Text zu neworks - Aesthetics of Access #2: „Approaching Care - work in progress“ (28./29. Juni 2024) von Maia Joseph

 

Wir leben in einer Welt, die sich ständig verändert. Der technologische Fortschritt hat die Art und Weise, wie wir miteinander in Beziehung treten, drastisch verändert. Hinzu kommt, dass die Lebenshaltungskosten so gestiegen sind, dass nicht mehr viel Zeit zum Leben bleibt, da man die meiste Zeit damit verbringt, zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Infolgedessen fällt es vielen schwer, ein gesundes Gleichgewicht zu finden. Die Frage ist also, wie wir damit umgehen. Und wie können wir sicherstellen, dass wir selbst und andere gut versorgt sind, wenn das kapitalistische System, in dem wir leben, sich buchstäblich nicht um uns kümmert? Jojo Büttler und Anajara Amarante führten uns durch verschiedene Möglichkeiten in ihrer Arbeit mit dem Titel "Approaching Care - work in progress" und kreierten gleichzeitig einen Raum, der für alle Körper und Sinne zugänglich war. 

 

Die Wahl eines Sitzplatzes wurde durch die farbenfrohe Dekoration des Raumes mit Sitzsäcken, anderen gemütlichen Möglichkeiten und flauschigen Plüschtieren erschwert. Anajara, eine der Performer*innen des Abends, identifiziert sich als chronisch kranke, queere brasilianische Künstlerin. Deshalb war es für sie wichtig, dass der Raum für behinderte und nichtbehinderte Menschen gleichermaßen offen ist. In ihrer Ankündigung betonten sie, dass wir besser verstehen können, wie wir füreinander sorgen können, indem wir Barrieren in Bezug auf die Zugänglichkeit abbauen. Wir können ein besseres Gemeinschaftsgefühl und mehr Empathie entwickeln, indem wir bewusster mit der körperlichen Vielfalt umgehen. 

 

Jojo begann das Stück mit einer akustischen Beschreibung des Raums. Die verbalen Beschreibungen waren eine Konstante während des gesamten Stücks, nahtlos integriert für diejenigen, die sehbehindert sind. Für mich als nichtbehinderte Person ist das immer noch etwas, an das ich mich gewöhnen muss, aber eigentlich sollte dies die Norm sein, denn wir können keinen Zugang zu einer solchen Aufführung schaffen, ohne umfassend zugänglich zu sein. 

 

Jojo stellte dann die drei Personen vor, die ihnen beiden während des gesamten Abends zur Seite stehen würden, offiziell die "Care Agents" genannt. Während sie sich vorstellten, verteilten die drei kleine Care-Pakete, die Kostümteile enthielten. Die beiden Performer*innen trugen beide blaue, kurzärmelige Kapuzenpullis und kurze Hosen, während die Care Agents weiße T-Shirts und verschiedene Hosen trugen. Alle hatten jedoch diese flauschigen orangefarbenen Plüschtiere als Accessoires an ihren Kostümen, die mich an Bakterien erinnerten. Als Jojo über eine fiktive Figur namens Mr. Capitulus Opressiv-Systemus sprach, schien das wie ein Kommentar zu dem System, in dem wir leben. 

 

Wir sind von vielen verschiedenen Ökosystemen umgeben, auch von denen, die unsere körpereigene Zusammensetzung (Mikrobiom) ausmachen. Unsere weißen Blutkörperchen fungieren als "Care-Agenten", die dafür sorgen, dass unser Immunsystem in der Lage ist, unliebsame Störungen zu bekämpfen. Etwas, das zur Stärkung des Immunsystems beiträgt, ist Vitamin C, das in vielen Zitrusfrüchten, wie zum Beispiel Orangen, enthalten ist. Orangen spielten auch bei "Approaching Care" eine große Rolle. Symbolisch gesehen sieht die Sonne (die alles Leben auf der Erde ermöglicht) aus unserer Perspektive aus wie ein orangefarbener Ball am Himmel. Doch die Wärme der Sonne und der süße Saft einer Orange bringen uns mehr, als man auf den ersten Blick sieht. 

