Text zu NAH DRAN 67 (2./3. Dezember 2017) von Alexandra Hennig und Johanna Withelm
INTRO#
Im folgenden Text verfahren wir erneut nach dem Stille Post-Prinzip, dieses Mal umgekehrt. Ich (Johanna) schreibe über drei Stücke, die ich selbst nicht gesehen habe – die Texte basieren auf
einem Skype-Chat mit Alexandra, in dem sie mir von ihren Erinnerungen an den Abend erzählt hat. Was ich aufschreibe, sind wiederum meine Erinnerungen an ihre Erzählungen, die sich
mit meiner eigenen fiktiven Vorstellung vermischen und zu einer Behauptung führen, die eine Lücke der Abwesenheit markiert und damit durchaus unvollständig ist.
In Kursiv finden Sie Alexandras Reaktionen, Kommentare, Stellungnahmen als Korrektiv zu meiner Kritik über den (nur) imaginär erlebten Abend.
Nicola Bullock: soft fists insist
Dies ist ein Tanzsolo, das sich (wieder einmal) kritisch mit Frauenrollen, mit Zuschreibungen und Bildern von Weiblichkeit auseinandersetzt. Die Relevanz dieses Themas steht außer Frage – und ist
zurzeit in der Tanz- und Performance-Szene omnipräsent (und das zu Recht). Eine Vielzahl an Künstler*innen beschäftigen sich mit diesem Feld, es beginnt sich eine Art feministisches Genre
auszudifferenzieren, das nicht niedrige Qualitätsstandards setzt. Deshalb ist es auch umso schwerer, eine Arbeit abzuliefern, die etwas neues hinzufügt, einen eigenen richtungsweisenden Ansatz
hat, nochmal zum Nachdenken anregt. Ich frage mich, ob das hier gelungen ist. Ich stelle mir vor, ich wäre dabei gewesen:
Eine Frau im Blumenkleid (Nicola Bullock) beugt sich über die aufgeschlagene Frauenzeitschrift „Glamour“. Sie zieht sich an den Haaren, so dass die senkrecht nach oben stehen, steckt sich die
Haare in den Mund. Ich bin etwas irritiert über die Verwendung von Requisiten (Zeitschrift) und dem deutlichen gesellschaftskritischen Hinweis darin (Tanztheater?), und auch von den Haaren im
Mund. Nicola Bullock beginnt dann, sich im Kreis zu drehen und hexenartig zu tanzen – ich stelle mir vor, wie sie die Schultern hochzieht, die Finger krallt, vielleicht sogar das Gesicht
verzieht. Dann wird der Raum in pinkes Licht getaucht, und plötzlich transformiert sich die Hexe zu einer Frau, die zu elektronischer Clubmusik catwalkartig über die Bühne läuft, dazu folgt eine
Aneinanderreihung von „sexy“ Posen. Ich stelle mir vor, wie ich während des Zuschauens gedacht hätte, dass dieses Reproduzieren von weiblich konnotierten Posen in Stücken oft auch nicht
funktioniert. Ziemlich genau das hab ich gedacht. Die Kritik darin ist offensichtlich – wir können alle einverstanden sein, aber nur das reicht eben nicht aus. Woran ich mich beim
Zuschauen festgehalten hätte, wäre die Projektion im Hintergrund: ich sehe Bilder von Beyoncé, Britney Spears, Madonna und Marilyn Monroe, übergroß, in ihren Posen. Herausgestellte Hüften, fest
auf dem Boden stehende Füße in High Heels, herablassende Blicke, dazu die projizierten Worte LOVE und MAGICAL WOMAN. Die versammelten Pop-Ikonen in dieser überzeichneten Weiblichkeit und zugleich
machtverkündenden Präsenz, das hätte mir gut gefallen als ein kluger Verweis im Ringen um Bilder von Weiblichkeit. (hab ich High Heels gesagt, oder ist das jetzt deine Phantasie?) Es ist
verrückt, du entwirfst ein sehr anschauliches Bild und ich bin mir nicht mehr sicher, was dem Bühnengeschehen näher kommt – meine Erinnerung oder deine Erzählung... Am Ende geht Nicola
Bullock wieder zu der Frauenzeitschrift, reißt einzelne Seiten heraus und steckt sich die ins Dekolleté, unter die Achseln, in die Unterhose und in den Mund. Ich stelle mir vor, wie ich das
plakativ und vorhersehbar gefunden hätte, ich hätte gedacht, oh nein, bitte nicht auch noch in den Mund! Ich muss sagen, diese Geste fand ich eigentlich sehr konsequent und fast schon
notwendig, um dem vorangegangenen Catwalk-Gepose etwas entgegen zu setzen. Das war im Grunde auch der stärkste/persönlichste? Moment des Solos.
Daniella Eriksson: Ranunculus
Ich glaube, dass mir dieses Tanzsolo gut gefallen hätte, wenn es mich auch oder gerade weil es mich zeitweise vielleicht perplex zurückgelassen hätte. ….das hat es.
Daniella Eriksson steht in der hinteren Ecke des Raums, eingequetscht, mit sehr schüchternem Blick, als würde sie am liebsten gerade nicht auf dieser Bühne stehen. Das Kostüm scheint sehr
speziell gewesen zu sein (Großartig: Zitat Alex via Skype: „So eine komische grüne viel zu große Jacke. Mhmm... wie so eine russische Winterjacke. Oder Jägerjacke. Total schräg. Dazu Jeans,
Sneakers, rote Socken UND: ich dachte echt so, was ist da los? So ein komisches Glitzer-Top, beige, mit Spagettiträgern und so Pailletten“ oh, das hab ich gesagt ;)), und auch
stellvertretend für den Rest zu stehen: schräg bis absurd, nicht leicht einzuordnen, aber auch eindrücklich, stark, handwerklich gut gemacht.
