Text zu NAH DRAN extended: beginnings (2.-5. Juli 2020) von Carrie McILwain
Wann hat diese neue Welt begonnen? Ein Science-Fiction-Traum mit halb verborgenen Gesichtern, verschreckt von jeder Art von Kontakt und physischer Nähe. Wir sind besorgt ob der verbrauchten Atemluft, die sich über uns sammelte, würden wir zusammen in einem Raum tanzen. Nicht dass Kontakt ein überflüssiger Teil der bisher existierenden Welt gewesen wäre, wir waren noch nicht angekommen in der „Kontaktwüste". Hier und jetzt, an diesem Ort, wird der Durst sozialer Isolation gestillt – an einem Brunnen, dessen Koordinaten irgendwo tief im Internet liegen. Hast du das Nahen dieser neuen Welt geahnt? Kommst du in ihr zurecht?
Eine Gruppe Studierender des Hochschulübergreifenden Zentrums Tanz Berlin hat in dieser sich neu formierenden Welt der grassierenden Pandemie neue Praktiken der Zusammenarbeit entwickelt. Sie arbeiten in verschiedenen Konstellationen (Duos oder Gruppen), an verschiedenen globalen Orten, und suchen nach neuen Wegen, etwas gemeinsam zu schaffen und doch getrennt zu bleiben – sie entwickeln Aufführungen, die online gezeigt werden. Die Arbeiten für NAH DRAN extended: beginnings online entstanden außerhalb der Unmittelbarkeit der Begegnung von Angesicht zu Angesicht, und stützen sich auf Korrespondenz, Telepathie, Begegnung in virtuellen Welten oder bewährte Formen des mediierten Gesprächs. Durch die Suche nach neuen Kommunikationsstrategien als künstlerische Praxis hat die Künstler*innengruppe nicht nur interessante Werke, sondern auch Konzepte für den Umgang mit einer neuen Welt geschaffen.
Statt uns eine unabänderliche „fertige“ Vision vorzusetzen, laden uns die praxisbasierten Arbeiten als Betrachtende dazu ein, mit ihren Autor*innen nachzudenken. Hineingezogen in die Prozesse der Vorstellungskraft, folgen wir den märchenhaften Brotkrumen künstlerischer Konstruktionen, und phantasieren so gemeinsam. In I Am Here (Bendjus & Petrushevska) nahm das Publikum per Zoom an einer angeleiteten Visualisierung einer potenziell kollektiven Körpereinheit teil. Beeinflusst sowohl durch die Moderation der Gastgeberin, als auch durch den stimmlichen Input der anderen Teilnehmenden, schloss ich die Augen und versuchte, mich auf ein ständig werdendes und sich wandelndes Wesen zu konzentrieren. A Dance of Pixelated Bodies (Cankaya & Belous) hypnotisiert die Betrachtenden mittels Video durch sich ständig verändernde Körper von Avataren/Identitäten und Hintergründen. Ich sah mich konfrontiert mit den Unterschieden und Lücken zwischen den vom Computer und den vom Menschen erzeugten Bewegungen. Tanzt der Algorithmus, oder tragen die Künstler*innen die Haut des Avatars und tanzen darunter? Knitting and Singing at the Sauna (Ryynänen, Ashman, Pereira & Ringart) präsentierte ein Dokument telepathischen Engagements. Die Telepathie manifestiert sich in der gleichzeitigen Ausführung von in Gruppen verteilten Aufgaben. Wir stellen uns die Verbindungen innerhalb der Gruppe vor, beobachten und suchen sie, so wie die Künstler*innen sie untereinander gesucht haben.
In False Start (Rosa & Okan) ist die Erzählung eines Ereignisses das Ereignis selbst, da wir uns mit der mikro-rituellen Aktion beschäftigen, die stattfindet, bevor ein Athlet läuft, springt oder wirft. Da wir nur den Moment unmittelbar vor dem Akt sehen, bleibt unserer Phantasie überlassen, welchen Sportarten diese Figuren nachgehen. Zuletzt präsentiert Beginnings - A Braincast (Hint & Ladopoulos) - ein Podcast, das in seiner Textur beinahe dem Denken selbst entspricht, ein Netz von Gefühlen, Fragen und Bildern, das „Anfänge“ zu lokalisieren oder zu definieren sucht. Einen Anfang ausfindig zu machen ist ebenso eine Vorstellungsleistung wie die, sich vorzustellen, wie man etwas beginnt.
