Text zu neworks (8./9. April 2016) von Johanna Withelm

 

 

Schon um 19.00 Uhr, also 90 Minuten früher als sonst, beginnt der Abend, auf den ich besonders gespannt bin. Denn das ada Studio feiert eine Premiere, und zwar mit einem neuen Format. neworks heißt die neue Reihe, in der Künstler*innen, die im ada Studio bereits im Rahmen anderer Reihen ihren Arbeitsansatz präsentiert haben, die Chance erhalten, ihre Arbeit in einem größeren Umfang weiter zu entwickeln und zu präsentieren. Die neworks-Premiere bestreitet Olivia Hyunsin Kim mit ihrer Arbeit MeMe – I see. Ah!
Die Deutsch-Koreanerin Olivia Hyunsin Kim, die als Choreographin und Performerin in Berlin arbeitet, hat Tanz und Choreographie in England an der Falmouth University und am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und der HfMDK Frankfurt studiert. MeMe – I see. Ah! ist das zweite Stück ihrer MeMe-Serie, die bei den diesjährigen Tanztagen in den Sophiensaelen mit dem Stück she came, she saw, she said: meme begann.
Auch die Stimmung im ada ist heute etwas feierlicher als sonst, im Publikum sitzt unter anderem Silvia Fehrmann vom Haus der Kulturen der Welt, mit der im Anschluss an die Vorstellung im Rahmen von mapping dance gemeinsam mit Gabi Beier und der Künstlerin noch ein Gespräch stattfinden wird. Außerdem ist die Tanzkritikerin Astrid Kaminski sowie die US-amerikanische Tanzwissenschaftlerin Susan Leigh Foster anwesend, alles in allem also wirklich ein vergleichsweise prominentes Publikum.
Olivia Hyunsin Kim stellt sich heute also als Erste der Herausforderung, auf der eher reduziert ausgestatteten Studiobühne eine abendfüllende Produktion zu zeigen, dafür hatte sie im Studio selbst (nur) eine Woche Zeit zum Proben und Einrichten, insgesamt also gar nicht so einfache Bedingungen.
Das Stück beginnt eindrucksvoll: Ein langer Lichtfade von Black (welches leider kein Black ist, da das Tageslicht durch Schlitze und nicht abhängbare Deckenfenster scheint) hin zu warm getöntem Licht, dazu kühler glatter Techno-Sound. Während des Lichtfades werden langsam zwei Deckenklumpen auf dem Boden sichtbar, welche auch nach und nach die Vermutung nahelegen, dass sich unter einem der Klumpen die Performerin befindet. Dem ist auch so: der Deckenklumpen fängt an, sich zu bewegen, sich wie ein quallenartiges Lebewesen zum pulsierendem Beat auseinander- und zusammenzuziehen. Ein schöner Anfang, der das Publikum sofort einfängt. Nach und nach kommt dann Olivia Hyunsin Kim zum Vorschein, tritt aus der Decke heraus und beginnt, dem Publikum den Rücken zugekehrt, zunächst in Slow Motion zu laufen, gekleidet in schwarz, ein langes schwarzes Seil in Bondage-Ästhetik um den Hals gebunden. Die Bewegungen werden wilder, lassen den Körper angespannt vibrieren, zugleich wird zu den immer noch elektronischen Beats ein „clubbiger“ Körperrrhythmus suggeriert – und doch bleibt die Bewegungsqualität irgendwie angedeutet, nachlässig, nicht zu Ende gearbeitet. Die Performerin behält diese wild gemeinte Qualität und bewegt sich damit durch die Zuschauerreihen hindurch. Wieder auf der Bühne angekommen, zieht sie sich unter weiterhin angespannten Körpervibrationen ihr Oberteil aus, der Oberkörper entblößt, nur noch das Bondage-Seil hängt verschlungen um ihren Hals, die Hose wird zwischendurch auch mal halb runtergelassen. Olivia Hyunsin Kim wird immer wilder – die Bewegungen erinnern mich ein bißchen an einen Indianertanz – und beginnt schließlich auch noch mit einem „Ooooiiiiiiiiii“ laut aufzuschreien.
