Text zu S.o.S. - Students on Stage (12./13. Mai 2018) von Gast-Studioschreiberin Lina Gómez
Wir danken der Choreografin Lina Gómez, dass sie unsere Anfrage angenommen und diesen Gast-Studioschreiber-Beitrag zur „S.o.S.”-Ausgabe 2018 verfasst hat. So wurden die gezeigten Arbeiten um
eine besondere Perspektive bereichert.
Der folgende Text wurde zunächst in ihrer Muttersprache Portugiesisch verfasst (und kann hier nachgelesen werden) und in einem zweiten Schritt ins Deutsche übersetzt.
Danke Lina und Julek!
Das „S.o.S.”-Team
Seit 2008 findet „S.o.S. – Students on Stage” einmal im Jahr im ada Studio & Bühne für zeitgenössischen Tanz unter der Leitung einer der großen Berliner Tanzunterstützerinnen der freien
Szene, Gabi Beier, statt.
„S.o.S.” ist einer der Momente des Jahres, an dem sich die Studierenden der vielen verschiedenen zeitgenössischen Tanzschulen der Stadt Berlin austauschen können, und an dem man nicht nur
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihnen erkennen kann, sondern wo auch ein Raum geschaffen wird, an dem sich die Studierenden an einem Ort treffen, mit dem Ziel, ihre Arbeit mit einem
Publikum zu teilen und sich mit den verschiedenen Arten und Weisen der Recherche und Neuentdeckung im Tanz auseinanderzusetzen. Es ist vor allem ein Wochenende, an dem Wege gefunden werden, sich
kollektiv und individuell zu ergänzen und zu behaupten. Meiner Meinung nach ist das etwas, das die Stadt Berlin immer mehr braucht.
Im Jahr 2015 kuratierten Cilgia Carla Gadola, Alexandra Henning und Johanna Withelm zum ersten Mal die damals siebte Ausgabe von „S.o.S.”. Die drei waren zu der Zeit selbst noch Studentinnen der
Tanzwissenschaft an der Freien Universität und kuratieren das Format seither kontinuierlich.
Im Jahr 2015 war ich selbst Teil von „S.o.S.”. Es war das erste Mal, dass ich meine Arbeit in Berlin außerhalb des Studiums zeigte. Ich erinnere mich an die Bedeutung dieser Gelegenheit, ich
erinnere mich, wie unentbehrlich es für meine künstlerische Arbeit war, zu sehen, was andere Studierende taten und womit sie sich beschäftigten. Ich erinnere mich daran, wie ermutigend es für
mich war, Menschen zu finden, die nach Berlin gezogene Künstler*innen auf der Suche nach Struktur, die eine Bildungsinstitution geben könnte, ermutigen und unterstützen. Künstler*innen, die wenig
oder gar nichts von der Dynamik des zeitgenössischen Tanzes in der Stadt wissen.
Was machen wir während unseres Studiums? Was passiert nach unserem Abschluss? Dies sind nur einige Fragen, die „S.o.S.” und das ada Studio aufwirft und mit denen das Format in die
Auseinandersetzung geht. Fragen, die leider nur an wenigen Orten in der Stadt gestellt werden. Es ist von großer Bedeutung Aufmerksamkeit auf diese Themen zu lenken, vor allem heutzutage, während
die Zahl der im zeitgenössischen Tanz ausgebildeten Studierenden in Berlin zunimmt.
Es ist mir eine Ehre die Einladung und Herausforderung über die zehnte Ausgabe von „S.o.S.” 2018 zu schreiben, anzunehmen. Gleichzeitig erkenne ich wie komplex und groß die Verantwortung ist,
über die künstlerische Arbeit Anderer zu schreiben und das Geschriebene öffentlich zu machen. Da ich 2015 auf der anderen Seite stand, wage ich heute voll Umsicht zu berichten, was ich am 12. Mai
2018 erlebt habe. Trotzdem gehe ich das Risiko ein meine Fragen und Eindrücke, über das was die Studierenden der Tanzakademie balance1, Die Etage, Berlin Dance Institute, Hochschulübergreifendes
Zentrum Tanz Berlin und Dance Intensive Programm der Tanzfabrik Berlin mit uns geteilt haben, zu formulieren.
