Text zu „neworks“ (9./10. Juni 2023) von Adèle Aïssi-Guyon, ins Deutsche übersetzt von Auro Orso
Am 9. Juni präsentierten Lisa Ennaoui und Laura Kassé „uterus affairs“ im Rahmen von neworks im ada Studio. Ich entschied mich, den Ankündigungstext nicht im Vorfeld zu lesen und auch nicht an dem Gespräch nach der Präsentation teilzunehmen, da ich gemerkt habe, dass ich während und nach den Stücken gern bei meinen eigenen Eindrücken bleibe.
In diesem Fall war der Titel des Stücks natürlich sehr aussagekräftig: wom*nhood (Fr*usein), Periode, Mutterschaft, Sex... viele Themen kamen mir in den Sinn, als ich es sah, und ich konnte in der Tat spüren, dass sich das Stück feministischen Themen und Themen rund um Feminität auf unterschiedliche Weise näherte.
Die beiden Performerinnen begannen damit, ihren Körper mit den Händen zu berühren oder zu streicheln, in Bewegungen, die schnell zu Posen wurden. In diesen Posen konnte ich verschiedene Bilder und Szenarien sehen, die zwischen Verführung und Erschöpfung, Zärtlichkeit und Spannung oszillierten: die Haut berühren, die Hüfte ausstrecken, nach unten gehen, um etwas vom Boden aufzuheben... Die Bewegung von einer Pose zur nächsten erfolgte durch Impulse, und die beiden Performerinnen durchliefen dieselben Gesten, allerdings in einem verzögerten Timing. Sie spielten auch mit Glitching, Geschwindigkeitsänderungen. An einem bestimmten Punkt begannen beide plötzlich, die Posen sehr schnell zu wechseln und hörten dann wieder auf. Die Wiederholung dieser Posen fühlte sich wie eine Last oder eine Aufgabe an, als ob sie keine Wahl hätten, trotz des ersten Eindrucks einer engen, intimen Berührung mit sich selbst.
Eine von ihnen trug ein relativ strenges Outfit, ein weißes Hemd mit einem langen schwarzen Rock und einer Brille, was mich an die Figur der Lehrerin erinnerte, während die andere ein Tuch um den Oberkörper trug, wie man es normalerweise zum Tragen von Babys verwendet. Bei dieser Sequenz hatte ich das Gefühl, dass sie sich auf gängige Frauenrollen in der Gesellschaft beziehen. Die Wiederholung vermittelte mir einerseits den Eindruck, dass jede von ihnen individuell viele verschiedene Rollen und Arbeiten durchlaufen musste, und andererseits, dass sie, auch wenn sie als unterschiedliche Figuren auftraten, dieselben Anordnungen und Verpflichtungen zu erfüllen hatten, so wie sie diese Erfahrung der Wiederholung und Anpassung teilten.
Dann begann ein langer Musiktrack, und ihre Körperqualitäten erforschten mehr die Variationen zwischen Schütteln, Zucken, Hin- und Hergehen und Ondulieren, durch eine Choreografie von Gesten, die sie mit Verzögerung zueinander tanzten. Ich empfand die gleiche Ambivalenz gegenüber der Funktion ihrer Hand, die sowohl ein Ort der Zärtlichkeit als auch der potenziellen Beherrschung ist. Sie zogen einen Teil ihres Kostüms aus (die Schuhe bei der einen, den Rock bei der anderen, so dass darunter eine Hose zum Vorschein kam). Ich konnte die Schwankungen zwischen Ausruhen und Chillen, Erschöpfung, Zittern, fließenden und stakkatoartigen Bewegungen beobachten...