Ein kollektiver Körper, der durch den Einsatz von Technologie entsteht, transzendiert nicht nur seine menschlichen Körperteile, sondern kann auch einem Wunsch danach gerecht werden, gemeinsam physischen Raum einzunehmen. Auf der Suche nach einem visuellen Format für den gemeinsamen Tanz entwirft Knitting and Singing at the Sauna einen choreografischen Schnittprozess. Videos der einzelnen Künstler*innen, die zuhause tanzen oder Aufgaben ausführen, schichten, überlagern und vermischen sich, bis ein kollektiver Körper entsteht. In A Dance of Pixelated Bodies tanzen die Körper der Avatare gemeinsam in Horrorfilm-Szenarien oder auf fantastischen Planeten, während Teile der 3D-Animation vorübergehend verschwinden, ein Arm oder Torso einem Glitch zum Opfer fällt, sobald ein Element mit ihm in Kontakt kommt. Zusätzlich durchqueren die Körper andere Körper oder Objekte und verschmelzen für Momente grotesker Zweisamkeit. In ähnlicher Weise zeigte die Arbeit I Am Here, die sich über vier Sitzungen erstreckt, angefertigte Porträtzeichnungen für jeden der entstandenen kollektiven Körper. GSTO, KZUOB, MIWBTO und SNUV wurden geboren, benannt anhand der Buchstaben, die jeweils am Ende der Sitzung von den Teilnehmenden angegeben wurden.
Beginnings - A Braincast präsentiert den „Braincast“ als nicht-hierarchische, vielstimmige Landkarte der Gedanken von über 140 Personen, die von den Künstler*innen in einer Recherchearbeit über „Anfänge“ gesammelt wurden. Ähnlich einem Echo im eigenen Kopf, wiederholen sich Wörter oder Phrasen, wobei sich auch zwei oder mehr Gedanken überlagern können. Die Künstler*innen intervenieren durch Erweiterungen und fügen ihre eigenen Gedanken hinzu. Zuhören bedeutet, sanft in ein Erschaffen kollektiven Bewusstseins einzutauchen. In False Start erscheint weniger ein kollektiver Körper als vielmehr ein austauschbarer Begriff von Identität. Dem Wechsel der Avatare nicht unähnlich, spielen sich in sanften Wettkämpfen die Künstler*innen selbst, und erzählen dabei auch die Handlungen der anderen mit. Ähnlich dem Spektakel des Sportkommentars, feiern und erklären sie gleichermaßen ihre eigenen Handlungen, die der anderen, und die Fiktion.
