Text zu NAH DRAN extended: Journeys (8./9. Februar 2020) von Johanna Ackva
Es wurde häufig und treffenderweise auf viele unterschiedliche Arten gesagt, dass es bei einer Reise viel weniger um das Ziel, als um die Bewegung zwischen einem Ort und dem anderen geht. Mit ihren Stücken haben die Künstler*innen Kiana Rezvani (mit Roham Amiri Far), Cary Shiu und Dominique Tegho/Strange Longings für NAH DRAN extended: Journeys das Risiko unwahrscheinlicher Reisen gewagt. Zwischen Hier und Dort, dem Sichtbaren und dem Verborgenen, der Flüchtigkeit und der Tiefe des Moments, navigieren sie auf wackeligen Vehikeln und finden dafür eine jeweils eigene starke Form, um ihre Arbeit mit dem Publikum zu teilen.
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Kiana Rezvani & Roham Amiri Far: A slow upgrade
Alle stehen auf Stehlen: Laptops auf Standby mit halb geöffneten Mündern, schlafende Projektoren. Ein menschlicher Leuchtturm kauert in der Ecke, Kianas Stirnlampe blendet das Publikum. Die Geräte auf ihren Podesten schweigen und warten.
Wie oft die Verbindung ausgefallen ist und für wie lange, wie häufig man gecheckt hat, ob der andere wieder online ist und sich gefragt hat, wie es ihm geht, ob er okay ist. – Das alles wird nicht gesagt. Seit Roham vor zwei Jahren aus Berlin zurück in den Iran gezogen ist, führen Kiana und er ihre Zusammenarbeit auf Distanz fort. Per Live-Kamera ist Roham nun hier, überlebensgroß projiziert in eine Ecke der Bühne. Kiana und er sitzen sich gegenüber. Zwei paar Hände auf zwei paar Knien. Zwei Schlucke, hier aus einer Tasse, dort aus einem Glas. Fast ein Stillleben, denke ich, eine post-moderne Version, ohne welkende Sonnenblumen. Dafür im Vordergrund ein Medienbouquet, low-fi aber prominent ausgestellt, und diese seltsame Atmosphäre der Zw/Einsamkeit, die durch Pixel und niedrige Framerates spricht.
Immer wieder dreht Kiana hier an einem Knopf, korrigiert dort den Winkel der Kamera. Dann schleicht ihr Schatten in das andere Zimmer, hunderte von Kilometern entfernt. Ihre ausgestreckte Hand sucht in der Projektion etwas (Un)Greifbares. Für einen Moment kommt Rohams Gesicht ganz nah an die Kamera. Es füllt die gesamte Ecke aus. Kiana kniet dort, irgendwo auf seiner Wange, in seinen Bart gekuschelt. Sie tanzen miteinander, so gut es geht, zu einem Takt, der in der Ferne des Nordiran immer ein paar Sekundenbruchteile hinterher hinken muss. Auch wenn die Augen, in die Kiana sieht, lediglich Lichtbilder an der Wand sind, spüre ich die Nähe zwischen den beiden. Als Kiana sich zum Publikum wendet wird aus ihrem miteinander ein Duett für uns. Sie sehen uns an. Er hebt einen Arm und sie dreht sich ein paar Mal in dem Raum der darunter entsteht.
Seltsam, wie nah ich mich dieser fremden Person fühle, wie die allen Hindernissen trotzende Intimität zwischen Kiana und Roham den ganzen Raum einlädt, Teil zu sein und Teil zu haben, an der Nähe – und auch an der Leere, die entsteht, wenn er verschwindet und die Kamera in seiner Wohnung uns nurmehr Kianas dort an die Wand geworfenes Bild zeigt. Sie selbst steht daneben, verdoppelt und extra allein. Ebbe der Abwesenheit und Flut der Gefühle laufen zusammen.
Schließlich werden mit einer Drehung des Laptops auch wir, das Publikum, zu einem unscharfen Videobild an der Wand, im ada Studio, sowie in Rohams Wohnung, von wo uns ein einzelner junger Mann aus einem Sessel zuwinkt. Ein langsames Upgrade. Der dritte Raum, den Kiana und Roham zwischen ihren Welten gefunden haben, dehnt sich aus. Tut er es? Kann man Einsamkeit teilen, an Trennung und Schmerz, sowie am Widerstand anderer teilhaben und -nehmen? Dass diese Fragen sowohl als grundlegend existentiell, sowie auch politisch und auf die prekäre Situation in und um den Iran zu verstehen sind, gibt der Arbeit eine unglaubliche Stärke und Dimension.
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Cary Shiu: To be c_______.
Cary öffnet den Vorhang für die Lichter der Straße.
Sie fallen an die Wand, nehmen dabei die Fensterstreben mit.
Cary schaltet die Neonröhren an der Decke ein.
Die Straße zieht sich wieder zurück.
Cary dreht die Heizung auf. Jetzt kann ich ihn sehen,
wie er sich auf der anderen Seite behutsam
aus den Reihen des Publikums auf die Bühne bewegt.
Er steht. Er schaut. Ein paar Leute an.
Er schüttelt den Kopf, schließt die Augen.
Er ist ganz nah. Die Arme,
schüttelt sie. Schwingt. Stop.
Aus der Stille wächst Carys rechter Arm
in einer Bewegung, die kein Ende zu haben scheint,
nach oben, der Decke entgegen. Langsam
falten sich die Finger.
