Text zu NAH DRAN 64 (19./20. August 2017) von Alexandra Hennig und Johanna Withelm
Der folgende Text resultiert aus der ersten Versuchsanordnung zwischen Studioschreiberin I & II, Johanna Withelm & Alex Hennig, über drei Arbeiten, die zu neuen Räumen aufbrechen, und
einem fast zu guten Start dieser ada Studio Spielzeit, der das Vorhaben, Uneinigkeit zu produzieren, schwer gemacht hat:
Simone Detig: Fellsen
Zu Beginn ein Geständnis: Das erste Stück unserer gemeinsamen Studioschreiberinnen-Spielzeit, Fellsen von Simone Detig, bringt unser Streitvorhaben schon ins Wanken. Denn wir beide konnten
nur großen Gefallen an diesem Duett auf Decken nehmen…
1. Teil: Weltraum-Traum
In der Mitte des Raums ist eine sich auftürmende Deckenlandschaft zu sehen, die beiden erfahrenen Berliner Tänzerchoreografinnen Simone Detig und Raisa Kröger betreten die Bühne. Sie tragen
großartige Ganzkörperanzüge in silber und lila, die (mich) an eine Mischung aus Astronauten-Anzüge und 90er Jahre- Trainings-klamotte (Jazz-Dance-Unterricht, TUS-Neukölln, 1990) erinnern. Dazu
erzeugt blubbernd-wandelnder Weltall-Sound und lila-blaues Licht eine sphärisch-entrückte Traumlandschaft.
Schneeanzüge mitten im August. Müssen sich zeitgenössische Tänzer*innen in diesen Tagen warm einpolstern, abschirmen, sich eine zweite, dicke Hautschicht anlegen? Julius Born (der Musiker)
begleitet dieses so zeitgenössisch-poetisch von statten gehende Verschütt-Gehen mit elektronischen, fast schon sakralen Klängen vom (Eis)-Teppich am Rand der Bühne. Und wenn sie sich da dann
herausschrauben, in immer gleichen Bewegungen, aus den Schultern heraus, die Oberkörper rotierend nach vorn gebeugt und der erwartete Schneesturm auf sich warten lässt? So verharren sie
widerständig und gelassen an diesem verlorenen Unort, bergen sich aus seinen weichen Trümmern und driften in noch entlegenere Gebiete ab.
Die Bewegungen von Detig und Kröger, zuerst voneinander entfernt stehend, beginnen kleinteilig und dezent, werden nach und nach dynamischer und beide Körper bewegen sich aufeinander zu. Vor allem
die Arme sind es, die die Bewegung auslösen und die schwerfälligen Oberkörper permanent mitreißen, wobei der untere Teil der Körper im Boden festgewachsen scheint. Die Arm-und
Oberkörperbewegungen geschehen permanent im Loop und wandeln sich dabei doch unmerkbar, zeichnen scherenartige Muster in den Raum. Maschinenartige Spiralbewegungen in Dauerschleife, technisch
anmutende Körper – Sprung in der Platte.
2. Teil: Tiergebilde
Der Sound, jetzt ohne Beat, wird noch sphärischer, die beiden Performerinnen haben sich ihrer Anzüge entledigt und liegen in schwarzen Hosen und T-Shirts aufeinander am Boden. Die vier Arme und
Hände spreizen sich von den Körpern ab und bilden insektenartige Tierwesen, gestreckte Arme werden zu Spinnenbeinen, geballte Fäuste zu Fühlern oder Stacheln. Das tierische Doppelwesen richtet
sich auf und Detig und Kröger widmen sich weiterhin einer Extremitäten-Ornamentik, erzeugen mit Hilfe von Pausen eine Reihe von Bildern mit herausragenden Armen, verknoteten Beinen und anderen
Körperteilen. Langsam, und schön, jenseits von Atmo-Kitsch.
Simone Detig und Raisa Kröger liefern mit „Fellsen“ eine kluge, fein gearbeitete Allegorie auf die „zugigen“ Verhältnisse der Freien Tanzszene: Immer zu wenig Polster, um es warm zu haben /
immer zu viel, um ganz ohne da zu stehen.
Lauren Langlois: twenty forty six
Fast scheint es, als wollten die drei Arbeiten zum neuen Spielzeitauftakt im ada Studio allesamt zu noch unbekannten Orten aufbrechen: Bevor dieser in the way to do it auf seine Festigkeit
geprüft wird, hangeln sich zunächst die vier tänzerisch-technisch versierten und international erfahrenen Tänzer*innen Lauren Langlois, James Vu Anh Pham, Chimene Steele-Prior und Nicola Leahey
an einer imaginären, schönen und unsteten Landschaft entlang. Sie zeigen, was sie können, verharren abwechselnd in Posen, schreiten dicht beieinander und in einigem Abstand durch den Bühnenraum,
erinnern an (wenn auch kleine) Bewegungschöre aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts und folgen einer komplexen wie klaren Struktur. Dabei ist die australische Choreografin Lauren
Langlois mitten unter den Tänzer*innen. Es entspinnt sich eine Geschichte, die sich gar nicht so leicht entziffern lässt und dennoch narrativ angelegt ist. Körper, die zu zerbröseln drohen, deren
Gliedmaßen und vor allem die Finger zu flirren beginnen und die als Gruppe sich in Verästelungen ausbreiten.