Wie wurde das Alltägliche zum Material, mit dem man arbeiten kann oder muss? Welche Gefühle löst es aus, wenn man versucht, sich nur mit virtuellen Mitteln zu verbinden? Das bloße Ausstrecken, um mit Fingerspitzen über eine kühle Glasfläche zu streichen, kann Frustration, Melancholie, Langeweile oder einen Sinn für komplexen Meme-Humor triggern. Anstelle von sozialer Nähe teilen wir jetzt die zufällige Intimität, zu sehen, wie andere leben. Die verzerrten Winkel der Laptop-Kameras in Skype- oder Zoom-Chats zeigen viel von dem, was sich unterm Kinn befindet, und zugleich die Hintergründe des eigenen Lebens. Räume mit zufällig verteilten Objekten, zusammengewürfelten Möbeln, persönlichen Gegenständen oder (für manche vertraute, andere fremde) Aussichten aus Fenstern. Wie sehr ist das Teilen dieser Banalität oder der Langeweile eine neue Form von Intimität? Knitting and Singing at the Sauna ist geprägt vom Spiel, und auch von einem Gefühl des Flirtens und Sich-kennenlernens. Es gibt Aufgaben, um sich abzulenken – Bananen essen oder Bier trinken – und andere Szenarien, die voller Melancholie sind: mit wenigen anderen Menschen auf einer einsamen Insel gefangen zu sein; geteilte Erinnerungen an Lieder, die Erzählung eines Traums davon, Wasser durch den Körper laufen zu lassen, bis „er sauber genug ist, um wieder schmutzig zu werden“. Durch das „gemeinsame“ Duschen kommen sie sich näher, und die Handlungen und Dialoge drehen sich um eine verschwommene, vage Intimität. I Am Here ist trotz der meditativen Atmosphäre spielerisch, teils ein Lagerfeuer-Geschichtenerzählen, teils ein krabbelndes absurdes Konsens-Geschöpf. False Start ist eine reine Albernheit, die banale Schauplätze wie einen Fußgängerübergang in einen Spielplatz verwandelt, um dann einen Spielplatz in eine Arena für einen ohnmächtigen Showdown zu verwandeln, für den sie es schafft, eine Polizeistreife als ungewollte Jury einzusetzen. Beginnings - A Braincast lädt uns dazu ein, vom Podcast geführt vage umherzuschweifen, gefolgt von einem schiefen Chor, der über einer Klanglandschaft aus unsicheren Mms und Uuhhs thront. Der Inhalt des Textes selbst bietet mehr und mehr Widersprüche, freundlich aber auch frech erzählt. Eine Stimme singt im Flüsterton, beiläufig fluchend über die eigenen Limitierungen, Fehlstarts und Ängste vor Anfängen. In Dance of Pixelated Bodies erleben wir so manchen absurden Moment: Einen Zombie, der neben seinem potenziell nächsten Opfer tanzt, eine nackte Figur, die im All mit einem 'Heiden' tanzt, eine Montage von Identitäten, die von einer Klippe stürzen, eine nach der anderen ins Wasser fallend. Die Schlussszene endet mit der nackten Figur, allein in der Badewanne liegend – ein einsamer, aber wunderbar intimer Moment, während der Abspann beginnt.
When did this new world begin? A science fiction dream of half hidden faces, paranoid about contact and the proximity of bodies. We wonder and worry about the stale breath that can collect above us in a room, if we were to dance together. Not that contact had been a superfluous incident in the world that existed until now, but we had yet to arrive in the “contact desert”. Here and now in this place, the well that brings relief from social isolation has its co-ordinates somewhere on the internet. Did you sense this new world approaching? Are you navigating it well?
A group of students from Inter-University Centre for Dance Berlin have engaged in new collaborative practices in this freshly forming world of active pandemic, working in different constellations (duos or groups), in different global locations, searching for new ways to make works together while staying apart. Developing performances to be presented online. Primarily the works in NAH DRAN extended: beginnings online resulted outside of the immediacy of face to face meeting, relying upon correspondences, telepathy, meeting in virtual worlds, or the tried and true forms of mediated conversations. In investigating new communication strategies as art practice, this group of artist produced not only interesting works, but also strategies for dealing with this new world.
In these practiced based works we are invited as the viewer to imagine with the artists, rather than receiving an impermeable “finished” vision. We encounter the processes of fantasy, following the fairytale breadcrumbs of artistic constructions in order to imagine together. In the work I Am Here (Bendjus & Petrushevska) the audience was invited via zoom to a guided visualization towards a potential collective body. Influenced by the moderation of the host as much as by the vocal input of the others in the meeting, I closed my eyes and attempted to concentrate upon an ever becoming and shifting creature. In A Dance of Pixelated Bodies (Cankaya & Belous) a video which mesmerized the viewer with the constantly changing bodies of avatars/identities and backgrounds. I was left to wonder about the gaps between the computer and human generated movements. Does the algorithm dance or do the artists wear the avatar skin and dance beneath? Knitting and Singing at the Sauna (Ryynänen, Ashman, Pereira, Ringart) presented a document of telepathic engagement. The telepathy practiced through the simultaneous participation in group assigned tasks. We were invited to observe, search for, and imagine the links within the group, in the same way that the artists have searched amongst each other. In False Start (Rosa & Okan) the narration of an event is the event itself, as we dwell upon the micro ritual performance that occurs before an athlete runs, jumps, or throws. As we only see the moment just before the acts, we are left to imagine the fantasy sports these characters play. Lastly Beginnings - a braincast (Hint & Ladopoulos) a podcast with the texture of thinking itself offers a net of feelings, questions and imagery for locating or defining “Beginning”. To locate a beginning is as much a feat of the imagination as having the fantasy about where to start.
