Inside „GRÉ GRA” – 4 Fragen an einen Dramaturgen
von Gabi Beier, Künstlerische Leiterin des ada Studios
Als Thomas Schaupp im Frühsommer 2014 zum ada-Studioschreiber 2014/15 berufen wurde, stand die Besetzung der NAH-DRAN-Ausgaben vom Herbst 2014 noch nicht fest. Seine Funktion als
Dramaturg in Aline Landreaus Stück „GRÉ GRA” sollte jedoch kein Hinderungsgrund sein – weder für seine Studioschreibertätigkeit, noch für die Einladung von „GRÉ GRA” zu NAH DRAN XXXXVI.
Die Frage „Wie kann man als Dramaturg im Sinne einer kritischen Begleitung über das quasi eigene Stück schreiben?” haben wir so beantwortet, dass wir uns auf dieses glatte Terrain erst gar nicht
begeben und das Stück lieber in Form eines Interviews zwischen mir und Thomas Schaupp umkreisen. Hier also die „4 Fragen an einen Dramaturgen”:
GB: Die Berliner Version von „GRÉ GRA”, aufgeführt nicht im ada Studio, sondern in einem sehr speziellen Nachbarstudio auf dem Uferstudios-Gelände, dem Heizhaus, wird ausdrücklich als work in
progress – eine Arbeit, die (noch) im Prozess ist – angekündigt. Kannst Du kurz beschreiben, wie der Arbeitsprozess bisher verlaufen ist und was Deine Rolle dabei war und ist?
TS: Aline und ich lernten uns Ende Februar diesen Jahres kennen und begannen schon bald, uns über ihr damals nur als Idee stehendes Vorhaben „GRÉ GRA” auszutauschen. Bei den ersten Gesprächen
ging es erstmal um ein Kennenlernen, aber bald auch um eine Umrahmung und Konkretisierung des Vorhabens. Dazu heißt es für mich natürlich erst einmal, viele Fragen zu stellen, bestenfalls welche,
die auch zu neuen Denkanstoßen führen. Im Sommer konnte Aline dann jeweils eine Woche lang in zwei Residenzen bei 783 in Nantes erste praktische Studien erarbeiten und vorstellen. In der ersten
Woche arbeitete sie zusammen mit Antoine Monzonis-Calvet. Ihre Arbeit konzentrierte sich dabei auf die Erforschung des Sound-Light-Interfaces, die wir nun gemeinsam im Heizhaus fortsetzen
konnten. In der zweiten Woche dann arbeiteten Aline und ich zuvorderst an der Frage, wie sich eine immersive Arbeit mit voluminösen Körpern gestalten ließe und probierten dazu verschiedene
Materialien auf ihre haptischen Qualitäten, ihren Bezug zu Raum, Licht, Sound und Bewegung aus. „Wie kann ein Körper und/oder ein Material einen Raum besetzen und sich gleichzeitig integrieren?”
war etwa eine der Fragen, die uns intensiv beschäftigte. Meine Rolle als Dramaturg ist es dabei, stets die Ideen zu hinterfragen, bei der Recherche zu helfen und vielleicht auch mal eigene
Denkakzente zu setzen oder einfach auch ein außenstehendes Auge zu sein und die Wirkerfahrungen immer in Hinblick auf das Vorhaben zu überprüfen. Allerdings unterscheidet sich die Arbeit eines
Dramaturgen im Tanz von ChoreographIn zu ChoreographIn und Vorhaben zu Vorhaben. Das macht eine konkretere und allgemeingültige Definition nach außen hin schwierig, macht die Arbeit aber auch
immer wieder von Neuem zur spannenden Herausforderung.
GB: Eigentlich ist „GRÉ GRA” im klassischen Sinne ein Solo, d.h. es agiert eine Performerin „auf der Bühne”. Schon nach wenigen Minuten wird dem Augen-/Ohrenzeugen jedoch klar, dass es einen
Duett-Partner gibt, Antoine Monzonis-Calvet, der Sound und Licht live generiert. Kannst Du dieses Verhältnis Körper – Licht – Sound beschreiben und wie es sich im Laufe der 30minütigen
Performance verändert? Was hat es in diesem Zusammenhang mit dem im Programmheft benannten immersiven Körper, also einem Körper, dessen Grenzen sich auflösen, auf sich?
TS: Vielleicht zuerst ein paar Worte zu diesem immersiven Körper, auch wenn dieser Begriff so übrigens nicht im Programmheft steht – wir sprechen da von einer „immersiven Arbeit, die die
Materialität von Körpern untersucht […], ihr Aussehen und ihre Identifizierung“. In „GRÉ GRA” ist es unser Interesse, Körper zu erschaffen, die sich aus ihrer konkreten Identität, aber auch Form
heraus expandieren, in den Raum greifen und gleichzeitig in diesen integrieren und die ZuschauerInnen eintauchen oder gar auch Teil dessen werden lassen – insofern handelt es sich letztlich
natürlich auch um immersive Körper. Fragen, die wir uns dazu stellen, wären etwa, wie der eigene Körper und die Identität seine Dekodierung beeinflussen und wie von einer selbstreflektiven
Relation wegkommen hin zu einer anderen, weiter gefassten oder gemeinschaftlichen vielleicht? Licht und Sound, und das spielt nun auf die Recherche die wir im Rahmen von NAH DRAN betrieben, an,
haben eben das Vermögen, Körper zu erschaffen, darzustellen, zu formen und zu beeinflussen. Wir haben versucht, das Heizhaus mit Hilfe dieser Elemente zu „beleben“, dabei seine Materialität in
den Augenschein genommen, um es so schließlich als vitalen und agierenden Körper in Erscheinung treten zu lassen. Gleichzeitig war es konsequenterweise auch Ziel, den Eindruck zu erwecken, als
reagiere und interagiere der Raum auf und mit der Performerin – Körper trifft auf Körper. Sie lösen sich ineinander auf und trennen sich wieder voneinander – auch das sind immersive Prozesse.
