Text zum A.PART Festival 2023 - Programm 1 (5. Mai 2023) von Alexandro Gonzalez, der für die Studioschreiberin Adèle Aïssi-Guyon eingesprungen ist, die selbst am Festival teilnimmt. Ins Deutsche übersetzt von Auro Orso
Am 5. Mai besuchte ich die erste Vorstellung des A.PART Festivals. Das Programm des Abends besteht aus fünf Aufführungen mit einer kleinen Pause und einem Nachgespräch. Die Kunstschaffenden, die an den Vorführungen teilnehmen, sind aufstrebende Künstler, die in den letzten Jahren ihren Abschluss gemacht haben. Ich sitze in einem rosafarbenen Kissen, ein
Notizbuch in der Hand, bereit, mir Notizen über den Abend zu machen. Es riecht gut, nach Bonbons. Das Atelier ist voll und die Person neben mir schreibt eine Notiz ins Telefon: "idées pour mon solo" (Ideen für mein Solo).
Mateo Argerich: Bitte Aussteigen - Das Musical
Mateo sitzt auf der linken Seite der Bühne auf einem Podest mit Rädern; eine Cheerleaderperson macht sich bereit, auf die Bühne zu springen. Die Lichter des Publikums gehen aus und die Bühne erhellt sich. Mateo beginnt auf dem Podest zu rutschen, wie bei einem Popkonzert, in die Mitte der Bühne. Währenddessen hören wir, wie sie mehrere aufgenommene Texte in einer Schleife sprechen, begleitet von Klatschen, die einen schnellen Rhythmus vorgeben. Gleichzeitig singt Mateo live und
wir können alle Texte an der Rückwand sehen. "Pelusia": das können wir auf dem rosa, roten, schwarzen und weißen Crop-Top lesen, das Mateo trägt. Das breite Lächeln wird durch den Zahn vervollständigt, den sie auf der Rückseite des Crop-Tops tragen. Gib mir ein Visum, gi-gib mir ein Visum! Mateo spricht das Publikum direkt an, es fühlt sich an wie ein Gespräch mit einem Freund, einem sehr lauten und bunten Freund. Die ganze Show ist in Szenen unterteilt, die jeweils einen Song ihres Albums "Bitte Aussteigen" präsentieren. Während der Show sehen wir Mateo als dummes Highschool-Mädchen, als sexuellen Spieler, als Einwanderer in Berlin, der zur Stimme von Mercedes Sosa singt, als vivir en vos, als Broadway-Star. Ich bin traurig. Ich bin schmutzig. Ich werde ignoriert. Ich bin spitz.
Sointu Pere & Oli Fierz: Genuss formen
Langer, voller, verlorener Blick. Die beiden Performenden wenden sich dem Publikum zu. Ihre Gesichter werden zu ausdrucksstarken Masken und bewegen langsam ihre Gesichtsmuskeln. Diese Geste wandert durch den ganzen Körper und erzeugt sanfte Wellenbewegungen. Die beiden Darstellenden bilden auf der Bühne einen einzigen Körper, obwohl sie weit voneinander entfernt sind. Vibrierend, schüttelnd, zitternd. Beide tanzen, ohne sich im Raum zu bewegen. Lokal. Ich
fange an, die tieferen Frequenzen der Musik in meinen Füßen zu spüren. Die Wellenbewegung wird zu einem Drängen. Versuchen sie, etwas in oder aus ihren Körpern zu lassen?
Lust formen. Sie entziehen sich der Synchronität, obwohl sie sich ähnlich bewegen. Zur Wand laufen, schieben, zur Wand laufen, schieben, zur Wand laufen... Ich spüre die Anstrengung in ihren Körpern. Die Musik hat den ganzen Raum zum Beben gebracht, und als sie aufhört, atmen die beiden Performer laut auf. Sie fangen an, über ein fiktives Szenario zu sprechen: knusprig, wässrig.
Die beiden sprechen über sehr unterschiedliche Fiktionen. In den Körpern ist eine Sehnsucht zu spüren, ein Verlangen nach Berührung, das sich nie erfüllt. Das Zusammenfließen von Öl und Wasser. Sie verlassen den Raum und erzeugen mit ihrem Atem rhythmische Muster, bis das Licht ausgeht. Ihr Atem füllt den dunklen Raum, bis das Publikum zu klatschen beginnt.