A collective body that can come into being through the use of technology, is not only transcending its human corporeal parts, but can acknowledge a wish to occupy physical space, together. Searching for a visual format for dancing together Knitting and Singing...employed a processes of choreographic editing. Videos of the individual artists dancing or performing tasks in the home, became layered, overlapped, and mashed-up until a collective body emerged. In the Dance of... As the bodies of the Avatars danced together in horror movie backgrounds or on fantastic planets, parts of the 3D animation would momentarily disappear, an arm or torso glitching out when an element came into contact with it. Additionally the bodies passed through other bodies or objects, merging for moments of grotesque togetherness. Similarly the practice I Am Here occurring over four sessions, published a portrait drawing made for each of the collective bodies that had arisen. GSTO, KZUOB, MIWBTO, and SNUV were born, each named with the letters supplied at the end of the meeting from participants. In Beginnings - a braincast the “braincast” is the non hierarchical multi voiced map of thoughts, of over 140 persons collected by the artists as a research about “Beginning”. Akin to the echoes in ones own head. Words or phrases are repeated one after another, two or more thoughts occurring simultaneously. The artists mediate through extension adding their own ruminations. To listen is to sink softly into a production of collective consciousness. In False Start there is not so much a collective body as an interchangeable concept of identity. Not unlike the switching of Avatars, the artist play as themselves in gentle competitions against one another, while also narrating the actions of one another. Performing the spectacle of sports commentators, equally praising and explaining the actions of themselves, of one another, and the fiction.
How has the mundane become a material with which to work? What feelings are triggered in the attempt to connect only through virtual means? Reaching out only to swipe fingertips across cool glass surfaces can trigger frustration, melancholia, boredom or an elaborate meme sense of humor. In place of social proximity, we now share in the accidental intimacy of seeing how others live. In skype, or zoom chats, the distorted angles of laptop cameras show just as much what is under one's chin as the backgrounds of ones life, rooms with disheveled objects, mismatched furniture, personal effects, or the (familiar to one but not the other) view out of a window. How much is the sharing of this banality or boredom a new form of intimacy? In the work Knitting and Singing...there is an air of game playing but also a sense of flirting, of getting to know someone. There are tasks to distract oneself, eating bananas or drinking beer, and other task tinged with melancholia, like being trapped on a desert island with just a few other people; they start sharing memories of songs, and dreams of pouring water through a body until “it is clean enough to get dirty again.” Growing closer in showering “together”, the actions and dialogues revolve around a hazy intimacy. I Am Here despite the meditative tone, reminds never the less of a game, part camp fire storytelling, part absurd clambering creature of consensus. False Start is pure spoof, turning banal locations such as a cross walk into a playground, then turning a playground into a serious arena, and manages to instrumentalize a police patrol as jury for an impotent showdown between the contenders. Beginnings - a braincast invites us to move vaguely and let the podcast chaperone, which is immediately followed by an off key choir reigning in a soundscapes of uncertain mms and uuhhs. The content of the text itself offers always more and more paradoxes, in a gentle but also mischievous way. A voice sings under its breath, casually cursing about their own personal limits, failures to start and fears about beginnings. In Dance of...we get to experience many an absurd moment: a zombie dancing directly next to what could be their victim, a naked figure dancing in outer space with a pagan, a montage of identities walk off a cliff, falling one after another into water. The final scene ends with the naked dancer reclining alone in a bath tub, a lonely, yet sweetly intimate moment as the credits roll.