Text #2 zum A.PART - Festival für Berliner Tanz-Studierende und Alumni (18. April bis 17. Mai 2020) von Johanna Ackva
Halbzeit für das A.PART-Festival: ein Gespräch mit den Künstlerinnen Silja Tuovinen, Lauren Fitzgerald, Simone Gisela Weber & Julia Keren Turbahn
Zum dritten Mal sollte das A.PART-Festival in diesem Jahr Positionen von Alumni*ae und Studierenden Berliner Tanzausbildungsinstitutionen im ada Studio präsentieren. Aufgrund der Beschränkungen durch das Coronavirus findet das Festival nun als Blog statt. Die Absolvent*innen arbeiten, so gut es eben geht, an ihren Konzeptideen; die Studierenden greifen ihre bereits fertigen Stücke wieder auf, reflektieren und ändern sie zum Teil nochmal. Ihre Posts auf dem Blog dokumentieren sehr unterschiedliche Prozesse. Eine Woche bevor das Festival unter normalen Umständen stattgefunden hätte, treffe ich Lauren Fitzgerald (Schülerin bei Die Etage), Silja Tuovinen (Absolventin des Dance Intensive Programms der Tanzfabrik), sowie Julia Keren Turbahn und Simone Gisela Weber (Absolventinnen des Hochschulübergreifenden Zentrums Tanz) über Zoom. Der folgende Text ist eine gekürzte Version dieses Gesprächs.
Johanna:
Wollt ihr mir erst mal erzählen, was ihr gerade macht? Wo seid ihr und wie arbeitet ihr: zuhause, draußen im öffentlichen Raum, in der Natur – oder habt ihr Studios, die ihr nutzen könnt? Was ist gerade möglich und was nicht?
Lauren:
Ich bin in Berlin. Bis Anfang der Woche war ich nur zuhause. Seit Montag findet wieder Unterricht statt, das heißt, im Prinzip habe ich Zugang zu den Studios.
Silja:
Ich bin in Nordfinnland und ich arbeite hauptsächlich draußen, also eigentlich nur draußen. Es gibt hier viele Wälder und Felder. Die Luft ist noch nicht so warm, aber mein Körper mag die Kälte, sie generiert Ideen und Bewegungen. Ich habe versucht, in ein Studio zu gehen und habe festgestellt: nein, das ist nicht der richtige Ort für diese Recherche. Ich dachte immer, ich brauche ein Studio zum Arbeiten, das Studio hat gewissermaßen Arbeiten 'markiert'. Jetzt ist der Prozess eigentlich immer dann präsent, wenn ich draußen bin.
Simone:
Julia und ich wollten Anfang März mit den Proben beginnen. Das haben wir verschoben, weil wir nicht sicher waren, wie und ob wir überhaupt arbeiten wollten. Momentan haben wir ein ziemlich 'traditionelles' Set-up, sind in einem Studio für mehrere Stunden am Tag. Als noch unklar war, wie A.PART stattfinden würde, hat mich das ein bisschen paralysiert. Wir wussten, es würde keine Live-Performance geben. Außerdem war geplant, eng mit einer Sound- und mit einer Kostümdesignerin zusammen zu arbeiten. Das ist natürlich nicht möglich. Wir haben versucht, mit Nikola über Zoom zu jammen, aber das war zu seltsam!
Johanna:
Außer Lauren hattet ihr alle vor, an einem neuen Stück zu arbeiten, an etwas, das noch gar nicht existiert. Haben sich Eure Ziele durch die Situation geändert?
Julia:
Es war eine wichtige Entscheidung, so weiter zu arbeiten, wie wir es vor hatten – trotz Corona. Wir wollten weiterhin physisch arbeiten – ohne das, was wir tun, für einen Kamera-Frame zu denken. Natürlich würde alles schneller gehen, wenn wir jetzt eine Performance anvisieren müssten. Zugleich liegt eine Freiheit darin, diesen Ergebnisdruck nicht zu haben. Wir können etwas versuchen und umwerfen und nochmal versuchen und nochmal umwerfen. Wenn wir nächste Woche performen würden, hätten wir viele Entscheidungen schon längst treffen müssen.
Silja:
Für mich ist das die Frage: Was genau macht ein Produkt aus – jetzt? Was kann ich als Ergebnis betrachten? Für's erste wird es keine Live-Performance sein, aber ich will diese Option auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Momentan hat sich mein Fokus allerdings dahin verschoben, meine Praxis besser zu verstehen.
