Text zu „reinkommen“ (20. August 2021) von Sharón Mercado Nogales, ins Deutsche übersetzt von Auro Orso

 

 

On Friday, 20th of August we gathered again for an open studio rehearsal at “reinkommen” in ada studio with Farina Myr.

 

For this time I decided to read the program after the performance, to try myself in this practice of dialoguing with my very first impressions. The performance was made in German which helped me to see a clear context behind the idea. It made me realize that watching the performance in German gave me a clear ground to stand on.

It started with a video that was projected in the corner of the space, showing an out of focus video that was tracing details we don’t know and maybe we don’t need to understand, at that point of the performance. I was sitting in the first line staring at the space and from behind I heard a text. Somehow the clear question I heard stayed in my mind: Are you catholic? Giving me space to ask: who is asking? That took me to a person who probably is older than me. The text navigates from one place to another jumping and making you lose the thread. 

 

The performer started to move behind the audience traveling into space, in her pocket there is a kitchen rag, she enters the space with a non fluent movement quality, as if there are breaks in the decision making of the movement. Continuously changing the task, I ask: from where comes this impulse of changing it? Is it from the mind?, from the body? Is it from the disorientation of the space?, the continuous distraction? or the fact of getting lost in the sequence of the movement you’ve already planned? The text from the beginning appears as fragmented layers that are overlapped and melted. A distorted soundscape is built, it contributes to the dance by giving an unstable ground, giving room to unfinished movement tasks and narratives.

 

Thinking about unfinished tasks, I thought about my grandmother. This thought also came by observing the kitchen rag and all my associations that are around this piece of fabric.

 

I bring a cup of tee

I left it on the table

She transported it to the table behind her bed

She tells me that is hot for the 4th time

The tee comes back to her hands

She says that it's getting cold and I should hurry up

I bring another cup of tee, it is warm again

She says, please bring me a cup of tee

She also says that she doesn’t drink tee

because she will need to go to the bathroom again

She asks for sugar

She forgets how many spoons of sugar she put

I already added one spoon, I know she doesn’t like sugar

And I know I need to remember her the urgency of going to the bathroom together

She tries to remember my name while she mentions that the tee is cold.

 

This is a poem about the choreographies we used to do around 6 pm with my grandmother, who had Alzheimer.

 

At some point comes a song, which I wasn't sure if it comes from the speaker or from the performer's voice, later I realize that both coexist in the space (the song coming from the speaker and the live voice), it develops until she sings the song next to the video. A clear memory is revealed, one task to hold, one decision, one fine and simple line that you can track and follow. After reading the program and reading about dementia and Alzheimer I got interested in the differences between these two conditions. It made me understand the question that Farina proposed in the program: What is lost? What comes out and connects? Experiencing the movement quality of the performer, I could see an attempt to catch, hold, release, forget and then the desire of wanting to remember. To remember the thread of an action, a conversation, a movement, sometimes all at once. Towards the end the unclarity of the video fades out, showing the image of an old hand, detailed wrinkles, warm clothes, next to it the performer is singing alone.

 

 

Am Freitag, dem 20. August, trafen wir uns wieder zu einer offenen Probe - mit Farina Myr bei „reinkommen“ im ada Studio.

 

Diesmal beschloss ich, das Programm erst nach der Aufführung zu lesen, um mich in der Praxis des Dialogs mit den allerersten Eindrücken zu versuchen. Die Aufführung war auf Deutsch, was mir half, die Hintergründe in einen klaren Kontext zu setzen. Mir wurde klar, dass mir dies eine stabile Grundlage gab, auf der ich stehen konnte.

 

Es begann mit einem Video, das in die Ecke des Raumes projiziert wurde und einen unscharfen Film zeigte, der Details nachzeichnete, die wir zu diesem Zeitpunkt der Performance nicht kennen und vielleicht auch nicht zu verstehen brauchen. Ich saß in der ersten Reihe und starrte in den Raum, als ich von hinten einen Text hörte. Irgendwie blieb die klare Frage, die ich hörte, in meinem Kopf: Bist du katholisch? Das gab mir Raum für die Frage: Wer fragt? Dies führte mich zu einer Person, die vermutlich älter ist als ich. Der Text springt von einem Punkt zum nächsten und lässt einen den Faden verlieren.

