Text zu A.PART-Festival/Alumni.Tanz.Berlin (Programm 1) (23./24.5.2019) von Forough Fami (Übersetzung aus Farsi von Shahab Anousha)

 

 

Prolog:

 

Alumni.Tanz.Berlin (in zwei Teilen) ist der zweite Teil des A.PART Festivals nach S.o.S. (Students on Stage). Ziel dieser Plattform ist es, eine Basis für die Unterstützung von Berliner Tanz-/Choreografie-Absolvent*innen zu schaffen. Dieses Format fördert ihren kreativen Prozess und die Präsentation ihrer Werke in einem gemütlichen, aber professionellen Kontext.

Im Gegensatz zu S.o.S., das kürzere Stücke meist in Form von Skizzen umfasste, konzentriert sich dieser Teil auf fertige Arbeiten. Es gibt auch eine Reihe von Methoden, um den Künstler*innen Feedback zu geben:

Moderierte Feedback-Sitzungen, in denen jeden Abend zwei Expert*innen aus zwei verschiedenen Bereichen eingeladen werden. Dieses Format ermöglicht es den Künstler*innen, professionelles Feedback aus mindestens vier verschiedenen Perspektiven zu bekommen: Schauspiel/Performance, organisatorische Leitung, Bühnenbild/ Kostümdesign und Licht-/Sounddesign. Daneben gibt es eine Vielzahl von schriftlichen Rückmeldungen als Ergebnis der Schreibwerkstatt, die als Vermittlungsformat im Rahmenprogramm des Festivals stattgefunden hat. Diese Rückmeldungen hängen im Foyer und sind für alle (Künstler*innen und Publikum) zugänglich.

 

Der erste Teil von Alumni.Tanz.Berlin umfasst Arbeiten von Alumni des HZT-Bachelorprogramms, des HZT-SODA-Masterprogramms und der Tanzakademie balance 1.

 

 

Yaron Maim: SISSY SYMMETRY

 

Ich spüre den Wind und er ist vielfarbig.

            und er bringt Klänge,

                                  die farbigen Klänge.

            und er bringt Linien,

                                  die farbigen Linien.

Ich spüre die Farbe und sie ist lebendig.

                                                           Vermischung von laufenden Loops

                                                           Nach oben

                                                           und

                                                           nach unten

                                                           springen und sitzen auf dem Weiß,

                                                           springen und sitzen übereinander.

                                                           Darüber schwebt die Decke aus

                                                           freudigen Locken.

Ein dynamischer Pool,

eine Ansammlung von schwebenden Klängen,

                                    Muster und

                                    Farben,

                                    die die Bewegungen in der Erinnerung an ihre

                                    Locken tragen.

Der Wind fliegt den Klang und

der Klang hinterlässt Spuren von Mustern und Farben.

 

                                     Wie weit ist deine Kinesphäre entfernt?

                                        Und welche Farbe hat sie?

 

* In Farsi ist das Pronomen „U“ (او) ein geschlechtsloses Pronomen und ich bevorzuge es, dieses in diesem Teil des Textes für Yaron Maim zu verwenden.

 

Die Performance ist für mich wie eine Reihe von versteckten Bildern, die in sichtbare Bilder transformiert werden, die mich an eine Fotografie mit Langzeitbelichtung erinnert. (Als ob man in den Prozess dieser Transformation hineinzoomen und das Spiel der sich bewegenden Linien genauer betrachten würde.)

 

Obwohl „U“ die Grenzen des Alumni-Festivals erweitert und es vom Studio bis auf den Hof weiterführt, sind Yarons Bewegungen durch eine Auswahl an weißem Territorium begrenzt. Diese weiße Bühne begrenzt natürlich auch Yarons Bewegungen, aber die unsichtbaren Wände könnten den Wind, der den Live-Sound mitnimmt, nicht einschränken.

 

Eine Komposition, die sich live entwickelt und komponiert: ausweichende und flüchtige Verschmelzung von Farben und Kratzen, die sich manchmal mit einem Gesang vermischen.