Simone:
Wir haben eigentlich viel Material, das man jetzt zusammensetzen könnte, deshalb war ich ein bisschen frustriert, dass die Arbeit so bald nicht gezeigt werden kann. Und auch aus Unsicherheit darüber, was mit dem Material passiert, das wir online posten. Es fühlt sich an, als würde das alles verfliegen und vergessen werden. Die Welt dreht sich so schnell.
Julia:
Für mich liegt aber auch ein Gefühl von 'agency' oder Macht darin, nicht alle Pläne fallen zu lassen, um etwas zu kreieren, das perfekt in die online-Welt passt.
Simone:
Bei diesem Überfluss an online-Veranstaltungen sollten wir ohnehin nicht vergessen, dass wir live-Künstlerinnen sind und nicht Medienkünstlerinnen. Kreativ sein ist natürlich unsere Gabe und so können wir uns an viele Situationen anpassen. In diesem Sinn ist die aktuelle Situation auch gar nicht so anders als andere Umstände, in denen ich mich plötzlich wiederfinden kann: etwa, wenn ich keine Förderung bekomme und mich fragen muss, wie ich das Projekt trotzdem umsetze.
Johanna:
Lauren, für dich ist das alles etwas anders gelagert: Du wurdest mit einem bereits existierenden Stück zum A.PART-Festival eingeladen und jetzt hast du dich entschieden, dein Solo Like we were laughing zu einem Film umzuarbeiten. Magst du uns etwas über diesen Prozess erzählen?
Lauren:
Das ist meine neueste Idee, ja. Ich hatte das Gefühl, es wäre gut für mich, ein 'finales' Produkt zu haben, etwas mit mehr Kohärenz als ein Haufen kleiner Videoclips und Experimente – selbst wenn das Video auch ein Experiment ist. Ich war begeistert von dem neuen Festivalformat, dass es keine Live-Performance sein würde. Ich arbeite zwar mit dem Körper, aber ich mache auch viele andere Dinge und für manche, habe ich das Gefühl, gibt es bessere Vermittlungsformen als eine Performance.
Johanna:
Du hast auch sehr viel gepostet. Es scheint, als nutzt du den Blog sehr aktiv. Ich habe mich in Bezug auf euch alle gefragt, wie ihr mit dem Medium arbeitet. Welchen Status haben eure Posts?
Lauren:
Im Moment habe ich mehr Lust, den Leuten die kleinen Dinge zu zeigen, die passieren, das fühlt sich persönlicher an. Außerdem betrachte ich den Blog als ein Gruppenprojekt, zu dem ich beitrage. Es gibt da meine Seite, aber ich kommentiere auch häufig die Inhalte der anderen Künstler*innen. Für mich ist das eine Möglichkeit, sich gemeinsam zu begeistern und eine Art 'community space' zu schaffen.
Silja:
Ich behandle den Blog als ein Skizzenbuch, mit der Nuance, dass er öffentlich ist. Ich habe ein ganz starkes Gefühl von Verletzlichkeit, wenn ich mich selbst, meine Arbeit und meine Praxis präsentiere. Ich frage mich immer wieder, wie viel ich von diesem 'rohen' Material, meinen Gedanken und Gefühlen öffentlich zeigen kann. Zumal ich keine Ahnung habe, wer sieht, was ich schreibe und veröffentliche.
Lauren:
Wenn du Skizzenbuch sagst, Silja, denke ich, dass der Blog mich im Grunde sogar dazu motiviert, mit meinen Skizzen mehr zu machen. Ganz kleine Ideen in meinem Kopf, über die ich normalerweise lachen würde und sie dann vergesse, für diese Ideen gibt es jetzt einen Ort und die Möglichkeit, sie weiter zu spinnen.
Johanna:
Das heißt, du fütterst nicht nur den Blog, sondern der Blog füttert gewissermaßen auch dich, indem er dir einen Rahmen gibt.
Julia:
Unser 'Kernmaterial', an dem wir gerade forschen, ist auf dem Blog eigentlich noch gar nicht aufgetaucht. Unsere Post sind also entweder Nebenprodukte oder dokumentierte Arbeitsschritte, wie zum Beispiel Scores, die wir hochgeladen haben.
Simone:
Der Blog spiegelt außerdem den künstlerischen Prozess, mit den Phasen der Spielens und des Experimentierens mit Dingen, die niemals in der Performance zu sehen sein werden, die man aber irgendwie durchprobiert haben muss.
Julia:
Wir haben auch unserem Team die Freiheit gegeben, sich zu fragen, was zu recherchieren sie gerade Lust haben. Denn es war ja klar, dass sie kein Kostüm oder Sound für eine fertige Performance machen. Nikola hatte die Idee, Geräusche von Kostümen mit einer speziellen Oberflächentextur abzunehmen. Unter 'normalen' Umständen hätten wir uns nicht so viel Zeit genommen, das auszuprobieren.