 

Im Laufe des Abends wurden wir durch verschiedene Praktiken zur Annäherung an Care geführt. Aufgeteilt in drei Teile, begannen sie mit "Care Romance". Anajara gesellte sich zu Jojo auf die Bühne und sie standen gemeinsam in der Mitte. Während dieser Zeit reichten die Care Agents Schalen mit Wasser herum und erlaubten uns, damit zu spielen und das Gefühl von etwas zu erforschen, das nicht greifbar ist. Während wir uns auf die Sinneserfahrung einließen, experimentierten Jojo und Anajara mit einvernehmlicher Berührung. Anschließend kam es zu einem körperlichen und nonverbalen Dialog zwischen den beiden, als sie erforschten, welche Positionen ihnen helfen, sich besser unterstützt zu fühlen. Manchmal versuchen wir, jemanden so zu umsorgen, wie wir es selbst gerne hätten, obwohl die andere Person vielleicht einen anderen Wunsch hat.

 

In der nächsten Szene schien es um die Bedeutung des Wassers zu gehen, das wiederum für unsere Existenz lebenswichtig ist. Anajara spielte mit einem Regenmacher (ein Musikinstrument, das das Geräusch von Regen imitiert), während Jojo neben ihr tanzte und sowohl verbal als auch körperlich ausdrückte, wie sich Wasser anfühlt, wenn es dey umspült, beruhigt, nährt und natürlich für dem sorgt. 

 

Anschließend wurden wir durch die "Care Movements" geführt. In dieser Szene meldeten sich einige Zuschauer freiwillig, um sich von den Care Agents "pflegen" zu lassen. Jojo und Anajara führten uns zu zweit durch Bewegungen, die wir entweder allein oder mit einem Partner ausführen konnten, um Stress und Verspannungen im Körper abzubauen, die durch die täglichen Herausforderungen des Lebens verursacht werden. Es war schön zu sehen, wie viel wohler sich die Freiwilligen fühlten, nachdem sie massiert und aufmerksam betreut worden waren. 

 

In der folgenden Szene ging es um "Care-Positionen". Während Bilder von verschiedenen Positionen, die zwei Menschen einnehmen können, an die Wand hinter ihnen projiziert wurden, kreierten Jojo und Anajara ihre eigenen. Nach dieser Szene wurde uns Orangensaft gereicht, der uns ein Gefühl von innerer und äußerer Nahrung vermittelte. 

 

In der Schlussszene wurde ein "Orangentanz" aufgeführt. Viele Orangen wurden auf die Bühne gebracht und auf dem Boden ausgebreitet. Beide Künstler*innen traten getrennt auf und erzählten uns von ihren eigenen Erfahrungen mit Orangen. Jojo erforschte das Gefühl, wie sich eine Orange auf deren Haut anfühlt, ihr Gewicht, das Gefühl, sie beschützen zu wollen und die heilenden Eigenschaften, die sie zu bieten hat. Anajara fühlte sich von der Orange umsorgt und fragte sich, warum sie ihr nahe sein wollte. Sie stellten auch fest, dass eine Orange keine perfekte Kugel ist, ähnlich wie die Erde. 

 

Wir finden vielleicht Ähnlichkeiten zwischen uns, aber das bedeutet nicht, dass wir die gleichen Dinge wollen. Wenn es darum geht, sich Care zu nähern, ist es das Wichtigste, dass wir uns ihr vorsichtig nähern. Wir müssen immer daran denken, wie andere unser Handeln interpretieren könnten, auch wenn wir die besten Absichten haben. Das Leben wird uns immer wieder Hindernisse in den Weg legen, aber wenn wir wissen, wie wir damit umgehen können und welche Auswirkungen das auf uns haben kann, sind wir widerstandsfähig. 

 

Nachhaltige Wege zu finden, um das emotionale und körperliche Wohlbefinden der anderen zu gewährleisten, kann uns nur näher zusammenbringen, und die Gemeinschaft, die wir aufbauen (eine, die verschiedene Körper unterstützen soll), sollte die Art sein, wie wir die Dinge in Zukunft angehen: mit Sorgfalt. 

We are living in a world that is constantly changing. Advancements in technology have drastically altered how we relate to one another. In addition to this, the cost of living has increased to a point where there’s not much time to live since most of it is now spent working to support one’s livelihood. As a result, many find it difficult to find a healthy balance. So the question is, how do we cope? And how can we ensure that both ourselves and others are properly cared for, when the capitalist system we live in quite literally doesn’t care about us? Jojo Büttler and Anajara Amarante guided us through with different possibilities through their work in progress entitled “Approaching Care”, while also creating a space that was accessible to all bodies and minds. 