 

Yarons Bewegungen und die daraus entstandenen Formen auf dem Papier folgen symmetrischen Mustern. Ebenso die Bühne, auf der „U“ auftritt. Diese weiße Bühne hat aber keine ganz symmetrische Form, sondern spiegelt symmetrisch das wider, was in der Vergangenheit (oben hängender Stoff mit den Spuren der letzten Show) und in der Zukunft (weißer Stoff auf dem Boden) geschehen ist. Durch das Anheben eines Armes oder eines Beines und das Berühren des hängenden Stoffes könnte eine Brücke zwischen dem gegenwärtigen Moment und der Erinnerung an vergangene Bewegungen gebaut werden. Eine horizontale Erinnerung, die vom „gestrigen“ Boden zu einem hängenden Decken von „heute“ erhoben wurde.

 

U“ macht, während der Abend im ada Studio fortgesetzt wird, im Hof weiter und ermöglicht es dem Publikum, diesen Fortgang im Laufe der Zeit zu verfolgen. In diesem Sinne bleibt SISSY SYMMETRY im Entstehen, ähnlich wie das Heft (die Zine) von Yaron, das dort während der Performance auf dem Boden liegt, unfertig, zu besuchen.

 

 

Björn Ivan Ekemark: Low Maintenance

 

Low Maintenance ist ein sanftes und formwechselndes Porträt menschlicher Situationen. Drei Darsteller*innen auf der Bühne, als Freunde oder Künstlerkollegen: Ivan, Caroline, Layton, ein Kameramann und ein riesiger Klumpen aus Stoff, alle in orangen Kostümen und in einer nahen Beziehung. So nah, dass ich manchmal denke, dass sie schließlich Dimensionen von sich selbst darstellen. Fünf Aspekte einer Einheit, die im Dialog miteinander stehen. Sie könnten einige innere Versionen von jedem von uns sein, in einer prekären, schwankenden Situation.

Ängstlich, arrogant, misstrauisch, unkompliziert, einschüchternd, gleichgültig, konzentriert, engagiert, frech, fröhlich, ungeduldig, zuverlässig, passiv, klug, anspruchsvolle Körper zur gleichen Zeit.

 

Low Maintenance ist eine performative Situation, die ihre Darsteller*innen sanft herausfordert, ihr Publikum bitter zu unterhalten und über aktuelle Themen im Tanzbereich nachzudenken.

 

Die Show variiert an jedem Abend der Vorstellung, aufgrund ihrer lockeren Struktur, die Raum für Spontanität und Authentizität bietet. In dieser Struktur gleitet das Publikum von einer Szene zur anderen:

 

Hören eines lauten Sturms und bellende Hunde, wenn du das Studio betrittst.

Erschrockene Körper, die versuchen, dich zu beruhigen.

Ein unerwarteter Moment, in dem du das Gefühl hast, dass eine Hand aus einem Klumpen kommt und deine Füße fängt.

Ein Dreieck aus ernsthaft schmelzenden Lächeln.

Eine Verwandlung zu Marionetten im Chaos der Klänge.

Eine lange, unbehagliche Mimik.

Ein freundliches Gespräch.

Kümmern um den Raum.

Eine lebendige Dramaturgie.

Eine lange, unbehagliche Mimik: Eindringlichkeit.

Anlegen einer Kette um den Hals des Publikums.

Umbau des Studios zu einem riesigen Industriebau.

Bitte um das Licht.

Glanz eines glitzernden Arsches auf der Leinwand.

Ein lästiger Traum, auf einem Felsen zu stecken und sich in einen Dachs zu verlieben.

Ein Wettbewerb.

Einschränkung der Umarmung.

Der Moment der Flucht, einen Riesen, einen Klumpen oder sich selbst loszuwerden.

 

 

Nina Burkhardt & Johanna Ryynänen: Habit Animals

 

Habit Animals ist eine theatralische Serie von kleinen und großen Loops. Wiederholte Schleifen, die darüber informieren, was passiert ist und was kommen wird. Ein Spiel von Witzen und Wiederholungen, die jeden Moment des Stückes hinterfragen; durch die Umwandlung von lustigen Situationen in „langweilen“ und langweiligen in lustige Situationen. Die Ernsthaftigkeit und Genauigkeit des Stückes verspottet die Situationen.