Matilde Flor Usinger: endoskop
Matilde betritt den Raum, sie trägt weiße Kleidung. Ihr Tanz beginnt in dem Moment in dem sie das ada Studio durch die Seitentür betritt. Sie besetzt den Raum und demonstriert Kontrolle und
Geschicklichkeit in ihren Bewegungen, die von großer körperlicher Kraft sind. Sie sind in einer solchen Weise ausgeführt, dass es den Anschein hat, dass, was sie tut, ohne Anstrengung geschieht.
Obwohl sie sehr konzentriert und beschäftigt mit den Bewegungen ihres Körpers ist, richtet sie ihren leichten Blick auf das Publikum; sehr bewusst, von uns beobachtet zu werden. Eine aufgenommene
Stimme besetzt den Raum, die Stimme gibt auf Englisch Bilder vor, in denen die Organe des Körpers Hauptdarsteller sind. Mein erlerntes Englisch beschränkt mich im vollen Verständnis, aber nachdem
die Stimme verschwunden ist, erleben Mathildes Bewegungen einige Veränderungen. Dies passiert noch einige Male, die aufgenommene Stimme nimmt Platz ein, suggeriert Bilder und die Bilder verändern
die Bewegungsqualität von Mathilde. Schwere Beine, Extremitäten, die voneinander weg wollen, Kontraktionen, leichte Arme, und so weiter. Es ist nicht mehr wichtig, ob ich die Wörter die vom Ton
kommen, verstehe, weil Mathildes Performance mich in ihr Spiel eintauchen lässt: Ein Bewegungsspiel voller klarer Verkörperung/Körperlichkeit, Zartgefühl und Kraft. Ein Spiel zwischen inneren und
äußeren Impulsen, ein Versuch zu akzeptieren beobachtet zu werden.
Sie präsentiert eine Komposition von Bewegungen, die als Übungen wiedererkannt und im zeitgenössischen Tanzunterricht gelernt werden können. Was sie jedoch von reinen Übungen unterscheidet, ist,
dass sie voll Lust sind in einen Versuch der Recherche zwischen zwei Parameter einzutauchen (so beschreibt es Matilde im Programmheft), die sehr anspruchsvoll werden wenn beide an der selben
Stelle platziert sind: Haltungen in Annäherung an einen „Superstar“ in Kombination mit Verfahren somatischer Techniken. Obwohl Endoskop für mich ein sehr zaghafter Rechechercheversuch bleibt, ist
er voll mit Potenzial und ich bin neugierig zu sehen, was passieren würde, wenn Matilde sich noch ein paar Monate in ihre Forschung vertieft.
Luzi Madrid Villanueva and Rita Maria Klos: Begleiten
Luzi und Rita beginnen ihren Tanz mit unterschiedlichen Bewegungsqualitäten und von verschiedenen Positionen. Die eine, statisch, erkundet kleine und zaghafte Verrenkungen in den Fingern und
Zehen. Die Andere beginnt sich im Raum auf subtile und leichte Weise zu bewegen. Während des gesamten Stücks und während sich die Farben des Lichts verändern, tauchen die Körper von Rita und Luzi
in stellare Umgebungen ein. Sie bewegen sich getrennt, unterschiedlichen Stimuli folgend, aber in einer hypnotisierenden Verbindung und Unisono. Dieser Effekt ändert sich, wenn die Körper der
beiden Tänzerinnen sich treffen, sich berühren und manipulieren. So wie dieser Moment des Treffens präsentiert wird, scheint es als wüssten sie nicht wie sie miteinander umgehen sollen, erkennen
sie den Körper der Anderen nicht. Ist das der Konflikt und die Schwierigkeiten des Treffens, die Rita und Luzi ansprechen wollen? Aber dieser Moment ist nur kurz, sie trennen sich und bewegen
sich erneut durch den Raum, wobei sie Gesten mit ihren Händen vollführen, die mit charmanter Leichtigkeit, Embodiment und Einfachheit ausgeführt werden.
In „Begleiten” ist meine Frage, die unbeantwortet bleibt: wie kann ich einen anderen Umgang mit der Geste entdecken ohne die Gesten nur auf illustrative Weise auszuführen? Wie sonst könnte man
die Komplexität der Beziehung zwischen zwei Körpern in einem gemeinsamen Raum erforschen? Oder vielleicht ist das nur mein Interesse und nicht das Interesse der Künstlerinnen.
