Text zu NAH DRAN extended: Temporary Archipelago no. 2 (20./21. September 2014) von Thomas Schaupp
Spätestens seit dem Bekanntwerden des Rechtsstreits zwischen Anna Teresa de Keersmaeker und Beyoncé Knowles im Jahr 2011 hat sich die Auseinandersetzung mit dem Thema Urheberrecht/Copyright im
Tanz etabliert und wird nach wie vor kontrovers diskutiert, sowohl auf (man denke zum Beispiel an Christoph Winklers choreographische Arbeit „Dance!Copy!Right?“) als auch hinter der Bühne. Die
Debatte kreist um zahlreiche Fragen: Das Urheberrecht schützt das geistige Eigentum und damit auch eine künstlerische Handschrift, doch wie lässt sich diese im Tanz einwandfrei erkennen? Eine
Aufführung lässt sich als einmaliges und unwiederholbares Ereignis definieren und entzieht sich insofern eigentlich per se einem Copyright, oder? Und wie steht es um die Dokumentation dieser
Aufführung auf Video? Und überhaupt, wie lässt sich in Körper eingeschriebene Bewegung je/weils/mals kopieren? Präzedenzfälle gibt es in der Rechtsgeschichte kaum bisher und so bleiben alleine
schon von judikativer Seite viele Fragen offen.
Das Trio Temporary Archipelago (eigentlich ein Quartett, aber Ana Laura Lozza, Kareth Schaffer und Claudia Tomasi müssen an diesem Wochenende ohne Lee Meir auskommen) beantwortete all
diese Fragen genauso wenig wie ich es nun tun werde, bastelte sich und uns ZuschauerInnen aber mit ihrer zweiten Zusammenarbeit Interluding ein kleines Spielchen daraus: Während die
vier Archipelagisten in der ersten Ausgabe ihrer Zusammenkunft die jeweils eigenen Arbeiten und Handschriften nebeneinandergestellt zeigten und so nach einer Balance „zwischen Individualismus und
Kollektivismus“ suchten, vermischten sich die eigenen künstlerischen Ansätze im Rahmen dieser zweiten Etappe nun zu einem miteinander verwobenen Zwischenspiel eines Ganzen, dessen Fortsetzung
oder Kulmination wir dann wohl in einer nächsten Ausgabe erwarten dürfen. Jedenfalls, im Programmheft zu Interluding forderte das Trio die ZuschauerInnen nun also dazu auf, die
„Stränge der Urheberschaft, die durch das gemeinsame Abenteuer gewoben sind, selbst zu erahnen“. Welch ein Mist, dass ich die erste Ausgabe, die übrigens im Juni diesen Jahres in der Tanzfabrik
Kreuzberg gezeigt wurde, verpasst habe. Zumindest mir fehlten somit die Spielsteine, also die Referenzpunkte (eigene „Themen, Gesten und Dringlichkeiten“, wie sie es selbst nennen), die mich hie
und da vielleicht erahnen lassen würden, welche Spuren jeder Künstlerin jeweils noch zu erkennen gewesen wären ... Game over! ...Übrigens auch eine entzückende Art der Zuschauerbindung.
Aber nein, so dramatisch war das nicht. Der Abend machte auch so viel Freude.
Die Künstlerinnen des Kollektivs haben schon zu Studienzeiten mehrerlei Schnittstellen in ihren individuellen Forschungsinteressen entdeckt, so etwa die „Übersetzung des Geräuschemachens für die
Bühne“ und „die gleichzeitige Herstellung und Wahrnehmung des fotografischen Bildes“. Und so kam es dann wohl auch konsequenterweise zu der Idee einer Zusammenarbeit und schließlich auch zu der
kollaborativen Entdeckung und Übertragung eigener Handschriften auf eine Gemeinsame für Interluding. Dahinter scheint aber auch ein politisches Statement zu stecken. So lässt sich
über ihre Beweggründe lesen: "Wir haben diese Plattform gegründet, um sicherzustellen, dass die kommunalen und unterstützenden Beziehungen, die wir während unseres Studiums am
Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin gepflegt haben, in einer künstlerischen Landschaft, die noch weitgehend von individuellem Produzieren besessen ist, nicht leiden“. Dies lässt sich wie
ich finde auch und gerade auf die aktuelle Urheberrechtsdebatte übertragen und bietet einen ernst zu nehmenden und spannenden Denkansatz: Anstatt bei der Formung einer eigenen Handschrift stets
auf der Hut davor zu sein, einem künstlerischen Ausdruck oder einer Idee eines/r KonkurrentIn eventuell zu Nahe zu kommen oder seine eigenen Ideen zu früh der Öffentlichkeit Preis zu geben oder
ferner auch in einer Debatte zwischen Re-Interpretation und Plagiat unterzugehen, zieht das Kollektiv gemeinsam an einen Strang und bestärkt sich in der individuellen künstlerischen Entwicklung
durch die Offenheit und Transparenz einer gemeinsamen Auseinandersetzung und gegenseitiger Inspiration.
Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist also Interluding. Der Abend begann schon beim Betreten des ada-Studios: Die drei Künstlerinnen standen mit unterschiedlichen großen und
verschiedentlich gestalteten Folien (alle aber durchzogen von deutlichen Spuren der Bearbeitung) in der Hand im Raum und verdeckten sich damit das Gesicht. Zwischen ihnen befanden sich mehrere
Objekte, unter anderem ein schwarzes Podest, ein Wollknäuel, Säge und Melone. Auf die hintere Wand wurde ein Dia- beziehungsweise eher Trialog zwischen X, Y und Z projiziert und markierte
gleichzeitig auch einen Beginn: X fragte, „Are you both ready to play?“ und Y und Z antworteten knapp „Ready!“ - „Who is starting first? Animal, Mineral oder vegetable?“ - Mineral hatte den
Vorzug (was auch immer damit gemeint war), aber auch das Gemüse (wohl die Melone) und das Tier (präsent wohl durch den sukzessiven T-Shirt-Wechsel aller drei Künstlerinnen von plain coloured zu
tigermustern) kamen im weiteren Verlauf nicht zu kurz. Wie auch immer und was auch immer das genau zu bedeuten hatte, nach diesem Startpunkt entfaltete sich vor uns Zuschauern ein unterhaltsamer
Abend zwischen stets im Wandel befindlicher Ausstellung und Nutzung von Objekten sowie tänzerischer Performance in bewegter Landschaft, untermalt von einem wiederkehrenden Trialog auf infiniter
Suche nach Antworten. Objekte verschwanden und tauchten verwandelt wieder auf, neue kamen hinzu und vermehrten sich gar. Auch das Geräuschemachen kam nicht zu knapp: Schon kurz nach Beginn
schlugen, knatterten und falteten Ana Laura Lozza, Kareth Schaffer und Claudia Tomasi die Plastefolien, die sie zwischenzeitlich etwas vor ihren Körpern hin- und herbewegten, wie von Sinnen vor
sich her und markierten so erst einmal unüberhörbar ihr Revier. Mit Hilfe der Objekte wurden auch die fotografischen Momentaufnahmen geschaffen: Es waren blutrünstige, schaurige Bilder von
eingestürzten Säulen, erschlagenen, durchschossenen und -bohrten Körpern die sich da zumindest vor meinem geistigen Auge auftaten, bevor sie schließlich in einem Meer aus Melonen und bunten
Luftballons verschwanden. Spuren wurden in den Bühnenboden gezeichnet und wieder verwischt, Gesten angedeutet und die Melonen gab es im Anschluss an die Performance noch als Nachtisch. Das mag
alles etwas chaotisch klingen – und eigentlich war es das irgendwie auch. Aber dieses Chaos machte ungemein Spaß, nicht zuletzt auch durch die sympathische und erfrischend unprätentiöse
Bühnenpräsenz der drei Künstlerinnen, die allesamt auch mal über sich selbst lachen konnten.
Irgendwie bin ich ja auch noch dazu geneigt, den Namen Temporary Archipelago für voller als Voll zu nehmen. Eigentlich ist es ja ein symbolisches Bild: So wie mehrere zusammenhängende
Inseln ein Archipel bilden, bilden die Künsterlinnen gemeinsam ein Kollektiv. Doch ich möchte mich mal für einen kurzen Moment aus dem Fenster lehnen und all diese steten Wandel in der an diesem
Abend vom Kollektiv erschaffenen Landschaft – auch eine Inselwelt für sich – und die Wiederholung von Zerstörung und Neuaufbau, von Totschlag und Wiederbelebung als einen doppeldeutigen Kommentar
an die Herausforderungen eines „Klimawandels“ lesen (Schließlich sind es ja gerade auch die Archipele und ihre Bewohner, die besonders einschneidend vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind,
denke man beispielsweise an die Malediven). Ich glaube dieser Gedanke kam mir schon während dem Zuschauen, vielleicht inspiriert durch die Verwirrung zwischen aufgeschnappten Wörtern aus dem
Trialog und den davor vorbeirauschenden Bildern. Ob nun nur ein aufgebauschtes Hirngespinst meinerseits oder vielleicht doch auch ein Fünkchen Wahrheit - Ein kleiner Klimawandel beziehungsweise
frischer Wind könnte in jedem Falle zumindest so manch einer Debatte in der hiesigen Tanzszene auch mal ganz gut tun.