Aminata Reuß: Ami in the box
Musik ist für mich die Quelle von Tanz, sagt Aminata, die vorne auf der Bühne sitzt und dem Publikum den Rücken zuwendet. Ein starker Beat erfüllt den Raum, der nun rot erleuchtet ist.
Aminata bewegt ihren Körper im Rhythmus der Musik und vollführt kraftvolle und starke Afrobeat-Bewegungen. Von einer Seite zur anderen, eine Art Zauberei, die tief aus dem Inneren kommt. Eine Verzauberung. Die Muskelspannung steigt und bricht in Zittern aus. Es ist eine doppelte Hingabedes Körpers, zum einen an die Musik und zum anderen an das Publikum. Ein starker Blick durchdringt das Publikum. Die ganze Performance zeigt eine große Freude am Tanzen und an der Bewegung im Rhythmus der Musik. Die schlichte Aussage zu Beginn des Stücks "Schließt die Augen, lasst euch berühren - und wenn ihr Lust habt - bewegt euch" schwingt im Publikum mit und einige Leute fangen an, sich im Takt zu bewegen. Auch mein linker Fuß pulsiert im Takt der Musik, während ich mir Notizen mache. Fühlt sich gut an, oder?
Joanina Suchomel & Andreina Eymann: be alright
Ritrato. Zwei Darsteller halten sich an den Händen und kehren dem Publikum den Rücken zu.
Langsam enthüllen sie ein clownsartig geschminktes, weißes Gesicht. Promesa. Sie tragen beide schwarze Anzüge. Sie gehen auf der Stelle, mit einem Minimum an Anstrengung. Ab und zu tauchen akzentuierte Gesten mit den Armen auf. Die Szene ist geheimnisvoll, aber ich habe das Gefühl, dass die beiden Wesen eine Art Botschaft übermitteln, ein Wort verbreiten wollen. Parola.
Sie heben langsam die Arme zur Seite. Crux. Die Schatten, die in der Rückwand entstehen, geben zusammen mit den schwarzen Anzügen ein Gefühl von Vielfältigkeit. Pensiero. Es ist noch nicht das Ende. Ein Gedanke über den Tod taucht auf. Eine Tür in der linken Wand des Studios öffnet sich und ein Haufen roter Clownsnasen wird in den Raum geworfen. Es ist eine sehr Lynch'sche Szene, in der einer der Darsteller allein Salsa tanzt und dabei sanft lächelt. Ein synchroner Tanz wird im Rhythmus elektronischer Musik aufgeführt. Beide Performer schauen sich in die Augen und bewegen sich in entgegengesetzte Richtungen. Ist das jetzt das Ende?
Samira Aakcha, Giulia Lampugnani & Constantin Carstens: Aus dem Stuhl der Erzählenden
Samira und Giulia stehen in der Mitte der Bühne. Sie präsentieren einen sich bewegenden Körper voller Ecken, Kanten und Ploppen. Popping.
Die kleinen Gesten werden größer und größer, bis sie ihren Weg zum Boden finden. Ihre Bewegungen suggerieren eine Art Rätselhaftigkeit. Die Bewegung ist schnell, artikuliert, ausgesprochen, und sie wird immer schneller und schneller.Ich denke an Kodifizierung: Einige Bewegungen wiederholen sich und sind ihnen gemeinsam, als hätten sie ein gemeinsames figuratives Vokabular. Ich drehe mich um und bemerke die Anwesenheit von Konstantin, der für die Elektronik zuständig ist. Es herrscht ein starkes Gefühl von Polyrhythmik, das den Raum mit Beats, Bits und Pops erfüllt. Samira und Giulia führen hoch choreografierte Sequenzen auf. Die Musik nimmt langsam an Dichte und Lautstärke zu, und die beiden Körper berühren sich zum ersten Mal.
Ist es ein Liebesduett? Ein Pas de deux?
On the 5th of May I attended the first showing of the A.PART Festival. The program for the evening consists of five performances with a small break and an after-talk. The artists that take part in the showings are emerging artists who graduated in the last years. I find myself sitting in a pink pillow, notebook between my hands, ready to take notes about the evening. It smells good, like candy. The studio is full and the person next to me is writing a note in the phone “idées pour mon solo” (ideas for my solo).