Rima Baransi: insulting
Im hinteren Teil der Bühne, in der rechten Ecke, erscheint eine Frau mit langen, offenen Haaren, einer schwarzen Rock/Hose, die durch ihre Gestaltung beide Beine zeigt, in Haut gekleidet aber
unterbrochen von einem Paar Knieschützer. Diese Frau ist in einem roten Scheinwerferlicht gebadet. Die Haare, die Beine, die Knieschützer, die Haut, die Hose oder der Rock, die Hände voller
Ausdruck, das Licht und der ganze Raum gehören Rima Baransi.
Aus dem Lautsprecher kommen hektische Atemgeräusche, eine Stimme, die das gleiche Wort scheinbar wiederholt - leider erkenne ich die Sprache nicht. Ein paar Sekunden später, zwischen dem
Atemsound, den Bewegungen von Rima auf dem Boden, dem roten Licht und der Energie, die sich im Raum herstellt, erkenne ich die Stimme, die spricht, diesmal auf Portugiesisch. Es ist die Stimme
einer Frau, die sagt: “vítima de violência, teve muita consciência”.
Die rote Farbe war nicht vergebens. Das lockere Haar, die gewundenen Bewegungen, geladen, mit Ausdruck und Energie waren nicht vergebens. Rima präsentiert uns einen weiblichen Körper, gebadet im
Kontext von politischer Gewalt, psychischer Gewalt, körperlicher Gewalt, historischer Gewalt. Rima tanzt ihre Dringlichkeit von Revolution und Freiheit. Ihre Bewegungen zeichnen sich durch eine
Mischung aus Virtuosität, Ausdrucksstärke, Geschick, Kontrolle und Unkontrolliertheit aus.
Mit ihren Händen berührt sie ihren Mund, ihr Geschlecht, ihre Brüste. Manchmal zittert sie und ihr ganzer Körper hallt durch den Raum wider. Manchmal strecken sich ihre Zeigefinger, zeigen auf
den Raum, den Boden, zeigen auf ihren eigenen Körper. Das rote Licht verschwindet, Rima kehrt nicht in die rote Ecke zurück. Sie tanzt und baut einen neuen Raum, ihre Bewegungsqualität ändert
sich, windet sich, ihre Hände schließen sich, der Zeigefinger und der Mittelfinger sind gestreckt, die gleiche Geste mit beiden Händen: V für Victory? Peace?
„insulting” ist eine Performance, die leicht in das Klischee des Ausdruckstanzes fallen könnte, aber Rimas Schrei voll Empörung, Dringlichkeit und Geschichte treibt mich in eine andere Richtung.
Sie setzt sich in meinen Eingeweiden fest und reißt mich aus der Zuschauerrolle, bewegt mich und besteht darauf mitzuschreien.
Aabshaar Wakhloo and Katerina Delakoura: Atlas
Die Tür wird geöffnet, Aabshaar und Katerina tragen einen Tisch, stellen ihn in die Mitte der Bühne, nahe dem Publikum. Auf dem Tisch liegen zwei große Stücke Ton, ein Paar Karten und zwei
Stifte, später klettern Katerina und Aabshaar auch auf den Tisch. Während sie den Ton kneten und ihm verschiedene Formen geben, sprechen sie miteinander. Das Gespräch ist entspannt und
strukturiert, ebenso wie ihre ganze Performance. Eine von ihnen nimmt eine Karte vom Tisch, liest eine Frage vor, die Andere antwortet mit dem Erzählen einer Geschichte. Geschichten, Mythen,
Fantasien, Lügen, Legenden? Sie sprechen von Tieren, die einen Wettbewerb gewinnen wollen, von einem dreiköpfigen Mann, von Freunden, die im Wald verloren gingen. Jedes Mal wenn eine Geschichte
zu Ende geht, hören sie auf den Ton zu kneten. Eine der Beiden stellt eine Aufgabe, die dann auch durchgeführt wird, „zweimal an der Wand”, „60 Umdrehungen.” Und so ist „Atlas” zu
kartographieren. „Atlas” ist eine Mischung aus Geschichtenerzählen und dem Spiel, Bilder mit Worten zu bauen, mit Ton zu formen, mit der Positionierung des Körpers in spezifischen Situationen. Es
ist ein schüchternes spielen, wenn es darum geht die Möglichkeiten von Körperlichkeit auszutesten, aber voller Potenzial, wenn es um die Konstruktion von Bildern, Neukonfiguration des Raumes und
das Stimulieren der Phantasie geht.