Schließlich begannen sie, gemeinsam zum Beat zu tanzen. Dadurch bekam das Stück eine neue Dimension, da sie begannen, choreografisches Material zu erforschen, das von urbanen Tänzen inspiriert war (House auf der einen Seite, Popping und Locking auf der anderen Seite - so las ich es). Sie tanzten nacheinander, teilten den Raum und genossen die Musik, wie man es in einer offenen Improvisation oder beim gemeinsamen Tanzen tun würde. Ich hatte das Gefühl, dass die Codes der urbanen Tanzstile ein sehr interessanter Einstieg in die Fragen waren, mit denen sie sich beschäftigten. Die Verwendung von Gesten, die sich auf das Eingesperrtsein in einer Kiste oder in einem Käfig beziehen, aber auch allgemeiner ausdrucksstarke oder fast theatralische Gesten, Gesichter und Schritte könnten den Eindruck vermitteln, in einer Rolle gefangen zu sein, könnten die Abwesenheit von Bewegungsfreiheit bedeuten. Es hat mir sehr viel Freude bereitet, diese Tanzstile in einem Stück wie diesem zu sehen, das sich auf Themen von Weiblichkeit bezieht, was ziemlich ungewöhnlich ist.
Auch das Tuch erwies sich als bedeutungsvolles Accessoire: Die Tänzerin, die es trug, erschien als Marionette, die zu entkommen versuchte, während die andere sie zurückhielt. Das führte dazu, dass das Tuch gelöst wurde und die beiden Performerinnen für einen Moment aneinander „gefesselt“ waren.
Später wurde ein Video abgespielt. Wir sahen ein Gesicht mit einer Maske und einem Bandana im Haar, das wiederholt mit „Nein“ nickte. Eine der Performerinnen wiederholte die Gesten. Aber dann begannen beide eine andere Choreografie, in der sie als Autoritätsfiguren oder beherrschte Figuren auftraten, bis sie beide anfingen, mit dem Kopf „ja“ zu nicken, so als ob sie sich zur Akzeptanz zwingen wollten. Dies brachte mich natürlich sofort daran, an consent zu denken, auf einer konkreten oder metaphorischen Ebene, und an all die Grauzonen dazwischen: Was ist unser Wunsch, wann sagen wir Ja, weil wir etwas wollen, wann werden wir gezwungen oder beeinflusst, etwas zu akzeptieren?
Es war bezeichnend, dass in diesem Moment die Musik stoppte und die Darstellenden sich zusammenfanden und sich einen Moment Zeit nahmen, um sich abzuschminken - ein Video zeigte Nahaufnahmen ihrer Gesichter, in denen auch das Make-up entfernt wurde, ebenfalls in umgekehrter Geschwindigkeit. Auf der Bühne schminkten sie sich schließlich auch gegenseitig ab. Diese Szene, die sich in der Stille abspielte, ließ mich an Entschichtung denken, ließ mich Authentizität hinterfragen und die Frage, was unser wahres Selbst ist. Es war ein intimer Moment und ein Wendepunkt: Danach setzte eine sanfte Musik ein, und sie begannen sich zu umarmen und zu halten, dann tanzten sie mit fließenden Bewegungen und einigen Gewichtsverlagerungen. Ich konnte sehen, dass sie sich aufeinander verließen, einander vertrauten und sich gegenseitig ihr Gewicht gaben. Irgendwann kehrten die streichelnden Hände zurück, aber diesmal wurde es zu einer Choreografie aus Spiralen und fließenden Bewegungen, wobei sich die Schatten der Darstellernden hinter ihnen vermischten und ihre Präsenz vervielfachten. Alles wirkte beruhigt, und eine Form des Gleichgewichts schien gefunden zu sein. Sie setzten diese ondulierende Choreografie fort, bis sie nebeneinander stehen blieben, dem Publikum zugewandt und dabei weich, ruhig und stark zugleich wirkten.
Dies war mein letzter Text für das ada Studio und das Ende eines wunderschönen Abenteuers. Vielen Dank an Gabi und an alle Künstler*innen, die ihre Arbeiten präsentiert haben, für ihr Vertrauen.
On the 9th of June, Lisa Ennaoui and Laura Kassé presented «uterus affairs» in the frame of neworks in ada Studio. I decided not to read the text beforehand, nor to participate in the talk after the presentation, because I realized that I enjoy staying with my own impressions during and after the piece.