 

Wie ein Ausschnitt aus den Serien der 80er Jahre zeigt das Stück diejenigen, die immer zu Hause bleiben, ohne den Weg in die Außenwelt zu suchen. Diejenigen, die stundenlang auf den Fernseher starren, ohne sich um den Inhalt zu kümmern.

Nach einer langen Musik, die fast das Gefühl vermittelt, im Kino zu sein und auf den Beginn eines Films zu warten, beginnt Habit Animals. Das Publikum schaut sich mehrere Episoden einer Serie an. Jede Episode beginnt mit der Rückschau auf die Vorherige.

In einem theatralischen Setting werden idiomatische Ausdrücke in einfache, aber unerwartete Handlungen umgesetzt. Zwei Darsteller*innen sind die Bewohner dieser „Indoor-Loops“. Zwei junge Frauen in Pelzmänteln, die sich in ihrer Präsenz unterscheiden. Sie sind Spielerinnen und Interpretinnen dessen, was das Publikum von einer narrativen Stimme hört, die die Episoden erzählt.

It takes two to tango“ ist ein Moment, in dem der Tanz seinen Platz in diesem theatralischen Rahmen findet; die Performerinnen tanzen mit den unsichtbaren Partnern.

Aber bald kehrt die ganze Performance zu ihrem Anfang zurück. Die Darstellerinnen gehen zu ihren Ausgangspositionen und die lange Musik des Anfangs lässt das Publikum staunen: Ist es ein offenes Ende? Oder ist es wieder der Anfang?

Radikale Entscheidung: alles beginnt von vorne, um uns zu überraschen. Die ersten zwei Episoden wiederholen sich, im Ernst?!

Am Ende erinnere ich mich an die allererste Bühnensituation: Es sah so aus, als ob das Stück mehrmals aufgeführt worden wäre, bevor es begonnen hat. Es fühlt sich so an, als wäre ich im geschlossenen Kreislauf, vielleicht endlos!

 

 

Maque Pereyra: Solar Threshold

 

In Solar Threshold stellt Maque Pereyra der Vergangenheit die Gegenwart gegenüber und gibt jedem eine angemessene Zeit.

Beim Betreten des Studios betreten wir das schwarze Licht, das jedes einzelne Weiße zum Glänzen bringt, auch das Papier, auf dem ich gerade schreibe. Ich schaue mich um, in einem leisen Industriegeräusch, das die Dunkelheit der Umgebung säugt und nährt. Ich sehe überall glänzende kleine Dinge im Raum, wie versteckte Schätze.

Durch die sehr simple Einrichtung wickelt Maque die leichte Schicht des Unheimlichen um die Vergangenheit: Ich sehe eine Skulptur, eine bergähnliche Gestalt. Fast durchsichtig und schimmernd beginnt die Gestalt ein Echo in der Stille des Studios zu erzeugen. Ein Echo, das auf mysteriöse Weise zu einem Gesang wird. Die primitiven Gesänge zerreißen die schimmernden Schichten und reisen durch das Studio. Gleichzeitig entsteht im transparenten Berg ein kleines Licht und noch ein weiteres und dann noch viele von ihnen. Sie beginnen, sich unter der transparenten Schicht zu bewegen, sobald sie geboren werden. Die Lichter aktivieren die Skulptur. Es ist schwer für mich, nicht alles metaphorisch zu lesen.

 

Die Performerin tritt aus den Schichten in den Raum, um zu singen. Hier ist der Wendepunkt des Stückes, wenn sich die Dynamik ändert und die Bewegung von Maques Körpers dominant wird. Ein Körper, der sich sanft, aber intensiv mit einem ernsten Gesicht bewegt, singt und protestiert mit seinem Lied.


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

ada Studio für zeitgenössischen Tanz

in den Uferstudios/Studio 7

Uferstraße 23

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T: +49 (0) 30-218 00 507

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