves singing, “I’m a King, I’m a Prince, I’m a Prince, I’m a King”, creating a choir sounding musical accompaniment. As their vocals filled the room, they traveled through the space with their arms wide, sometimes even creating the letter “K” with their body. They grooved and danced to their own singing, often making us laugh with the comedic timing of some of their steps. Once the musical number was over, they read a live monologue which featured different ways to pronounce the word ‘girl’. The different alliterations of it, i.e giiirrrrllll, gal, girlie etc, has a curious effect; what is the meaning of a word when that word becomes just a word? 

 

When we repeat something enough times, it often takes on a life of its own, and with that follows certain emotional connotations. If we take away the “scientific correctness” of who we ought to be, then perhaps we would just know. 

 

It is when we are not comfortable with the pressures of society (I mean when are we ever?), that we are forced to to find ways to cope, and potentially hide how we are truly feeling. Frances, the last artist of the evening performed a solo depicting exactly this. Once she’d entered the room, she took a moment to engage with us, smiling…though it seemed dishonest. The irritated twitching of her fingers gave away the internal struggle she was dealing with, and throughout her piece, we watched her journey to confront it. 

 

She used her body to communicate the objectively ‘ugliness’ we go through while trying to ‘keep up with appearances’. We watched as she put herself in literal uncomfortable positions, and were captivated by her creative ways to get out of them. Interestingly enough, there was an apparent beauty in the complexity of her movements, though it was clear that that was not her intention. No matter how we appear to be on the outside, no one really knows what someone could be going through, and it’s ok to not be ok. For most of her piece, we watched Frances express how it feels to hide, and for a moment she did by disappearing behind the black curtain. We could only hear her soft humming, still portraying the idea that ‘everything was fine’. Shortly after she stepped out from behind the curtain, she began to paint blue smears all over her body, truly becoming one with her discomfort, and allowing us to witness it.

 

These four pieces dealt with concepts that are very relevant to what we experience day to day, and it was extremely courageous of the artists to share their individual journeys with us. When it comes to our identity, we are the only ones who can decide how we want to present ourselves. We can’t change how others may interpret that, but that is more of a reflection of them, not us. We are all human, and once we truly accept ourselves for who we are, it becomes much easier to live a harmonious life, whether it be alone, or with a partner. Because we are human, we’ll often encounter people, or be in situations that’ll make us uncomfortable, but staying true to who you are, and not hiding that person is one of the greatest strengths we can use.  

 

We are all unique and come into the world with different obstacles, but how we confront them is what makes us who we are; human. 

 


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