Johanna:
Ihr entdeckt jetzt also auch neue Arbeitsmethoden...
Simone:
Ich glaube eher, wir werden uns unserer Methoden bewusster: die Situation macht vieles sichtbarer.
Johanna:
Silja und Lauren, es würde mich interessieren, nochmal über euren Umgang mit Raum zu sprechen. Ich frage mich zum Beispiel, ob es durch die Arbeit gerade eine andere Beziehung zur Natur gibt, oder diese irgendwie relevanter geworden ist.
Silja:
Für mich hat die Situation nochmal besonders hervorgehoben, wie ich als Künstlerin mit der Kunst, die ich mache, Teil dieser Welt bin. Die Idee des Studios ist ja nicht schlecht, aber ich kreiere nicht in einem Vakuum. Ich lebe und arbeite in dieser Welt und muss meine Arbeit mit ihr teilen, also kann ich sie vielleicht auch mit der Natur teilen. Sie kann 'mein Publikum' sein. Vielleicht will ich nie mehr im Studio arbeiten, vielleicht wird das nicht mehr relevant sein. In diesem Sinne hat sich meine Beziehung zum Studio und zu der Frage danach, was ein Arbeitsort ist, sehr viel stärker verändert, als die Beziehung zu anderen Orten.
Johanna:
Wenn ich den Videoversuch ansehe, den Lauren mit einer kleinen Figur in einem Wasserglas gemacht hat, dann sehe ich darin gewissermaßen die entgegengesetzte Bewegung: statt dem Rausgehen, dem Unter-freiem-Himmel-sein, wirkt das wie eine Bewegung ins Innere, sehr intim. Du hast sozusagen eine Mikrobühne geschaffen. Ich finde diese beiden Pole interessant.
Lauren:
Wenn man nicht im Studio arbeitet, bekommt die Umgebung mehr Präsenz und Bedeutung. Das Studio wirkt im Vergleich neutraler. Mit Video in meinem Zimmer oder auf einem Friedhof zu arbeiten, wie ich es auch einmal gemacht habe, heißt, dass neben dem Körper mehr Dinge auftauchen, die interpretiert werden können. Ich mag das. In dem Versuch mit der Figur ging es mir darum, den Raum und Kontext drumherum unsichtbar zu machen.
Johanna:
Apropos unsichtbar und sehen: Für Performance ist die Erfahrung des Zusammenspiels verschiedener sinnlicher Eindrücke ja eine zentrale Sache. Wie funktioniert das mit dem Blog? Versucht ihr, die Sinnlichkeit der performativen Erfahrung zu übersetzen? Oder überlasst ihr dieses Feld der analogen Welt?
Simone:
Ich glaube, es ist ziemlich offensichtlich, dass wir diese Übersetzung nicht versucht haben. Das Soundexperiment, das wir gepostet haben, hatte für mich etwas sinnliches, das sich über das Video vermittelt hat... mehr vielleicht noch, als es sich live vermittelt. Deine Frage lässt mich eher daran denken, wie sehr ich Bodywork vermisse, die Person, mit der man arbeitet, konkret zu fühlen. Und auch die Rituale des Sich-Umarmens am Anfang und am Ende fehlen mir. Wie man sich begegnet, bzw. begegnen kann, ist ein wichtiger Teil der Arbeit.
Silja:
Für mich ist die Frage nach Sensibilität das größte Thema im Moment. Auf der Bühne arbeite ich mit Präsenz, präzisen Formen unterschiedlicher Präsenzen und Stimmungen. Jetzt frage ich mich: Wie kann ich Sensibilität, ein Gefühl, eine Stimmung und deren Wechsel in einem Video kommunizieren? Das ist komplex: ich versuche viel und scheitere oft. Im Moment arbeite ich viel mit Kamera und der Schnittprozess wird ein wichtiger Aspekt des Choreografierens. Ich sage mir selbst: das, was ich online präsentiere, darf anders sein, als das, was ich live präsentieren würde. Trotzdem bleibt das ein großes Thema: Wie kann ich mit einer Kamera 'sinnlich' agieren, vor allem, wenn ich nicht weiß, wer und wie viele Leute das sehen.
