Text zu NAH DRAN 62 (11./12. März 2017) von Alexandra Hennig
Nach diesem Abend werde ich noch viel über die Macht von Sprache, über das Verhältnis von Bewegung und intellektuellem Überbau, über Für- und Widersprecher*innen desselben, über (Tanz)Kunst und
deren Behauptung nachgedacht haben. Wieder komme ich nicht umhin, Verbindungslinien zwischen den drei Stücken zu ziehen, und aus diesen spannt sich ein Bogen vom allzu netten Kolleg*innen-Plausch
(1) über eine Punktlandung mit Kauderwelsch (2) hin zum sauber artikulierten Pathos (3). Auf ein Neues spricht die Besonderheit solcher Formate im ada Studio für sich: Die drei Arbeiten fordern
gerade durch ihre Unterschiedlichkeit (Unvereinbarkeit?) oder auch – den schmalen Grad zwischen Unterhaltung und Zumutung – meine Urteilskraft heraus.
(1) David Bloom & Renae Shadler: Naming It
Einfach mal so daher gesagt: ernsthafte Rezeption einer Tanzperformance erfordert sicher mehr als die laxe Feststellung, man habe zwei Menschen bei WARM-UP mit Smalltalk zugeschaut.
Andererseits bin ich fast geneigt, es genau dabei stehen zu lassen, gerade weil David Bloom und Renae Shadler mit „Naming It“ den Anspruch verlauten lassen, über somatische Praktiken und den
Einsatz von Sprache etwas über die Grenzen des Sagbaren herauszufinden. Umso erstaunlicher, wie leicht es der Kritikerin (in mir) fällt, das Kind beim Namen zu nennen. Sozusagen: Zwei
Performer*innen thematisieren ihr freundschaftlich/kollegiales Verhältnis und sie tun das höchst unprätentiös, indem sie es ganz einfach aussprechen, während sie unterspannt über die Bühne
hüpfen, sich aneinander anlehnen, wieder Abstand nehmen und unaufhörlich die Situation auf der Bühne kommentieren. Wie lässt sich das auf einen Begriff bringen und was geschieht jenseits der
Behauptung, dass eine Menge vor sich geht?
Ihre Instant-Situationsbeschreibungen sind inhaltliche Leichtgewichte – reichen von der Feststellung, dass schwarze Markierungstapes auf dem Bühnenboden angebracht sind bis hin zur Beobachtung,
dass draußen im Wedding ein Auto vorbei fährt: „There is a lot going on right now“. Was wir darüber hinaus erfahren, ragt nicht viel weiter aus dem Dunstkreis heraus, als ihre ausgebreiteten
Arme, die die Grenzen der eigenen Kinesphäre abstecken. Davids Mutter ist jetzt in den Staaten – Renaes in Australien. Er trägt die Namen seiner Kinder auf den Unterarmen – sie hat weder Kinder
noch Tattoos. Daneben erinnern halbe Drehungen um die eigene Achse, ein paar Schritte über die Bühne, Neigungen von Körperteilen daran, dass dies eine wirkliche Tanzperformance sein soll –
dass diese eine Auslegung der Realität zuallererst als solche benannt werden muss, ist Teil des Konzepts.
Wirklich dramatische Sprengkraft erreicht der Satz „This is a Dance Performance.“ darum aber doch (noch) nicht. Dass die Bewusstwerdung des eigenes Körpers (im Raum), des eigenen
Bewegungsapparats und die physisch/geistige Aufmerksamkeit für sich selbst und Andere eine (wenn auch exklusive) Form von politischer Praxis sein kann, soll nicht bestritten werden. Warum sich
nicht im gleichen Zuge mit der Kraft von Sprache, dem Akt des Benennens und der daraus folgenden Konstruktion der Wirklichkeit auseinandersetzen? Dieser spannende Ansatz bleibt allzu nett gemeint
im Privaten verhaftet (das natürlich immer politisch ist). Andererseits, die Feststellung, dass wir uns in der European Union befinden, in einem Atemzug genannt mit lilafarbenen Energielinien,
die sich von Handgelenken zu Brustkörben erstrecken und der freundschaftlich/kollegiale Talk verbleiben bis zu Letzt so locker losgelöst nebeneinander, dass auch das halb-ironische Augenzwinkern
der beiden Performerinnen die Dringlichkeit nicht aus dem Nichts herbeizitieren kann. Vielleicht ist es auch gar nicht so dringend.
Gerade weil es den beiden prinzipiell an Bühnenpräsenz, Awareness und Stimme nicht mangelt, fällt es ins Gewicht, dass „Naming It“ zu leichtfüßig daher kommt.
