Text zu NAH DRAN 63 (24./25. Juni 2017) von Alexandra Hennig
Drei mal zwei. Vor der Sommerpause wird es im ada Studio noch einmal ungewohnt ausgeglichen. Nachdem die letzte Ausgabe NAH DRAN extended wahre Kollisionen bereit hielt, kehren die
Stücke dieses Abends zu den (trauten?) Zweisamkeiten, ins Private und Heimliche zurück und liefern dabei die „Gesellschaftskritik” gleich mit. So führen sie von Wohnzimmergemütlichkeit zu
politischen Debatten, die sich für mehr oder weniger angeregte Gesprächsthemen oder gut gemeinten Enthusiasmus an sonntäglichen Frühstückstischen eignen. Möglich, dass hier genau die Krux vom
Persönlichen in der Kunst berührt wird. Wie viel Gemütlichkeit verträgt ein zeitgenössischer Tanzabend? Biedermeier-Revival? Haben wir die Zweierbeziehung nun über Bord geworfen oder gerade erst
wieder entdeckt? #EheFürAlle
Dabei verfehlt diese Einleitung natürlich, dass sich einzelne Arbeiten eben nur bedingt und nicht notwendig passgenau in die Einbauschrank-Schublade einfügen. Während Aude Fondard &
Johannes Bruhn die Manege der frühzeitig dahin scheidenden Haushaltsgeräte (und ihr tiefes Bedauern darum) eröffnen, liefern Martijn Joling & Amy Pender ein sauber
gearbeitetes Duett zweier ominöser Entscheidungsträger*innen der politischen Matrix und schließlich führen Greta Gauhe und Romane Petit auf tänzerisch virtuose Weise wieder wohl
behalten nach Hause. Klingt alles rund und gut durchdacht und einwandfrei. Es verhält sich vielleicht so: die zeitgenössische Tanzzuschauer*in/Studioschreiberin wird misstrauisch, wenn alles so
gut zusammen passt. (Eins plus Eins = Zwei. Da stimmt was nicht.) Auf die Gefahr, dass am Ende keine Fragen übrig bleiben:
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Gerade die ersten beiden Stücke weisen uns auf einen (un)heimlichen Plan hin, den die anderen, anderswo, schmieden und dessen Auswirkungen uns (die Otto-Normalos) unbarmherzig treffen. Während
Martijn Joling & Amy Pender einen abstrahierenden Zugang zum Thema Machtverteilung / Status / Geheimbünde gewählt haben, geht es bei „Designed to die“ um die Anprangerung der
Wirtschaftskonzerne, die über „geplante Obsoleszenz“ dafür sorgen, dass unseren Haushaltsgeräten nur eine sehr beschränkte Lebenszeit – planmäßig bis ca. einen Tag nach Ablauf der Garantie –
vergönnt ist. Tänzerin, Schauspielerin und Autorin Aude Fondard und Feuerartist und Performer Johannes Bruhn führen daher Kunststückchen mit Weltverbesserungs-Habitus auf.
Ihr Bewegungsmaterial in einer Art Installation verschiedener elektronischer Geräte, die von der Decke hängen oder im Raum platziert sind, erinnert an Zirkus, an Kleinkunst, die von
zeitgenössischen Tanzklassen informiert ist. In ihren roten Hemden und mit der Manier zweier Schausteller*innen bewegen sie sich voller Leichtigkeit und in guten Momenten mit genug Selbstironie
durch diesen Friedhof des Elektroschrotts. Dabei ist ihre engagierte Agenda, die sie in einem extra für die Performance angefertigten Begleitheft in Bedienungsanleitung-Stil erörtern (von wegen:
„Wir müssen etwas dagegen unternehmen / Konsumkritik!”), gepaart mit teils charmantem Dilettantismus. Tendenziell schiefe Standwaagen, bemühtes Erzittern, mechanische Roboter-Bewegungen mischen
sich in das Duett zweier ungleich trainierter Körper. Wenn dann die Vergänglichkeit der Geräte mit Shakespeares Sonetten besungen und einem Staubsauger das ganze Bedauern seines nahenden Endes
betört wird, gelingt es zum Glück, den mittelprächtigen Kopfständen auf Druckeraußenkanten, den Drehungen mit Toaster und anderen Einlagen noch genug Witz beizumischen. Gleichzeitig mag diese
leichte Nummer nicht ganz zur scheinbar ernst gemeinten politischen Entrüstung passen. Revolution im Media Markt oder Unterhaltungs-Politik? „Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?“
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Gerade eben noch an der Alltagsfront der umkämpften Kapitalismus-Kritik getänzelt, hebt „Behind closed doors“ die Debatte auf eine höhere Ebene, das heißt – nach ganz oben, zu denen da
oben, die wie Marionetten an den seidenen Fäden der Macht hängen. Martijn Joling & Amy Pender haben sich für ihr Duett an (unscharfen) zwielichtigen, geheimen Playern versucht und
zeigen deren Machenschaften über zeitgenössisch artistische Kampfeinlagen im Halbdunkeln. Sie entwickeln dazu eine ausgeklügelte Partner*innenchoreografie des Handshakings, Wegstoßens, Umkreisens
– graue Männer*Frauen in Anzügen drehen krumme Dinger, die die Welt beherrschen. Dazu kommen die beiden standesgemäß aus der Technik-Kammer am seitlichen Bühnenrand mit einem großen Satz auf die
Bühne gehüpft. Dröhnende, spannungsgeladene Musik und die Dunkelheit, die sich über die zwei kreisenden, kräftigen Körper gelegt hat, lassen keinen Zweifel, dass es hier geheimnisvoll zugeht.