Julie Savery: Part II of IV
Julie Savery ist nicht alleine, eine Rolle Toilettenpapier und ein roter Lippenstift sind ihre Bühnenkameraden. Sie trägt eine schwarze Hose, ein weißes Hemd, das in die Hose gesteckt ist, die
Haare, sorgfältig gekämmt und hochgesteckt. Während ihrer Choreographie führt Julie die Bewegungen mit der gleichen Sorgfalt und Genauigkeit aus, wie sie ihre Haare gebunden hat. In Part II of IV
zeigt Julie eine Fixierung auf Perfektion: malt immer wieder mit dem Lippenstift Farbe auf ihre Lippen, wischt sie wieder ab, retuschiert, entfernt die Farbe und malt sie wieder an. Sie benutzt
die gleiche Struktur, um ihren Tanz zu komponieren. Sie benutzt die Wiederholung körperlicher Gesten, die mit absoluter Präzision, Feinheit und Kraft ausgeführt werden. Eine Ansammlung von
Bewegungssequenzen mit dem Versuch, Variation zu erforschen.
Die Art und Weise wie sie die Toilettenpapierstücke, die mit rotem Lippenstift befleckt sind, auf dem Boden anordnet, komponiert sie ihre Bewegungen, und das betont meiner Meinung nach, die
didaktische Qualität ihrer Choreographie. Sie hebt die schmutzigen Papiere vom Boden auf und steckt sie in ihre Hosentasche. Sie trägt keinen Lippenstift mehr, sie schaut ins Publikum. Ihre Haare
sind nicht mehr sorgfältig gekämmt. Zeigt das verschwindende Licht das Ende von Part II oder den Beginn von Part III?
Sam Parfitt and Raphaël Faure AKA Lady Ultra: RADIANCY
Ein blaues Licht nimmt den gesamten Raum ein, in der Mitte der Bühne auf dem Boden liegen zwei Körper übereinander. Sie schaffen eine intime Atmosphäre, bewegen sich langsam und ihre Extremitäten
kommen durcheinander. Sie heben sich vom Boden, ziehen sich an den Händen und fallen wieder, diesmal getrennt. Das Licht ändert die Farbe, es ist jetzt violett, die gleiche Farbe, die sie um ihre
großzügig geschminkten Augen tragen. Wie zwei Körper mit gegensätzlicher Ladung ziehen sie sich an, berühren sich, kommen zusammen. Sie fallen. Die intime Atmosphäre ist nicht mehr da. Sobald sie
stehen, enthüllen sie ihre nackten Oberkörper und bereiten sich mit Bewegungen vor, die an die Strecken der Sonntagsläufer erinnern. Zu den Klängen eines Techno-Pop-Alles-Party- Musik tanzen sie
individuell, als wären sie im Wohnzimmer oder vielleicht in einem Club. Ihre nackten Bäuche berühren sich in der Luft. Sie fallen. Das Publikum lacht.
In „Radiancy” versuchen Sam und Raphaël mögliche Wege zu erforschen, Übergänge zwischen dem Trüben und dem Strahlenden zu schaffen. Sie spielen mit Elementen, die in mir nur Assoziationen zu
einem bestimmten Umfeld wecken: einem Club. Während ihrer humorvollen Performance erlebe ich einen ironischen Unterton und Lässigkeit. Ich frage mich, ob dies eine bewusste Wahl der Künstler ist
und ob es in ihrem Interesse liegt, einen Körper zu erforschen, der eine spezifische Körperlichkeit hat: den Clubkörper. Oder sind meine Eindrücke vielleicht nur durch die Wahl des Soundtracks
beeinflusst?