In that case, the title of the piece was of course very evocative: wom*nhood, period, motherhood, sex… many topics came to my mind when I saw it, and indeed I could feel that the piece was approaching feminist-related and femininity-related topics in different ways.
The two performers started by touching or caressing their body with their hands, in movements that quickly became poses. In these poses, I could see different images and sceneries, oscillating between seduction and exhaustion, tenderness and tension: touching one’s skin, having the hip out, going down to pick up something from the floor… The movement from a pose to another was made through impulses and the two dancers were going through the same gestures, ut in a delayed timing. They also played with glitching, changes of speed. At some point, they both suddenly started to change the poses very fast, and then stopped. The repetition of these postures felt like a burden or a task, as if they were not really choosing what to do, despite the very first impression of a close, intimate touch with oneself.
One of them was wearing a quite strict outfit, a white shirt with a long black skirt and glasses, reminding me of the figure of the teacher, while the other had a scarf around her upper body, like the ones that are usually used to carry babies. In this sequence, I felt like they were referring to common figures of women’s roles in society. The repetition gave me the impresion, on the one hand, that each of them individually had to go through many different roles and works, and on the other hand, that even though they appeared as different figures, they had to go through the same injunctions and obligations, like sharing this experience of repetition, adaptation.
Then, a long music track started, and their body qualities explored more the variations between shaking, glitching, back and forth, and ondulating, through a choreography of gestures that they were dancing with delay to each other. I felt the same ambivalence towards the function of their hand, both a place of tenderness and potential domination. They took some of their costume off (the shoes for one, the skirt for the other, revealing a pair of pants underneath). I could see the variations between resting and chilling, being exhausted, shaking, fluidity and staccato movements…
At some point, they started dancing together on the beat. Then, the piece took a new dimension, as they started to explore choreographic material that was inspired from urban dances (house on the one side, popping and locking on the other side – as I read it). They were dancing one after the other, sharing the space and enjoying the music, like one would do in an open improvisation session, or dancing together. I felt like the codes of urban dance styles were a very interesting entry point into the questions that they were dealing with. For example, using the gestures referring to being locked in a box or in a cage, but also more generally expressive or almost theatrical gestures, faces and steps could serve the impression of being trapped in a role, could signifiy the absence of freedom of movement. I had a lot of joy seeing these dance styles present in a piece like this, and related to topics of feminity, which is quite uncommon.
The scarf also revealed itself as a meaningful accessory: the dancer wearing it appeared as a puppet who was trying to escape, while the other one was holding her back. This led to untying the scarf and the two performers being «tied» to each other for a moment.
Later, a video started. We could see a face with a mask and a bandana in their hair nodding no repeatedly. One of the dancers repeated the gestures. But then, they bothe started another choreography were they appeared as figures of authority or dominated figure, until they both started to nod «yes» with their heads, like forcing themselves to acceptation. Of course, this immediately made me think of consent, in a concrete or metaphorical level, and all the grey zones inbetween: what is our desire, when are we saying yes because we want something, when are we forced or influenced to accept something?
It was significant that at this moment the music stopped and the performers gathered and took a moment to take their make up off – a video was showing close up scenes of their faces, also with the make up being taken off, also in reverse speed. On stage, they also ended up taking the make up from each other. This scene happening in silence made me think of unlayering, made me question authenticity, what is our true self. It was a moment that contained a lot of intimacy, and a turning point: after that a soft music started, and they started to hug and hold each other, then danced with fluid movements and some weightshifts. I could see that they were relying on each other, trusting each other, givin their weight on each other. At some point, the caressing hands came back, but this time it became a choreography made of spirals and fluid movements, with the shadows of the performers blending and multiplying their presence behind them. Everything seemed soothened, and a form of balance seemed to be found. They kept this ondulating choreography until they stopped, next to each other, facing the audience, looking soft, calm and strong all at once.
This was my last text for ada Studio, and the end of a beautiful adventure. Thanks a lot to Gabi and to all of the artists who presented their work for their trust.