Text zu NAH DRAN 46 (11./12. Oktober 2014) von Thomas Schaupp
Die 46. Ausgabe von Nah Dran war für mich eine besondere, denn diesmal war ich nicht nur Beobachter, sondern auch als Dramaturg an einer der drei vorgestellten Arbeiten beteiligt. Auf die letzte Arbeit dieses Abends, GRÉ GRA (work in progress) von Aline Landreau, werde ich deshalb der Objektivität halber auch nicht eingehen. Stattdessen wird dazu Gabi Beier ein Interview mit mir führen, das in Kürze hier zu finden sein wird.
Starten durfte dieses Mal Claudia Garbe, die uns Zuschauer zusammen mit dem Komponisten Johnny Chang und ihrem Stück slow changes #2 in den Genuss und Verdruss der langen Weile versetzte. Dabei kann ich durchaus und an sich mit ihrem Thema etwas anfangen: „In einer Zeit, in der wir einer rasanten Flut von Informationen und dem ständigen Druck ausgesetzt sind, unsere Leistung und Geschwindigkeit zu maximieren, beschäftigen sich [die beiden] mit langsamer Veränderung und Dauer. Sie untersuchen den Raum, der entsteht oder sich zeigt, wenn man einem Klang, einer Bewegung des Körpers oder der gemeinsamen Begegnung Zeit gibt.“ Das knapp fünfunddreißig Minuten währende Stück nahm auch einen ganz spannenden Anfang. Claudia Garbe stand in der mir diagonal gegenüberliegenden Ecke des Raumes, während sich Chang überraschend vom Stuhl neben mir erhob und in den Raum trat. So standen sie dann erst einmal eine kleine Weile in dem sich langsam erhellenden Licht. Das Heben und Senken ihrer Brustkörper und das Pulsieren ihres Herzschlages ließ ihre Körper leicht wippen und dieses wurde vernehmbar, wie auch mein eigener Atem und der meines Sitznachbars und so weiter. Zu dieser Klangatmosphäre trug auch das ulkige Kleid aus Braunpapier, fast einem aufgeplusterten Tutu gleich, bei, jenes sie an sich trug – es knisterte und knatterte mit jeder Woge. Aus den Lautsprechern erklang leise urbanesker Sound, komponiert von Chang. Dann etwas Bewegung: Er nahm einen Bogen in die Hand und zog in gemächlich über ein Stück Pappe, sie ging eine Diagonale durch den Raum zum Fenster und öffnete es. So stand sie dann auch direkt vor mir, den Blick abgewendet. Allerdings war sie mir nur körperlich nah, vom Bewusstsein der „proximity“ (als performative Methodik als ein bewusstes Gewahr machen gemeinsamer Präsenz des/r PerformerIn und des/r ZuschauerIn durch die Nähe/Distanz zueinander zu verstehen) war nur sehr wenig zu spüren. Das setzte sich so leider auch im Weiteren fort, wirkten beide eher mal abwesend oder nervös. Auch hatte ich etwas das Gefühl, als seien die Raumbewegungen und -positionen von einer früheren Version übernommen worden, ohne sie dem ada Studio wirklich anzupassen. Darunter litten dann auch so manch Momente. Letztlich verlor sich dadurch jedenfalls recht schnell die Energie der Stille und der Langsamkeit ins Unwesentliche. Dabei wäre doch gerade die Präsenz wohl ein essentieller Gegenstand für Garbes Untersuchung gewesen: die gemeinsame Begegnung und das gemeinschaftliche Erzeugen dieses Ruheraums mit den ZuschauerInnen in eben diesem Raum. So jedenfalls blieben letztlich nur die Ansammlungen all der Geräusche – das Räuspern des Zuschauers, der Atemhauch der nahen Tänzerin, das Klacken meines Kulis oder das Geigenspiel des Komponisten, die Außengeräusche vom offenen Fenster eindringend und so weiter. Eine Klangmasse, die so eher unruhig werden und die Zeit am Ende einfach nicht vergehen ließ. Vielleicht aber hatte ich mit dem Sonntag einfach auch nur einen schlechten Abend erwischt, denn das ganze Konzept ist auch per se schon ein Wagemutiges, und eben sehr stimmungsabhängig – auf beiden Seiten.
In Solo von Ayaka Azechi spielte die Stille auch eine Rolle. Ihre Arbeit kam nämlich ganz ohne musikalische Begleitung aus und war klanglich rein auf ihre Bewegungs- und Atmungsgeräusche reduziert. Anfangs waren gar nur ihre Schritte vernehmbar, denn der ganze Raum war in völlige Dunkelheit gehüllt. Nur ganz langsam gewöhnten sich die Augen daran und ließen den Körper Azechis, im Karree durch den Raum gehend, wie einen Schatten vom tiefen Schwarz abheben. Ist sie etwa nackt?, fragte ich mich in dem Moment noch. Dann plötzlich zuckten Lichtblitze für klitzlekleine Momente aus ihren Händen, als sie so weiter durch den Raum wanderte. Zu kurz, um wirklich etwas zu erkennen, aber die Aufmerksamkeit wurde dadurch noch erhöht. Ich meinte nun aber, einen Bodyanzug an ihr zu erkennen. Dann stoppte sie in der hinteren Mitte des Raums und begann mehr mit den Taschenlampen zu spielen. Die beiden Lichtpunkte wurden nun zu den sichtbaren Zeugnissen ihrer Bewegungen und übertrugen diese in den Raum hinein. Die Passage ihres Tanzes und sie selbst jedoch blieben nur eine Ahnung. Und genau das machte eben auch die Spannung aus. Das, was sich über die Lichtextension von der Bewegung in die Schwärze einschrieb und für Momente auch die Augen blendete, untermalt von den Körpergeräuschen, reduzierte den Tanz auf die Facetten seiner Bewegung und schuf zugleich umso mehr eine Konzentration auf die Initiatorin, auf den Körper, den ich irgendwie versuchte zu (be)greifen. Auch der sonst leere und gar nicht so große Raum des ada Studios wirkte sehr viel weiter, wenn die Wände durch die sachten Lichtreflektionen erhellt wurden. Mehr und mehr aber gab Azechi schließlich von sich preis: So fuhr sie mit den Taschenlampen an sich entlang, erst über die Details des Gesichts, das durch die dünne Haut immer wieder auch rot aufglühte, und dann den ganzen Körper hinab. Der Body entpuppte sich schließlich als hautfarbenes Kleid. Am Ende tanzte sie ihre Passage auch noch einmal in einem Spotlicht. Die Verhältnisse drehten sich – das Licht war nicht mehr Darsteller, sondern nur noch einfache Beleuchtung. Eigentlich schade, denn ich denke, diese Wende zur Zurschaustellung der Tänzerin hinter dem Tanz hätte das zwanzig Minuten währende Stück gar nicht nehmen müssen. Dennoch, eine schöne Arbeit. Dann kam die Pause und damit endete dieser Abend für mich als Studioschreiber, zumindest für diese Ausgabe.