Text zu NAH DRAN extended: body, text!19 (14./15. September 2019) von Johanna Ackva

 

 

Prolog:

Text ist auch Körper, und Bewegung hat Sprache. Für die diesjährige Ausgabe vonNAH DRAN extended: body, text!“ hat Kuratorin Käthe Kopf drei Frauen eingeladen, die Text und Körper auf ganz unterschiedliche Weise ineinandergreifen lassen. (Abendprogrammheft)

Auch in meinen Texten über die drei Arbeiten bin ich dem Motto des Abends gefolgt und habe versucht, immer wieder den Körper einzuladen: den Körper des Texts und den der Zeile, den Körper der Zuschauerin, der Sich-erinnernden und den der Schreibenden, den Körper als Teil und als Ganzes, als rätselhaftes Tor zwischen drinnen und draußen.

 

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Mit dem Finger den Umriss einer Erinnerung nachzeichnen,                                                                      NAH DRAN extended

eine Melodie aus dem Kopf dirigieren,                                                                                                                   body, text!

mit einem Flüstern die Geister zusammenrufen,

nach den verschütteten Gefühlen graben,

eine Landschaft erfinden zum eigenen Gebrauch,

 

eine altbekannte Geste beobachten,

wie sie aufs Neue geboren wird,

die Hände wie Bausteine zusammen setzten,

in einer Reihe und überkreuz, immer zärtlich,

der Fuß will schlenkern, ihn schlenkern lassen.

 

Den Körper auf einer Geschichte davonreiten sehen,

dann: zögern, sich wundern, an Wunder glauben,

 

ihnen hinterhersehen und in blau versinken.

 

Ein unhörbar gemurmelter Zauberspruch,

nein, es hat nichts mit der Lautstärke zu tun –

 

wir verstünden ihn auch nicht, wenn er geschrien würde.

 

words are noisy and cheap, sometimes“

 

Zwei Schritte nach vorn und einen zurück,

drei nach vorn und vier zurück,

vier und fünf, fünf und sechs,

der Widerhall verklingt.

 

Dann ist es still.

Zusammen im Dunkeln sitzen und warten.

 

Quarrtsiluni bedeutet eben das, erzählt mir Anni Lattunen nach ihrem Stück,

zusammen im Dunkeln sitzen und warten.

 

Suchen? – Die Augen an das Dunkel gewöhnen,

die Grautöne ausmachen, fünfzig mindestens,

grau wie in Maus, wie in Taube, in Asche und Beton,

grau wie zwischen Tag und Nacht.

 

Zu Gast in einem Halbtraum, einem Sprachraum,

einem Schlitz – einer Schlucht?

zwischen dir und dir, mir und mir.

 

Mit einem Wort die kürzeste Verbindung ziehen,

und merken, man hat alles darunter durchgestrichen:

 

Auf dem Boden Zickzacklinien,

hindurch lugt das eigene Spiegelbild,

dem wir uns entgegen lehnen,

 

Zaungäste im Halbschatten unserer selbst.

 

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Sonntagmorgen. In meinen Augen knirscht noch der Sand und ich fühle mich etwas verwirrt, nachdem ich eben beim Blick gen Himmel einen stark befahrenen Flugzeug-Highway entdeckt habe. In einer dichten dunklen Reihe rauschte ein Flieger nach dem anderen, wie in Richtung eines Krieges, über mich hinweg. Unheimlich. Ist das noch immer Teil von Agata Siniarskas Performance Signed. Sealed. Delivered.?

 

Als sie mir gestern Abend im ada Studio einen Umschlag überreicht, wirkt alles harmlos. Der junge Mann neben mir grinst vor Aufregung und Neugier wie ein Honigkuchenpferd. Ich nehme „meine Performance“ aus dem Kuvert und begebe mich den Anweisungen folgend auf den dunklen Hof der Uferstudios. Leider – oder zu meinem Glück? – komme ich in der knapp halben Stunde, die mir an diesem Abend gegeben wird, mit dem Lesen und Befolgen der auf dem Papier notierten Instruktionen nur bis Seite 3 von 8. Glücklich sitze ich, meinem eigenen Atem und dem eines kleinen Haselstrauchs lauschend, auf der Bank vor dem Büro des ada Studios. Aus dem Augenwinkel sehe ich andere Menschen, die langsam durch den Hof tapsen, auf dem Boden liegen oder stehen und in den Himmel blicken.

 

Gibt es noch jemanden in dieser Stadt, bei der oder dem der Klang der Krankenwagensirene Heimatgefühle auslöst? Wann immer ich zurück nach Berlin komme, fällt es mir auf.

Und ist Euch jemals aufgefallen, dass wir alles mit Beton zugeschüttet haben? Ist das nicht schade?

 

Als Kinder bauten meine Schwester und ich Höhlen unter dem Wohnzimmertisch. Am Wochenende durften wir manchmal dort übernachten. Durch die Wände aus Tüchern und Decken kam nur gedämpftes Licht herein. Nirgends war es gemütlicher und sicherer als in unserer Höhle.

 

Ich hatte eine Freundin, die nannte ich heimlich Schleifi, denn ihre Wangen waren rau wie Schleifpapier.

 

Meine Finger streicheln die Blätter des Haselstrauchs. Alle anderen sind schon wieder im Foyer und warten auf das folgende Stück.

 

In die Kaffeetasse starrend denke ich jetzt, ich hätte Seite 4 bis 8 meiner als Brief verpackten Performance besser nicht gestern Nacht noch im Bett gelesen. Vielleicht wären mir dann die bedrohlichen Traumbilder von Flugzeugkolonnen erspart geblieben. Ebenso wie die von toten Bäumen auf einer grauen Erdoberfläche, von der sich die Wiesen zurück gezogen haben. Und das einer ausgemergelten Straßenmusikerin, in deren Hut keine Münzen mehr landen, denn es ist kaum noch jemand von uns übrig geblieben.