Josefine Mühle: What’s in the dark #2 – strange attractor
Josefine beendet den Abend. Bevor wir in das ada Studio zurückkommen, hat sie den Raum neu konstruiert. Wir gehen hinein. Wir, Zuschauer*innen, können uns nicht mehr konventionell setzen. Es gibt
keine Stühle. Um den Raum zu gestalten hat Josefine zwei Bildschirme auf separaten Tischen platziert. Auf dem Boden, ein dünnes durchsichtiges Plastikrechteck, das das Bett einer grünen
Tintenpfütze ist, und wir, die Zuschauer*innen, um diese Landschaft herum. Den Auftakt machen die zwei Fernsehgeräte. Auf den Bildschirmen walzt die Animation einer amorphen Figur, ihre Farben
und Umrisse variieren mit der Zeit. Josefine betritt den Raum. An ihren Armen, Händen und Gesicht sind Spuren von Farbe, und sie trägt ein gleichmäßig durchnässtes Shirt in der gleichen Farbe der
Tinte, in die sie ihre Füße taucht. Die Pfütze gestaltet jetzt den Raum mit ihrem Sound und ihren neuen Formen um.
Die Tinte scheint die Textur ihrer Bewegungen, die durch eine innere kontrahierende Kraft gekennzeichnet ist, zu füttern und zu manipulieren, wie eine Welle, die progressiv und unregelmäßig
Josephines Füße, Oberkörper, Arme, Hände besetzt. Meine Sinne ignorieren die Fernseher, weil Josefine sich während ihres Tanzes gleichzeitig im Raum tarnt und über ihn hinausragt. Und
nichtsdestoweniger bemerke ich meinen Widerstand eine Reflexion über die verschiedenen Verwendungen der Kontraste zwischen dem Körper, Primärmedium, in Kombination mit der Nutzung anderer Medien
und technologischen Erweiterungen zu machen. Die kraftvolle Anwesenheit von Josefine und die Zartheit und Gewandtheit ihrer Performance bestärkt mich und bringt mich dazu, diese Reflexionen
aufzugeben. Ein blaues Licht nimmt den Raum ein, sie beendet ihre äußere Bewegung. Wir und sie bedanken uns.
Es war ein Abend, der meine Erwartungen, die von der Erinnerung an den Abend von 2015 geprägt waren, überrascht hat. Damals waren die Unterschiede zwischen den Ästhetiken, die von den
Studierenden aus den vielen verschiedenen Schulen erforscht wurden, absolut klar. Sie zeichneten sich als sehr auffällige und nicht sehr flexible Grenzen ab. Im Jahr 2018 sehe ich ein größeres
Verlangen der Tanzstudierenden und vielleicht auch der Lehrenden dieser Schulen: sich auf die Erkundung verschiedener künstlerischer Lager, verschiedener Bewegungstechniken und verschiedener
Arten der Komposition einzulassen.
Die Themen, die die Studierenden mitbringen, zeigen auf, was sie berührt. Sie haben ganz unterschiedliche Ansatzpunkte, inspirieren sich von aktuellen politischen Situationen, oder persönlichen
Emotionen und Erfahrungen, oder literarischen Meilensteinen, oder von der Recherche spezifischer Bewegungstechniken, oder erforschen die Resonanzen zwischen Körpern und Raum. Jede*r von ihnen
setzt eigene Strategien ein, um dieses Interesse auf die Bühne zu bringen. Manche sind mutiger, andere sind schüchterner, andere dem treuer was sie in ihren Schulen erleben, andere sind bereit,
veraltete Modelle zu zerstören und in neue Richtungen zu gehen.
Was mich anspricht und inspiriert, ist der Wille, mit dem sie alle auf der Bühne erscheinen. Gekleidet in ihrer Dringlichkeit, ihren Interessen, ihren Risiken, ihren Kontexten, ihren
Verpflichtungen, ihren Schwächen und ihrem Potenzial. Sie sind bereit, ästhetische, geografische, soziale und politische Grenzen in Frage zu stellen und diese zu stürzen. „S.o.S.” erinnert mich
und verstärkt die Bedeutung der Komplizenschaft in der zeitgenössischen Tanzszene der Stadt. Zusammen sind wir stärker.
Lina Gómez, deutsche Korrektur von Julek Kreutzer.