Daniella Eriksson entwickelt einen ganzen Monolog an Stimmungen, pantomimischen Gesten und Gesichtsausdrücken. Zustände wie Zweifel, Verlegenheit, Ratlosigkeit, Albernheit, Wut, Erhabenheit
durchspülen ihren Körper und transformieren diesen ständig, ein Kaleidoskop von Gefühlsausdrücken eröffnet sich, nichts bleibt, die Zuschauenden werde permanent überrascht und von einer
Verfassung in die nächste getaucht. Zwischendurch wird es richtig schauspielerisch, sie reißt den Mund auf und formt Laute wie Ooooh und Aaaah (ohne Ton) und schlägt mit den Fäusten auf den Boden
(wütend!), um daraufhin wieder albern zu werden usw... Unterspült werden diese pantomimischen Ausdrucksweisen an einigen Stellen auch noch durch technisch versierten Tanz, der an den in Israel
entwickelten Bewegungsansatz „Gaga“ erinnert – ein weiterer Bruch mit der Gesamt-Ästhetik. Es scheint, als ob Daniella Erikssons Körper von Impulsen durchfahren wird, die permanent die Richtung
ändern, als ob ein Tennisball durch die Gliedmaßen gleitet und die einzelnen Körperteile zum Kreisen bewegt – schnell und dyamisch und dabei fließend und weich.
Ich stelle mir vor, wie ich beim Zuschauen innerlich hin und herschwappe zwischen Amüsement, Irritation und Bewunderung. Die Bewegungsqualität mit den ständigen Impulsen, die scheinbar von außen
den Körpern bewegen, bilden ein kluges Äquivalent zur ständigen Körpertransformation durch die Pantomime – diese ungewohnte Kombination der Mittel scheint dabei genau die Stärke der Arbeit zu
sein. Das Einsetzen der höchst theatralen Mimik und Gestik bricht mit Gewohntem und hätte mich wohl irritiert, aber durch das permanente Springen besteht keine Gefahr der Bedeutungsschwere – im
Gegenteil, der Anteil Nonsens erzeugt auch erfrischende Leichtigkeit. Auch ist nicht zu entziffern, wer sie eigentlich selbst ist, die Haltung der Performerin changiert ständig und hinterlässt
auch etwas Unergründliches. Als gegen Ende noch eine Karotte auf die Bühne fliegt, hätte ich wahrscheinlich sehr lachen müssen und das Gemisch an Überraschungen kommt zu einem guten Schluss.
Der Moment, als die Karotte auf die Bühne flog, hat mich tatsächlich überzeugt ;) Ansonsten hast du meinen Eindruck so genau in dein Schreiben übersetzt. Was kann ich da noch
hinzufügen?
Özlem Alkış & Maayan Danoch: we began walking THERE we have been
Özlem Alkış & Maayan Danoch beschäftigen sich mit dem gleichwertigen Miteinander von Körper, Licht, Sound und Gegenständen und begreifen den Raum als darüber stetig neu zu erfindende
Landschaft. Die choreografische Struktur ist dabei denkbar simpel: Der Raum bleibt die meiste Zeit im Dunkeln, die beiden Performerinnen bewegen sich mit Taschenlampen. Sie positionieren sich im
Raum: Knips, Licht an, Knips, Licht aus. Sie bewegen sich und positionieren sich wieder an einer anderen Stelle: Knips, Licht an, Knips. Licht aus. Das Licht der Taschenlampe leuchtet dabei an
die Wand und auf den Boden, die zwei Performerinnen bleiben weitestgehend im Dunkeln. Ich stelle mir vor, dass das Zuschauen etwas ermüdend gewesen wäre und wie ich daran gedacht hätte, dass ich
schon sehr oft Taschenlampen in Tanzstücken gesehen habe. Ein schöner Moment entstand dann, wenn das Knipsen schneller wird und das Gefühl entsteht, das Licht wabert, es tanzt förmlich im Raum
und bildet eine neue Komponente von Bewegung. Dem hätte ich mich hingegeben, ein plätscherndes Rieseln von Licht, Bewegung und schlürfenden Schritten im Raum, vielleicht wären meine Gedanken
abgeschweift und ich hätte das als meditativen Moment, als kleine Zeit-Oase an diesem Tag begriffen. Es ist interessant, deine Übersetzung macht die Arbeit fast größer, als ich es als
Zuschauerin wahrgenommen habe. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass hier genau das Problem dieser Arbeit liegt: Das Konzept gibt theoretisch mehr her als in seiner Umsetzung. Wenn die beiden
sich verbeugen und die Zuschauer*innen klatschen, hätte mich kurz gewundert, warum sie sich auch im Halbdunkeln verbeugen, vielleicht wollen sie die Zuschauer nicht blenden, wollen nicht, dass
sie auftauchen aus dieser rieselnden Blase aus Dunkel, Licht und Schatten. Ja, vielleicht. Ich dachte noch, es ist wiederum eine konsequente Zurückweisung von Sichtbarkeit und dass sich darin
vielleicht eine feministische Geste ankündigt. Andererseits: Sollten wir nicht eher im Rampenlicht stehen? Vielleicht hab ich auch das Konzept nicht verstanden…
Liebe Johanna, danke für deine Übersetzung – fast als wärst du doch dabei gewesen!