Johanna:
Auf dem Blog kommuniziert ihr alle sehr unterschiedlich mit mir, dem Publikum – wenn man das so sagen kann. Ich habe mich oft angesprochen gefühlt, aber interessanterweise weniger durch die Videos. Mit eurem Score, Julia und Simone, ging es mir zum Beispiel so. Ich habe mir sofort vorgestellt, ich würde das machen und habe mich gefragt, ob der Score tatsächlich als Einladung an mich gedacht ist. Ein anderer starker Moment war beim Lesen eines Posts von Lauren. Du beschreibst darin, wie die Isolation eines Sounds oder Geräuschs und das Abspielen desselben in einem anderen Raum eine besondere Präsenz herstellt. Ich habe mir deine Aufnahme daraufhin ganz anders angehört und war mir der Umgebung meiner eigenen Wohnung beim Hören sehr bewusst. Diese Momente intensiver Erfahrung machen den Blog für mich lebendig! Auch wenn dieser Kommunikation natürlich die Gleichzeitigkeit fehlt.
Lauren:
Ich habe viel darüber nachgedacht, wie wir uns selbst auf dem Blog präsentieren, dass manche von uns da zögerlicher sind, während andere einfach losgepostet haben. Ich habe auch überlegt, ob ich meine Posts in diesem recht persönlichen Ton machen kann, oder ob sie geschliffener sein müssten. Selbstdarstellung wird jetzt ein neues Thema, vor allem off-stage.
Johanna:
Silja hat vorhin von Verletzlichkeit gesprochen. Ich frage mich, wie präsent oder stark für euch dieses Gefühl der Verletzlichkeit ist und wie genau es sich ausdrückt: Ist es die Sorge, aufgrund unfertiger Arbeit bzw. aufgrund von Zwischenergebnissen bewertet zu werden? Macht ihr euch Gedanken darüber, dass eure Werkzeuge oder konzeptuellen Ideen 'geklaut' werden könnten – bevor eure Arbeit zu einem Ergebnis publiziert wird?
Julia:
Das war ganz oft Thema in Zoom-Meetings, die wir hatten. Die Gespräche mit den anderen Künstler*innen haben mich dazu gebracht, mehr darüber nachzudenken, was für eine Art von Output oder welches Bild von uns wir erschaffen.
Simone:
Ich kann mich ziemlich leicht von dem distanzieren, was ich poste. Social Media ist ohnehin ein so großer Teil des Lebens geworden. Vielleicht ist das naiv von mir, aber ich finde es gerade schön, auch Dinge zu teilen, die ich normalerweise nicht teilen würde. Ich fühle mich dabei nicht verletzlich. Ich denke sogar, wir sollten das in Zukunft beibehalten: die kleinen Arbeitsschritte und unfertigen Dinge offenzulegen. Jetzt passiert das online, nächstes Jahr könnte das heißen, öfter mal Gäste ins Studio einzuladen.
Silja:
Ich fühle mich ziemlich verletzlich. Ich arbeite an einem Solo, noch dazu nicht in Berlin, wo ich mein vertrautes professionelles Umfeld um mich hätte. Das heißt, ich bin allein mit der Arbeit und mein Thema ist speziell. Es gibt viele ethische Überlegungen darüber, wie ich mich ausdrücke, wenn ich zum Beispiel von Überleben und von anthropologischen Studien mit Menschen in Kriegs- und Konfliktsituationen spreche. Das alles trägt zu dem Gefühl der Verletzlichkeit bei. Ich bin mir sehr bewusst darüber, dass ich Menschen verletzen oder auch selbst verletzt werden könnte. Ich muss darauf vorbereitet sein, dass ich mich eventuell entschuldigen muss, wenn ich mich zu diesem Thema öffentlich äußere. Denn ich arbeite mit den Erfahrungen anderer – und interpretiere diese aus einer sehr privilegierten Position heraus. Natürlich arbeite ich auch mit meiner eigenen Erfahrung, zum Beispiel damit, wie mein Geist und meine Seele diese Coronazeit überleben. Diese Faktoren jedenfalls haben Einfluss darauf, wie ich mich auf dem Blog ausdrücken kann. Auch ist es für mich persönlich einfacher, vor eine Gruppe von Menschen zu treten und mich 15 Minuten lang extrem verletzlich zu zeigen und dann ist es vorbei. Auf dem Blog bleibt alles viel länger stehen.
Simone:
Sich zu zeigen, gesehen zu werden, ist in der Berliner Performance- und Kunstszene normalerweise ja total wichtig. Ich genieße es eigentlich, dass das gerade 'stillsteht'. Vielleicht bekommen jetzt andere Leute mehr Sichtbarkeit – durch das, was sie tun und wie sie weiterarbeiten – und nicht dadurch, dass sie sich bei Premieren vor anderen gut darstellen.
Hier geht es zum Text #1 und hier zum Text #3 über das A.PART - Festival für Berliner Tanz-Studierende und Alumni.