Das tänzerische Handwerk und die Komposition im Raum ist toll anzusehen, das organische Winden der Körper erinnert an Kaulquappen, die Stops in der Bewegung an Roboter-Tiere. Die
Bewegungsqualitäten changieren zwischen weich und organisch bis harsch und blitzschnell, den allesamt starken Tänzer*innen schaue ich gerne zu. Auch das Arrangement der einzelnen Bewegungen in
der Gruppe, das Zusammen- aber doch Unterschiedlich-Sein erzählt (mir) etwas. Umso mehr wundert es mich, dass die Bewegungen irgendwann gestisch werden. Plötzlich wird sich zwischendurch gehauen,
bedeutungsvolle Blicke werden gewechselt. Dann wird sogar geflüstert und eine Tänzerin „bedient“ die Bewegungen einer anderen mit einer imaginären Fernsteuerung – hier wird es dann plakativ. Ich
hätte diesen pantomimischen Touch des Ganzen nicht gebraucht.
Ist das Tanztheater?
Ja irgendwie schon. Mich erinnert es auch sehr an Tanz im Stadttheater...
Auf jeden Fall würde ich das gerne auch einmal auf einer großen Bühne sehen…
Ja, das hat auf jeden Fall Potenzial für die große Bühne. Und schön, so ein stark physisches und handwerklich gut gearbeitetes Stück im ada zu sehen.
Lisanne Goodhue: the way to do it
Lisanne Goodhue hat ein Konzept. Wie so oft bei konzeptuellen Ansätzen im Tanz ist das Setting hier klinisch und reduziert: kühles Arbeitslicht wobei der komplette Raum samt Zuschauerraum
ausgeleuchtet wird, schlichter Auf-und Abgang, keine Musik, Alltagsbewegungen, der Verzicht auf expressive Details. Die kanadische Tänzerchoreografin Goodhue, seit 2011 in Berlin lebend,
beschäftigt sich in dieser Arbeit mit den Mechanismen des Theaters und hat dafür einen Score entwickelt, der sich an einzelnen Komponenten entlang hangelt, die Teil des Theaterraums sind.
Dabei tritt sie in eifriger Manier auf – gehetzt, außer Atem, in übertriebener Dringlichkeit installiert sie ihr Setting. ‚Die armen, armen Stühle‘ – würde der neue Materialismus rufen (die
Dinge und ihre Agens, anderes Thema) – wow, ‚diese gehetzten zeitgenössichen Tänzer*innen‘, denkt die eine Studioschreiberin und fragt sich, ob das jetzt die ‚neue Beschleunigung‘ ist.
1.Das Klebeband
Mit dem Klebeband markiert Goodhue Stellen und Strecken im Raum
2. Das Vorhangschieben
Goodhue schiebt den Vorhang mehrmals auf und zu, dabei torkelt ihr Körper auch schon mal an die Wand und sinkt zu Boden.
3. Die Stühle
Goodhue holt flink und eifrig mehrere Stühle aus dem Foyer
4. Den Raum abstecken
Goodhue vermisst den Raum mit einem Seil, das sie in mehreren Linien kreuz und quer durch den Raum spannt.
5. Der Zuschauer
?
Überhaupt besticht diese Arbeit insgesamt vor allem wegen der möglichen Gedankenkonstrukte, die in den Köpfen der Zuschauer*innen aufgebaut und eingerissen werden können.
Lisanne Goodhue arbeitet mit diesen fünf Komponenten im Raum, indem sie mit ihren eigenen Körper(bewegungen) Verbindungen zwischen diesen schafft. Sie setzt sich einen Helm auf und zieht
Ellenbogen- sowie Knieschützer an, um dann mit dem Kopf voran gegen die Stühle zu krachen und das soeben aufgestellte Arrangement zu zerstören. Sie bewegt sich langsam über das Netz aus Seil, um
das Liniengebilde zu verändern. Sie zieht an dem Seil, wodurch die Stühle durch den Raum geschliffen werden und alles Mögliche mitreißen. Subtile Komik.
Gleichzeitig ist es doch irgendwann sehr vorhersehbar, was noch geschehen wird, also: Wozu das Ganze? Das ist vielleicht die kritischste Frage, die Goodhue hier an das Theater als Spektakel,
an das Zuschauen und Performen an sich stellt. Gut, dass sie einen Helm aufgesetzt hat. Man sollte öfter Bühnen mit Helm betreten.
Goodhue verlässt jedoch gegen Ende auch ihre eifrig-trockene Arbeitshaltung und lässt ihre alltäglichen Körperbewegungen zum Teil entgleisen. So kriecht und schleift sie an der Wand und am Boden
entlang wie eine zu Matsch werdende Comicfigur – die zuvor technisch reduzierte Körpersprache setzt aus und ihr Körper erinnert an eine angeditschte Maschine. ...
Hier läuft schon längst nicht mehr alles reibungslos und das ist dann auch mal ein Statement, mit dem man selbstbewusst aus dem Abend entlassen werden kann. Zieht die Vorhänge zu. Zieht die
Vorhänge auf. Übersprungshandlungen.
Lisanne Goodhues Arbeit ist eine höchst selbstreflexive, indem die performativen Mechanismen des Theaters in einzelne Teile zerlegt werden und sich mit dem Körper der Performerin und dessen
Handlungen in Bezug setzen.
Versuchsanordnung zur Erwartungshaltung der Zuschauer*innen also, und ein schöner Abschluss-Auftakt für diese ada Spielzeit, die wie immer Räume zum einstürzen und neu aufbauen bereit zu
halten verspricht...
#OUT-TAKE:
„Habe hier gar nichts mehr groß hinzuzufügen. Finde dein Reingrätschen in meinen Text megagut!“