(2) Romy Schwarzer: Chanson
Die zweite Arbeit dieses Abends gibt sich vergleichsweise schlicht und verdient eben wegen/trotz dieser Bescheidenheit die größte Beachtung.
Romy Schwarzer, momentan Studentin im Masterprogramm Choreografie am HZT Berlin, beweist, dass es manchmal gar nicht mehr braucht als eine einfache Idee, präzise und schön gearbeitetes
Bewegungsmaterial, eine gute Soundkulisse (Johannes Till), eine ausgefeilte Dramaturgie (Johanna Roggan), Timing et voilà: Tanz als Bewegung in Raum und Zeit. Was natürlich eine Menge ist. Ihr
Solo „Chanson“ wurde im Rahmen von LINIE 08 bereits im Oktober 2016 in Hellerau, Dresden gezeigt und es wäre schade, wenn dieses Wochenende im ada Studio die letzte Gelegenheit gewesen wäre, es
zu sehen.
Bezeichnenderweise habe ich hier wirklich sinnlich etwas über das Wirken von Sprache als Struktur, über die Konstruktion von Sinn und über die poetische Dimension von Bewegung erfahren. Über
einen Auszug aus dem Gedicht „Chanson“ vom deutsch-österreichischen Dichter Ernst Jandl, der dem einen oder der anderen vielleicht aus der Schule („Ottos Mops hopst“) bekannt ist, entwickelt Romy
Schwarzer eine tänzerische Auseinandersetzung mit Strukturen und Gewohnheiten – der Lust daran ebenso wie dem Unbehagen, das Begrenzung und Trott auslösen kann.
Die Ausführung ihrer Bewegungen changiert passend dazu zwischen sinnlicher Präzision in der Wiederholung und beklemmender Planmäßigkeit. Richtungsweisend und strukturierend agiert die
Soundkollage – wie Spots treten die Töne hervor, denen die Tänzerin mit ruckartigen-mechanischen Bewegungen folgt – eingeklappter Oberkörper, geknickte Zehe, verschraubte Arme – routiniert,
folgerichtig, eingezwängt. Dann wieder dreht sie Kreise über die Bühne, setzt ihre Schritte wie ein Uhrwerk getaktet, konzentriert und gewandt.
(3) Amelia Forrest: Stepping Stones
Ganz andere Töne schlägt Amelia Forrest in ihrem Solo „Stepping Stones“ an. In diesem Fall hat schon der Text im Programmheft die roten Lampen der Tanzwissenschaftlerin (in mir) aufleuchten
lassen und diese verlöschen über die Dauer des Stücks dank des Einsatzes von melodramatischer Musik (Streichquartette in Hochleistung von Federico Durand, Philip Glass und Arvo Pärt),
romantischem Kostüm (Korsett mit Spitze) und pathetischem Bewegungsrepertoire nie ganz. Und doch lässt mich diese Arbeit ungewohnt beeindruckt zurück.
Wo eine ehemalige Balletttänzerin von „authentischer Bewegung“ schreibt, lassen sich die großen Emotionen nicht lang bitten, werden Hände sehr dramatisch suchend nach oben gestreckt und der Tanz
denkt auch nicht daran, mit der Musik zu brechen. Jedoch verfolgt Amelia Forrest ihren Stil mit solcher Souveränität und Konsequenz und erschafft eine theatrale (also im besten Fall
un-authentische, künstlerisch-formale) Figur, die mich im doppelten Sinne mit-nimmt. Auf dieser Reise liegt der Duft von Salbeiräucherstäbchen in der Luft und wir begegnen einer Frauenfigur, die
(um dem Programmheft-Text doch noch Recht zu geben) tatsächlich Metamorphosen durchläuft – Zustände von Verzweiflung, Begierde, Sehnsucht, Einsamkeit blitzen dort auf als offensive,
selbstbewusste Erotik, die vielleicht ohne musikalische Untermalung nichts an Wirkungskraft verloren hätte. Besonders ist auch der Anblick des Bühnenbildes: diverse Objekte hängen dort von der
Decke. Ein unbeachteter Kescher, auf dessen Einsatz man vergeblich wartet, eine Blume, die aus Plastik-Wirrwar hervor kommt. Eine Jacke (von*m der*dem Geliebten?) wird abgehangen, mit den Beinen
voran übergeworfen und wieder abgestreift. Dass der Umgang mit den Objekten und die Präsenz der Tänzerin so gar nicht klassisch anmuten, ist Forrests Interesse an Butoh zu verdanken. Dieses Solo
bricht in der verqueren Vermischung von Stilen und Haltungen tatsächlich mit meinen Sehgewohnheiten und platziert sich darin mit einer eigenen Handschrift: die Alarm-Lämpchen ganz eingehüllt in
Salbei-Rauch.