Zwischendrin treten die zwei Körper über Licht-Spots zum Vorschein und erst dann wird deutlich, dass ihre Mienen ebenso ausdrucksstark in den Tanz mit einstimmen, aber (passend zu verschlossenen
Türen) die meiste Zeit verborgen bleiben. Möchte man eigentlich tauschen mit diesen Anzugsträger*innen? Sie scheinen im endlos grauen Strudel gefangen zu sein und darin ziemlich geschäftig im
Kreis zu taumeln – ständig auf der Hut, ohne das Handshaking zu unterbrechen, sich gegenseitig ein Bein zu stellen, zu Boden zu stoßen und wieder aufzuhelfen. Im Hintergrund die verschwommenen
endlosen Duplikate dieser Prototypen auf Videoprojektion. Dabei scheinen ihnen die Kräfte nicht auszugehen und wenn die Luft dünn wird, haben sie die Gasmasken schon parat. So endet diese
Episode. Im Doppel auf einem kleinen Trampolin. Synchronhüpfen mit Gasmasken. Wann geht ihnen die Puste aus?
// Ich denke an Kurt Jooss, sein Tanzdrama: der „Grüne Tisch“ – uraufgeführt 1932 im Théâtre des Champs Elysées in Paris. Jooss, der mit seinem gesamten Ensemble vor der Gestapo nach England
geflohen war, bevor er nach dem Krieg nach Essen zurückkehrte, hat einmal gesagt: "Wer die schwarzen Herren sind, wissen wir nicht. Die waren immer da, bleiben immer übrig und heißen immer
anders."
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Von den geheimen Logen der Macht spannt der Abend am Ende den Bogen zu den Wohnzimmern zurück. „Be-Longing“ fragt nach dem Gefühl des Zu-Hause Seins und berührt damit allgemein-menschliche Fragen
nach Zugehörigkeit, Geborgenheit, Angekommen-Sein. Neuer Biedermeier? Dieser Vorwurf lässt sich sogleich beiseiteschieben, wenn man sich auf das tänzerisch ausgefeilte und präzise gearbeitete
Material konzentriert, das Greta Gauhe choreografiert hat. Sie und Romane Petit setzen diese anheimelnden Kulisse mit Bravour in Bewegung, scheuen vor ausladenden Bewegungen, dynamischen
Drehungen und tänzerischer Virtuosität nicht zurück. Vielleicht, weil sie sich gerade dort – zu Recht – zu Hause fühlen. Eine Videoarbeit (Ella Funk), die als Bilderkollage von
Wohnzimmer-Situationen, den beiden an der Bushaltestelle, auf dem Fahrrad, beim abendlichen Glas Wein oder beim Proben zeigt, strukturiert die Choreografie zwischen Fotorahmen auf dem Tisch und
Flipchart, das die verschiedenen Stationen anzeigt: „Don’t close yourself in“. Neben allen narrativen Elementen ist dieses Duett auch einfach mal schön anzusehen. Es fragt nicht explizit danach,
welche Menschen keinen Ort haben, wie es ist, heimatlos zu sein, oder nicht willkommen. Das heißt, über die Bewegung der beiden Tänzerinnen transportieren sich Momente der Intimität, des
Loslassens, sich Vergewisserns. Gerade weil das alles hier so gelungen und vor eine idyllische Kulisse platziert ist (logisch in eine schicke Altbauwohnung im Prenzlauer Berg), drängt sich die
andere Seite der Abwesenheit der Ordnung, der Verlust von Heimat und Stabilität auf.
Es ist bemerkenswert, welche unterschiedlichen Zugänge diese drei Arbeiten gewählt haben, einerseits leicht zu verdauende / bestaunende Tanzeinlagen zu liefern und gleichzeitig gesellschaftliche
Themen zu berühren. Einerseits schade, dass die Nacht der Duette so harmonisch von statten geht. Vielleicht kann man sich aber auch einfach mal zurück lehnen, sich der Identifikation hingeben,
sich wohl fühlen und freuen für die Zweierpaare, für den Moment vor der Sommerpause, für #Ehefüralle.