Antoine und Aline reagieren übrigens tatsächlich mit jedem Durchlauf neu und live aufeinander, was natürlich unabdingbar für eine solche Arbeit ist. Wir hatten fünf Tage Zeit im Heizhaus,
inklusive Ankommen im Raum und dem technischen Aufbau, weshalb wir uns letztlich nicht zusätzlich auch mit der oben skizzierten Erforschung von konkreten Materialien für das Kostüm oder als
Additive im Raum beschäftigen konnten. Stattdessen lag das weitere Augenmerk auf der Bewegungsrecherche. Besonderer Fokus war dabei die Suche nach alternativen Fortbewegungsmöglichkeiten – welche
uns unsere Anatomie und Physiologie durchaus ermöglicht, wir jedoch gewöhnlich nicht nutzen. Auch dies vielleicht Teil unserer zeitgenössischen Identität oder zumindest unserer zunehmenden
Bequemlichkeit. Der nächste Schritt wird nun jedenfalls sein, all diese Elemente zusammen zubringen und zu sehen, wie sie miteinander funktionieren und vor allem auch, wie wir die ZuschauerInnen
stärker integrieren bzw. die Immersionskraft dieser Arbeit noch weiter befördern können.
GB: Zum 4. Performer wird – wenn man denn Körper, Licht, Sound als die drei anderen benennen will – in meinen Augen das Haus, der Raum, die Architektur. Mit der Wahl des Heizhauses als
Aufführungsort hat Aline Landreau bereits eine Prämisse für ihr Stück gesetzt. Die Architektur des Raumes fordert eigentlich dazu auf, dass das Publikum die Performance von allen Seiten
wahrnehmen könnte. Ihr habt Euch dennoch für die klassische Frontalversion entschieden: die Zuschauer sehen und hören die Performance nur von einer Seite...
TS: Ja, die Entscheidung dazu hatte im Grunde ganz praktische Gründe und liegt vor allem auch an der Trickkiste, die man in den darstellenden Künsten so manchmal nutzt. Sehr schnell war
eigentlich klar, dass wir die Blickrichtungen der Zuschauer lenken wollten, um zum einen die besonderen Perspektiven, die dieser einzigartige Raum von sich aus bietet konkreter zu nutzen. Das war
zum anderen aber auch einfach nötig, da wir eben mit Licht arbeiteten, dabei aber die Quellen, also die Glühbirnen und Scheinwerfer, unbedingt verbergen wollten. So konnte überhaupt erst der
Eindruck erweckt werden, dass das Licht nicht ein von uns addiertes Element, sondern eines sich scheinbar aus den Raumwänden generierendes sei. Dennoch spielten wir einen Moment auch mit dem
Gedanken, einen Perspektivenwechsel zu integrieren und die Zuschauer ihre Position wechseln zu lassen. Für die Kürze des Showings, circa fünfundzwanzig Minuten (also innerhalb des von NAH DRAN
gesetzten Rahmens von etwa einer halben Stunde), aber auch aus praktikablen Gründen haben wir uns am Ende dagegen entschieden. Es ist nämlich ein recht kompliziertes Unterfangen, die Zuschauer
während eines laufenden Showings erst in eine Position zu platzieren und dann in eine andere zu bewegen. Ich denke aber auch, dass der Architektur und seiner Bespielung durch Bewegung, Licht und
Sound gerade über die gewählte Perspektive viel Raum gegeben wurde: Aus seiner steten Position heraus konnte der Zuschauer mit allen Sinnen durch den Raum blicken, hören und fühlen und Details
entdecken, die beim Durchwandern vielleicht gar nicht aufgefallen wären.
GB: Die Arbeit an „GRÉ GRA” hat ja gerade erst begonnen. Auf eine Studioresidenz in Nantes folgte jetzt die Arbeit im eher industriell geprägten Raum hier in Berlin. Gibt es schon weitere
Pläne, vielleicht sogar ein Uraufführungsdatum?
TS: Nein, ein Datum für eine Uraufführung lässt sich leider noch nicht nennen. Es fehlen momentan die Fördergelder, um die Arbeit an „GRÉ GRA” weiter finanzieren zu können. Abgesehen von den
Unterstützungen durch 783 in Nantes und dem ada Studio wurde das Projekt bisher ausschließlich aus Alines eigener Tasche gestemmt. Da stößt man verständlicherweise schnell an Grenzen. Die
nächsten Schritte werden jetzt also erst einmal sein, Fördergelder zu beantragen sowie ein Partnerhaus oder gar Koproduzenten zu finden, sowohl hier als/oder auch in Frankreich. Die beiden
Showings im Rahmen von NAH DRAN waren natürlich auch dahingehend wichtig, um Präsenz in der Szene zu zeigen und konkretere Einblicke in das Vorhaben zu geben. Aline, Antoine und ich sind aber
auch ganz zuversichtlich, dass wir unsere Zusammenarbeit schon bald fortsetzen können.