 

Die Performerin begann, sich hinter dem Publikum zu bewegen, indem sie in den Raum vordrang, in ihrer Hosentasche befand sich ein Küchentuch. Sie betrat den Raum mit einer nicht fließenden Bewegungsqualität, als ob es Unterbrechungen in der Entscheidungsfindung der Bewegung gäbe. Da sie die Aufgabe ständig änderte, frage ich: Woher kommt dieser Impuls, die Aufgabe zu ändern? Kommt er aus dem Kopf, aus dem Körper? Kommt er von der Desorientierung des Raumes, der ständigen Ablenkung oder der Tatsache, sich in der Abfolge der bereits geplanten Bewegung zu verlieren? Der Text erscheint von Anfang an als fragmentierte Schichten, die sich überlagern und verschmelzen. Es entsteht eine verzerrte Klanglandschaft, die zum Tanz beiträgt, indem sie einen instabilen Boden bietet und Raum für unvollendete Bewegungsaufgaben und Erzählungen schafft.

 

Als ich über unvollendete Aufgaben nachdachte, dachte ich an meine Großmutter. Ich dachte auch an sie, als ich das Küchentuch und all meine Assoziationen betrachtete, die mit diesem Stück Stoff verbunden sind.

 

Ich bringe eine Tasse Tee

Ich habe ihn auf dem Tisch abgestellt

Sie trug ihn zum Tisch hinter ihrem Bett

Sie sagt mir zum 4. Mal, dass es heiß ist

Der Tee kommt zurück in ihre Hände

Sie sagt, er wird kalt und ich soll mich beeilen

Ich bringe eine weitere Tasse Tee, sie ist wieder warm

Sie sagt, bitte bring mir eine Tasse Tee

Sie sagt auch, dass sie keinen Tee trinkt

weil sie dann wieder auf die Toilette muss

Sie fragt nach Zucker

Sie vergisst, wie viele Löffel Zucker sie genommen hat.

Ich habe bereits einen Löffel hinzugefügt, ich weiß, dass sie keinen Zucker mag.

Und ich weiß, dass ich sie eindringlich erinnern muss, gemeinsam auf die Toilette zu gehen

Sie versucht, sich an meinen Namen zu erinnern, während sie erwähnt, dass der Tee kalt ist.

 

Dies ist ein Gedicht über die Choreografien, die ich immer gegen 18 Uhr mit meiner Großmutter, die Alzheimer hatte, zelebrierte.

 

Irgendwann kommt ein Lied, ich war mir unsicher, ob es aus den Lautsprechern kam oder ob es die Stimme der Performerin war. Später wurde mir klar, dass beide im Raum koexistieren (das Lied aus den Lautsprechern und die Live-Stimme). Es entwickelt sich weiter, bis sie das Lied neben dem Video singt. Eine klare Erinnerung kommt zum Vorschein, eine Aufgabe, die man festhalten muss, eine Entscheidung, eine feine und einfache Linie, die man verfolgen und nachverfolgen kann. Nach dem Lesen des Programms und der Lektüre über Demenz und Alzheimer begann ich mich für die Unterschiede zwischen diesen beiden Krankheiten zu interessieren. Dadurch verstand ich Farinas Frage im Programmtext: Was ist verloren gegangen? Was kommt heraus und verbindet sich? In der Bewegungsqualität der Darstellerin konnte ich den Versuch sehen, etwas zu fangen, festzuhalten, loszulassen, zu vergessen und dann den Wunsch, sich erinnern zu wollen. Sich an den Faden einer Handlung, eines Gesprächs, einer Bewegung zu erinnern, manchmal alles auf einmal. Gegen Ende nimmt die Unklarheit des Videos ab und zeigt das Bild einer alten Hand, detaillierte Falten, warme Kleidung, daneben singt die Performerin allein. 


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

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