Text zu „reinkommen“ (25. Oktober 2019) von Johanna Ackva
Zur Premiere der neuen Reihe 'reinkommen' im ada Studio gibt Magdalena Meindl Einblicke in den Prozess zur Erarbeitung des Stücks „We are all Teeth and Claws“.
Sich mit Zähnen und Klauen verteidigen zu müssen – das passiert mir und den Menschen in meiner geografischen und sozialen Umgebung eher selten. Das behaupte ich mal, ohne mir ganz so sicher zu sein, dass ich damit nicht etwas vorschnell von mir auf andere schließe und ohne dabei sagen zu wollen, es gäbe in diesen Breiten keine körperliche Gewalt. Ich denke allerdings schon, dass in den meisten Kontexten unterschwelliger Druck, indirekte Kritik, sowie versteckte Angriffe und passiv-aggressives Verhalten uns öfter begegnen, als eine Faust aufs Auge oder ein Tritt in den Hintern.
Das work-in-progress-Showing, in dem es um ein Arbeiten mit der „Lust an der Zerstörung“ gehen soll, beginnt für mich mit Schweißgeruch und dem Ächzen angestrengter Körper. Neben Ivan Ekemark als rosa-rotem Säulenheiligen, der in gefasster Haltung von einem länglichen grauen Kubus, der seinen Fußsohlen kaum genügend Platz zum Stehen bietet, in hohen Tönen herabsingt, mühen sich in Bodennähe Magdalena Meindl, Britta Wirthmüller und Dorota Michalak in einem Kampf mit sich selbst ab. Eine Videobotschaft heißt uns willkommen zur offenen Probe. Hier soll viel ausprobiert werden, manches werde klappen und anderes nicht.
Durch die sprachliche Kommunikation zwischen den Performer*innen, zwischen ihnen und dem Publikum, sowie vermittels Videobotschaft etabliert sich recht schnell das Leitmotiv des Abends: das Transparentmachen verschiedener zuvor in den Proben entwickelter Performancetasks. Für mein Verständnis geht es dabei vielmehr konstruktiv als destruktiv zu. Die drei Frauen sprechen auf der Bühne immer recht höflich miteinander, sagen „Bitte“ und „Danke“ und stellen Nachfragen, um sich zu vergewissern, die Wünsche der jeweils anderen richtig verstanden zu haben. Manchmal fühle ich mich als Zuschauerin in dieser Kommunikation angesprochen und manchmal nicht, wobei ich mich frage, ob letzteres eigentlich gewollt ist. Im Zusammenhang mit dem Thema könnte es durchaus spannend sein, die Erwartungen des Publikums an eine Show ganz bewusst zu missachten, den Vertrag zu brechen, nicht zu liefern und sich in diesem Sinne zerstörerisch zu verhalten.
Als im Nachgespräch die Dramaturgin Lea Martini uns fragt, welche Erwartungen das Thema des Stück in uns geweckt hätte, fällt mir auf Anhieb ein, dass ich mit Zerstörung vor allem ein plötzliches Freisetzen von Energien verbinde. Was ich gesehen habe, war interessanterweise nicht die Freisetzung von Energien in einem Moment der Zerstörung. Vielmehr wurde in den verschiedenen Formen von Gerangel und Nahkampf, in der Anspannung der Muskeln und im Wegwerfen der Gliedmaßen eine Suche nach Intensität sichtbar, ein Forschen nach dem Gefühl der Dringlichkeit, so wie man es vielleicht am ehesten in einer Notsituation vermutet. Kanalisiert in performativen Set-ups mit Sicherheitsabstand zum Publikum und gegenseitiger Einvernehmlichkeit, schien mir in dieser Suche aber auch viel Zurückhaltung und eine (durchaus nachvollziehbare) Angst vor nicht wiederbringbaren Konsequenzen des Zerstörerischen in der Luft zu liegen.
Eine der wenigen Situationen, die ich erinnere, in denen ich offen und mutwillig zerstört habe – es war ein hübscher Porzellanteller mit Goldrand, der auf dem Flurboden zerbrach – hat vermutlich, zumindest indirekt, auch das Zerbrechen meiner Beziehung zur Folge gehabt. Trotzdem bedaure ich nicht, den Teller geworfen zu haben, denn das Gefühl war lustvoll in dem Sinne, dass es mich von einer großen Anspannung und einem großen Ärger befreite. Beinahe zitternd vor Staunen über die Bestimmtheit und Willensstärke, die ich nicht einmal „meine“ nennen würde, da sie von einem so selten besuchten Ort in mir auszugehen schienen, stand ich da. Nur wenige Sekunden darauf überschwemmte mich die Angst vor den Folgen.
Vielleicht liegt das Wesen der Zerstörung, das, was die Zerstörung im Speziellen von der Veränderung im Allgemeinen unterscheidet, ganz einfach im erhöhten Bewusstsein über das Risiko, durch unsere Handlung in der Gegenwart eine Balance, einen Status Quo oder ein funktionierendes System umzuwerfen und eine bislang unbekannte Zukunft hervorzurufen. Und vielleicht liegt in eben dieser Erfahrung eigener Wirkmacht – unabhängig davon, was genau sie zur Folge hat – auch die Lust an der Zerstörung. Auf diese Weise begriffen wäre die Zerstörung eine extreme oder extrem klare Form der Individuation.
So wie für einen Großteil der Menschen im echten Leben, ist für die Performer*innen in „We are all Teeth and Claws“ aber auch Gemeinschaft ein wesentliches Bedürfnis. Eine Art, Teil einer Gemeinschaft zu sein, ohne diese Zugehörigkeit über Gleichheit oder Harmonie zu etablieren, sehe ich in dem präsentierten Probenmaterial am ehesten in der Rolle, die Ivan Ekemark zukommt. Seine Handlungen auf der Bühne sind sowohl räumlich (das kleine Podest) als auch performativ (Gesang) klar begrenzt. Dennoch strahlt er in dieser Position eine starke Gelassenheit und Autonomie aus. Auch in Britta Wirthmüllers schnaufendem Spiel mit allen Muskeln des Körpers vermittelt sich mir eine gewisse Lust an der Beschäftigung mit den eigenen Kräften. An einer Stelle führt diese in ein gemeinsames Über-den-Boden-Rollen mit Magdalena Meindl und zu einem Bild geschwisterlicher Intimität – eine Erfahrung, die ich persönlich am ehesten mit dem Nebeneinander von Gemeinschaft und Konflikt/Zerstörung in Verbindung bringe.
Eine ähnliche Erinnerung an Bilder und Gefühle aus der Kindheit weckt Dorota Michalak in mir, als sie beginnt, mit der flachen Hand eine ihrer Mittänzerinnen neben sich zu hauen. Zu meiner Enttäuschung geht dies ganz schnell in eine mir bekannt vorkommende Tanzimprovisation über, von der gesagt wird, sie sei eigentlich gar nicht dazu da, von Publikum gesehen zu werden. Wozu sie stattdessen da ist, verstehe ich nicht. Ein wenig kommt es mir vor, als sei hier der Lust an der Zerstörung von etwas anderem Einhalt geboten worden. Ich bleibe bei Dorotas hauender Hand hängen und frage mich, wie viele Erwachsene, denen ich tagtäglich begegne, nicht auch ein hauendes Kind in sich kennen, irgendwo in einem dunklen Zimmer hinter vielen Vorhangschichten Scham.