 

Choosing a place to sit was made difficult as the space was colorfully decorated with bean bags, other cozy options and fluffy plushies. Anajara, one of the main performers of the evening, identifies as a chronically ill, queer Brazilian artist. That being said, it was vital for them to ensure that the space was open to disabled and able-bodied people alike. In their pamphlet, they emphasized that one way we can better understand how to care for one another is by breaking down barriers in regards to accessibility. We can build a better sense of community and empathy, by being more conscious about how we support body diversity. 

 

Jojo began the piece by giving a live auditory description of the space. The verbal descriptions were a constant throughout the piece, seamlessly integrated for those who are visually impaired. As an able-bodied person myself, it is still something to get used to, however, this should actually be the norm, as we should not be able to give access to such a performance without being fully accessible. 

 

Jojo then went on to introduce the three people who would assist the duo throughout the evening, formally called the “Care Agents”. As their introduction was being made, the three handed out little care packages, which contained what seemed like pieces of the ensemble’s costumes. The two main performers both wore blue short-sleeved hoodies and shorts, while the others wore white t-shirts with mix-matched bottoms. They all however had these fluffy orange plushies attached to them which reminded me of bacteria. As Jojo spoke about a fictional character called Mr. Capitulus Opressiv-Systemus, it seemed like a commentary on the system we live in. 

 

We are surrounded by many different ecosystems, including the ones that make up our own bodily compositions (microbiomes). Our white blood cells actually act as  "Care-Agenten", ensuring that our immune system is able to fight against unwelcome disturbances. Something that helps with strengthening one’s immune system is Vitamin C, which can be found in many citrus fruits, such as oranges. Oranges actually played a huge role in the evening’s performance as well. Symbolically, the sun (which is what makes all life on Earth possible), from our perspective, the sun looks like an orange ball in the sky. And yet the warmth of the sun, and the sweet juice of an orange benefit us more than what meets the eye. 

 

Throughout the night, we were guided through different practices of approaching care. Separated in three parts, they started off with ‘Care Romance’. Anajara joined Jojo on stage and they stood together in the center. During this time, the Care Agents passed around bowls of water, allowing us to play with it, exploring the sensation of something that cannot be grasped. As we engaged in the sensory experience, Jojo and Anajara experimented with consensual touch. There was then both a physical and non verbal dialogue between the two, as they researched what positions help them both to feel more supported. Sometimes, we try to care for someone else the way we ourselves would like to be, despite the other person maybe having a different desire. 

 

The next scene seemed to be about the significance of water, again something that is vital to our existence. Anajara played with a rain stick (a musical instrument that imitates the sound of rain), while Jojo danced beside them, expressing both verbally and physically how water makes them feel as it washes over them, calms them, nourishes them and of course, cares for them. 

 

We were then guided through ‘Care Movements’. In this scene, a few audience members volunteered to be ‘cared for’ by the Care Agents. Jojo and Anajara as a pair guided us through movements we could do either alone, or with a partner to help release stress and tension in the body, caused by daily factors of living. It was beautiful to see how much more at ease those who had volunteered seemed to feel after being massaged and attentively tended to. 

 

The following scene was about ‘Care Positions’. As images of different positions two people can make were projected onto the wall behind them, Jojo and Anajara created their own. After this scene, we were given orange juice, which guaranteed a sense of both internal and external nourishment. 

 

The final scene featured an ‘Orange Dance’. Many oranges were brought onto the stage, spread out on the floor. Both artists performed separately, sharing with us their own experiences with oranges. For Jojo, they explored the sensation of how it felt against their skin, its weight, and the feeling of wanting to protect it and the healing properties it has to offer. For Anajara, they felt cared for by the orange, and questioned why they wanted to be close to it. They also noted that it wasn’t a perfect sphere, similarly to the Earth. 

 

We may find similarities between one another, but that doesn’t mean that we want the same things. When it comes to approaching care, the most important thing is that we approach it carefully. We must always keep in mind how others may interpret our actions, even if we have the best of intentions. Life will always throw obstacles our way, but knowing how to deal with them, and the repercussions it may have on us is what makes us resilient. 

 

Finding sustainable ways to ensure one another’s emotional and physical well-being can only bring us closer, and the community we build (one that’s meant to support diverse bodies), should be the way we approach things going forward; with care. 


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