 

Mein Blick wandert aus dem Fenster in den Hof, wo ein Nachbar sein Auto putzt. Ein roter Sportwagen. Daneben hat er noch ein zweites stehen, silber-metallic und für den Werktagsgebrauch.

 

The world is a ticking time bomb.“

 

Steht da, auf Seite 4. Ich weiß das, ebenso wie Du. Ja, Du, dich meine ich.Wir wissen es alle, aber scheinbar wollen wir es nicht so recht glauben. Solange es geht, hören wir einfach über das Ticken hinweg. Vor meinem Fenster pustet der Wind durch die hängenden Zweige der Birken und bringt sie zum tanzen. Tausende kleiner grüner Blätter streifen sanft aneinander. Noch bevor ich es sehe, kann ich es hören. Ich spitze die Ohren. Da ist etwas ganz kleines inmitten des großen Rauschens: ein Klackern... und.. ein Klicken, ein Flattern – ...ein Ticken.

 

*****

 

Vor Kurzem sprach ich mit einem Psychoanalytiker. Es ging um die Verbindung zwischen Analyse und Religion. Im Grunde seien beide Resultate eines menschlichen Bedürfnisses, sich die Welt und das wundersame Phänomen des Lebens zu erklären. Während allerdings die Religion übernatürliche Wesen erfinde, um uns heilbringerisch von den Ungewissheiten des Lebens zu befreien, ermutige die Analyse die Patient*innen ganz im Gegenteil dazu, sich mit ebenjener Ungewissheit anzufreunden.

 

Oder anders: In der Bibel rettet Gott Jona nach drei Tagen und drei Nächten aus dem Bauch des Walfischs. Als moderne Menschen hingegen wünschen wir uns, so zumindest suggerieren es Fanny Sorgos Übersetzungen aus dem Walgesang, von einem Wal verschluckt zu werden. Es entspricht ganz und gar dem Gefühl der Ratlosigkeit, die uns nach dem allseits proklamierten Tode Gottes umhüllt. Wenn man ratlos ist und auch keinen Rat zu erwarten hat, dann kommt einem eine dunkle Höhle mit kreisrunder Aussicht auf den Sternenhimmel (das Spritzloch des Wals), doch sehr entgegen. Zumindest kann man es sich dort etwas bequem machen und beim Blick in die Weite des Universums der Melancholie freien Lauf lassen.

 

Ach, dieser stets entfliehende Sinn! Wie soll man ihm begegnen? Sinnlich vielleicht. Dazu könnte man mal die Schuhe ausziehen, wie es Fanny und ihre zwei walbauchreisenden Gefährtinnen an der Bratsche und am Saxofon getan haben, mit den nackten Füßen auf dem Boden stehen und die Propriozeptoren stimulieren. Kontakt zur Erde, pardon, zur Magenwand des Wals. Dann empfiehlt es sich, tief ein- und auszuatmen – auch so eine Methode, um dem Kreisen der Gedanken Einhalt zu bieten – und in den eigenen Bauch zu spüren. Langsam öffnen und schließen sich die Falten des Akkordeons und schnaufen leise bis ich ganz ganz ruhig –

 

von einer Joggerin, die in den Walbauch stürzt, einen Schrecken versetzt bekomme.

 

Ihre Disziplin ist nicht von langer Dauer. Nach einigen Kreisen zu den Harmonien des Akkordeons macht sie schon schlapp. Ich kenne das: Wozu trainiert man denn da eigentlich? Ich meine so ganz allgemein und existentiell und auf das Leben bezogen und so. Am Ende stirbt man ja doch und, wie gesagt, der Zug zum Paradies ist längst abgefahren. Ganz zu schweigen von der Rente, mit der es schließlich auch vorbei ist, wie pessimistische Stimmen an dieser Stelle hinzufügen würden.

 

Moshe Feldenkrais hat einmal gesagt: "Ich brauche nicht bewegliche Körper, ich brauche bewegliche Gehirne." Mit der umgekehrten Geburt, in den Bauch eines Wals hinein, übt man mit Sicherheit die Beweglichkeit des Gehirns. Und für alle, die noch einen weiteren psychoanalytischen Schritt um die Ecke denken wollen: balaena, das lateinische Wort für Wal ist mit dem griechischen Wort phallein verwandt, und das wiederum – wer hätte es gedacht – mit dem phallus. Was das wohl bedeuten mag? In die Gebärmutter hat sich ja schon manch eine*r zurückgesehnt und es besungen und beschrieben, aber in den Penis? Fazit: Die Gehirnbeweglichkeit ist angeregt. Unter den Zuschauer*innen im ada Studio fühle ich mich fast schon wie in der Gruppentherapie – oder wie auf einem Segelschiff, und die werden bekanntlich gerne für längere therapeutische Maßnahmen eingesetzt.

 

Auch wenn das Lied, das die Welt für uns singt „verständlich nur für Wale“ ist, müssen wir uns früher oder später mit der Dramatik der Lage abfinden. Auch der Psychoanalytiker sagt das: Man hat nie zu Ende analysiert, gehen muss man trotzdem irgendwann. Ob das ein Wink mit dem Zaunpfahl war, für mich, die sich gerne zwischen Tür und Angel verfängt? Meine Stärke ist das Gehen nämlich nicht. Deshalb beeindruckt es mich, dass Fanny und ihre Gefährtinnen, wie zuvor in einer ernsthaften Ansprache propagiert, nicht lange fackeln. Schon stehen sie in ihren Stiefeln, machen auf dem Absatz kehrt und sind fort.


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

ada Studio für zeitgenössischen Tanz

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