Fast kann ich hören, wie in der Höhle ihrer Gelenke
Knochen und Knorpel flüsternd aneinander gleiten
bis die Fingerspitzen sich aus der Höhe
dem Boden zuneigen. Die Hand, der Arm,
der ganze Oberkörper folgen, fallen, hängen
zwischen Himmel und Erde –
Ein Arm stützt den anderen, eine Hand um das Gelenk der anderen.
Eine Welt zwischen zwei Armen, zwei Augen auf sie gerichtet.
Eine Welt zwischen zwei Armen und zwei Augen.
Die Hand lässt los und sucht sich einen Weg.
Findet etwas. Einen kleinen Kopf?
Einen Kopf, der gestreichelt wird.
Ein kleiner Körper mit einer zärtlich fühlenden Hand
auf einem kleinen Kopf. Den vielleicht nur ich sehe.
Aber das macht nichts.
Bei jedem von Carys Schritten quietscht es ein bisschen
zwischen Fußsohle und Boden. Zehen streicheln den Grund,
Fingernägel kratzen leise. Ich spitze die Ohren.
Eine Welle geht durch den ganzen Körper.
Auf dem Kopf finden die Finger eine Strähne Haar,
eine Perlenschnur, an der Cary die Momente aufreiht,
einen nach dem anderen. Cary folgt und findet.
Die Entdeckung des Tages ist eine Höhle
zwischen Knöcheln, Knien und Hüfte.
Und dann ist Cary auch das Wesen an der Wand.
Flach wie sie lebt er dort. Als ob er niemals anderswo war.
Er wächst in unwahrscheinliche Richtungen.
C., das Wesen. C., die Pflanze. C., das Tier.
C., das Gefühl. C., die Idee. C., der Moment.
C., die Brücke, von Kopf bis Fuß.
Wartet, wie lange das Wasser fließen wird.
Macht sich zum Tor, zum Medium für das Flüstern
im Inneren, die Geburt der Form und für
den Lauf der Dinge.
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Dominique Tegho/ Strange Longings: The space between us
Harte Beats und ein Tanz mit Blick zur Wand. Das Stampfen der Musik folgt dem typischen Aufbau elektronischer Clubmusik: keine Brüche, keine Pausen. Stattdessen steigert sich der antreibende Sound unermüdlich und erbarmungslos. Dominique springt von einem Bein aufs andere, wirft die Arme in die Luft, immer und immer wieder, eine Form solange wiederholt bis sich die nächste einen Weg bahnt. Ihre Schritte führen sie rückwärts in die Mitte des Raums und aus einem Schatten am Boden werden zwei. Ein angestrengter Körper zwischen zwei dunklen Geistern, die ihn nur tatenlos flankieren können.
In der 90er-Jahre-Klamotte – Hose mit japanischen Schriftzeichen, Synthetikbluse und ein Paar klobige Turnschuhe – sieht die Tänzerin aus dem Libanon fast klischeehaft nach Berlin aus. Ihre rudernden Arme finden nichts zu greifen, denke ich. Die Artikulation ist out of order – erschöpft. Ein Schuhbändel hat sich gelöst und wird von Dominiques rasendem Tanz bedrohlich zwischen ihren Füßen hin und her geworfen. Wenn es bisher noch nicht klar geworden sein sollte: dieses Stück ist für mich alles andere als ein Genuss. Vielmehr wünsche ich mir, dass die Musik endlich ausgeht und das ihr-hinterher-rennen ein Ende nimmt.
Tatsächlich verschwindet die Musik. Zumindest aus den Lautsprechern. Denn nach ihr bleibt ein Schnaufen, das ihren Rhythmus und ihre Wiederholungen hochhält. Wie mit der Kraft einer Dampfmaschine stößt Dominique die Luft aus der Nase, noch immer in ihren Bewegungen gefangen, auch wenn diese sichtbar schlampiger werden. Erst leise, dann deutlich hörbar, taucht ihre Stimme auf: etwas auf arabisch, das sich in die Monotonie der Wiederholung einreiht. Ein paar Mal noch sucht Dominique nach neuer Kraft. Einzelne Silben fallen aus ihrem Mantra. Bis sie schließlich loslässt. Nach dem Sturm kehrt Ruhe ein.
Aus einer Schale verteilt Dominique Mandarinen im Raum. Dabei platziert sie die eine oder andere, die meisten Früchte lässt sie achtlos fallen. Während sie in ihren Laptop tippt, übersetzt eine computergenerierte Stimme die eben gehörten arabischen Sätze ins Englische: A woman's right is to speak in her name. A woman's right is to own her body.
Ich werde nachdenklich, darüber, dass dieses ownen doch manchmal eine Zwickmühle ist. Dann nämlich, wenn man entweder von äußeren Faktoren geowned, d.h. in der eigenen Freiheit beeinträchtig ist, oder eben durch den eigenen Kampf gegen diese Faktoren. Ideal wäre doch, denke ich, man müsste nicht kämpfen, keine Schlacht um Besitzverhältnisse am eigenen Körper austragen.
Die vom Laptop-Roboter vorgetragene Litanei von den sieben Sachen, den Büchern, Knochen und Träumen, die Dominique in sieben Umzügen seit ihrer Ankunft in Berlin vor zwei Jahren von einer temporären Bleibe in die andere geschleppt hat, macht es deutlich: Manchmal führt kein Weg am Kampf vorbei. Dass man dann zumindest diesen Kampf ownen kann, beweist Dominiques Arbeit!