Mateo Argerich: Bitte Aussteigen – Das Musical
Mateo is sitting on the left side of the stage, on top of a platform with wheels; a cheerleader prepared to jump onstage. The lights of the audience go out and they fade in onstage. Mateo starts sliding on top of the platform, pop concert like, to the center of the stage. Meanwhile, we hear them talking several recorded texts in loop, accompanied by claps setting a fast rhythm. At the same time, Mateo is singing live and we can see all the lyrics projected in the back wall. “Pelusia”: is what we can read in the pink, red, black and white crop-top that they wear. A big smile completed by the tooth they wear in the back of the crop-top. Give me a visa, gi-give me a visa! Mateo addresses the audience directly, it feels like having a chat with a friend, a very loud and colorful friend. The whole show is divided in scenes, each presenting one song of their album “Bitte Aussteigen”. During the show we see Mateo presenting themselves as a stupid highschooler girl, a sexual player, an immigrant in Berlin singing to the voice of Mercedes Sosa, vivir en vos, a Broadway star. I am sad. I am dirty. I am ignored. I am horny.
Sointu Pere & Oli Fierz: shaping pleasure
Long, full, lost gaze. The two performers face the audience. Their faces start to become expressive masks, moving their facial muscles slowly. This gesture travels through the whole body creating soft undulations. The two performers, although distant between them, form a single body onstage. Vibrating, shaking, trembling. Both dance without travelling in the space. Local. I start feeling the lower frequencies of the music in my feet. The undulation becomes a pushing. Are they trying to let something in or out of their bodies? Shaping pleasure. They scape synchronicity, although they share similar moves. Run to the wall, push, run to the wall, push, run to the wall… I feel the effort in their bodies. The music was making the whole space tremble and, when it stops, the two performers breathe loudly. They start talking about a fictional scenario: crunchy, watery. Both of them talk about very different fictions. There is a sense of longing in the bodies, a desire of touch that never fulfills. Coalescence between oil and water. They leave the space creating rhythmical patterns with their breath until the lights go off. Their breath fills the dark space until the audience starts clapping.
Aminata Reuß: Ami in the box
Music is for me the source of dance, states Aminata sitting in the front of the stage giving the back to the audience. A strong beat fills the room, now illuminated in red. Aminata moves their body to the rhythm of the music, performing vigorous and strong afrobeat moves. Side to side, a sort of sorcery that comes from deep inside. An enchantment. The muscular tension increases and breaks into trembling. There is a double offering of the body, on the one hand to the music and on the other hand to the audience. Dark eyes, a strong gaze penetrates the audience. The whole performance showcases a strong joy for dancing and moving to the rhythm of the music. The simple statement at the beginning of the piece “close your eyes, let yourself be affected - and if you feel like it - get moving” resonates in the audience and some people start moving to the beat. My left foot also pulses to the music while I take notes. It feels good, right?
Joanina Suchomel & Andreina Eymann: be alright
Ritrato. Two performers hold hands giving the back to the audience. Slowly they reveal a clown-like makeup, white face. Promesa. They both wear black suits. They walk on the spot, with a minimal effort. Accentuated gestures with the arms appear now and then. The scene is mysterious but I get the feeling that the two beings want to communicate some sort of message, spread a word. Parola. They slowly lift the arms to the sides. Crux. The shadows created in the back wall, together with the black suits, give a sense of multiplicity. Pensiero. It is not yet the end. A thought about death appears. A door in the left wall of the studio opens and a bunch of red clown noses are thrown to the space. It is a very Lynchian scene, with one of the performers dancing salsa alone while smiling softly. A synchronized dance is performed to the rhythm of electronic music. Both performers look to each other in the eyes moving in opposite directions. Is it now the end?
Samira Aakcha, Giulia Lampugnani & Constantin Carstens: From the narrator’s chair
Samira and Giulia stand in the middle of the stage. They present a moving body full of angles, edges and pops. Popping. The small gestures become bigger and bigger, until they find the way to the ground. Their movements suggest a kind of enigma. The movement is fast, articulated, enunciated, and it gets faster and faster. The idea of codification comes to my mind: some moves are repetitive and common between them, as if they shared a common figurative vocabulary. I turn around and I realize the presence of Constantin, in charge of the electronics. There is a strong sense of polyrithm, filling the room of beats, bits and pops. Samira and Giulia perform highly choreographed sequences. The music slowly builds up density and volume, and the two bodies touch for the first time. Is it a love duet? A pas de deux?