Nach einer ziemlich langen Umzieh- und Umbaupause nimmt das Ganze dann eine überraschende Wendung: Kim singt zunächst bewusst dramatisch einen Karaoke-Schnulz-Song, entledigt sich und uns dann aber der vierten Wand und ruft in ihr Mikrofon, dass sie nicht sauer sei, wenn jemand jetzt gehen will, dass sie sowas auch von sich selbst kennt (Nun gut: Nach so einer Ansage wird natürlich erst Recht niemand den Raum verlassen). Dann kündigt sie an, dass sie gleich noch tanzen und sprechen wird, der Tanz werde abstrakter, das Sprechen persönlicher. Sie erzählt, dass sie keine Förderung bekommen hat und dass dies aber eigentlich ein Trio sein sollte (hier bin ich aber irritiert, denn im Abendzettel steht „Gefördert vom Kulturamt Gießen und der Hessischen Theaterakademie“...), und dann bittet sie an Stelle der geplanten weiteren Performerinnen, um zwei freiwillige Zuschauerinnen die Lust haben, auf die Bühne zu kommen: „This is your time to shine!“ Schließlich stehen zwei Freiwillige auf, die sich dann vor einen Hocker samt iPad stellen und sich Kopfhörer und eine Maske aufsetzen müssen. Während eines nochmals sehr langen Umbaus sowie Umziehen von Kim wird offensichtlich, dass etwas auf dem iPad läuft, das die beiden Frauen nachahmen sollen. So besteht der nächste Teil daraus, dass die beiden Zuschauerinnen verschiedene folkloristisch anmutende (Tanz-)Bewegungen andeuten (Asiatisch? Ich bin mir nicht sicher, ob ich das an der Stelle jetzt auch denken soll) und Olivia Hyunsin Kim in der Mitte sitzt und mit einem Bikini bekleidet mit einer Strickliese strickt (Ah! Deutsch!). Diese Szene ist sehr lang und zäh, bis die beiden Zuschauerinnen schließlich die Bühne verlassen dürfen und ein letzter Teil beginnt, in dem Olivia Hyunsin Kim dem Publikum etwas über ihren letzten Winter in Korea erzählt. Sie erzählt von verschiedensten Erinnerungen an ihre koreanische Familie, davon, dass in ihrer Familie alle Akademiker sind und sie die einzige Künstlerin ist, aber die Ur-Ur-Ur-Oma auch getanzt hat, wie sie in einem Fotoalbum entdeckte. Sie erzählt von koreanischen Wärmflaschen und Hot stones, an denen sie sich verbrannt hat, sie zeigt die verbrannten Stellen an ihren Beinen, scheinbar ein „Indiz“ für den Wahrheitsgehalt der Aussage. Wobei es hier, wie Kim im anschließenden Gespräch erklärte, nicht um Wahrheit oder Lüge geht, sondern um das Graufeld zwischen Realität und Fiktion: Hier bezieht sie sich explizit auf das Phänomen des Erinnerns, das manchmal Ereignisse in ihrer Realität spannenderweise erst im Nachhinein produzieren kann. Der Unterschied zwischen Es war so, und Es hätte so gewesen sein können wird hiermit obsolet, oder zumindest abgeschwächt – insofern wird es auch quasi unwichtig, ob die erzählten Anekdoten „wahr“ sind oder nicht, da Wahrheit hier nicht maßgebend ist. Hiermit bewegt sich Kim, die in Gießen studiert hat, in Richtung einer Ästhetik, die vor allem von der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen beeinflusst worden ist: Das Spiel mit Authentizität auf der Bühne ist spätestens seit She She Pop, Gobsquad & Co (alles „Gießener“ Produkte) in der Performance-Szene ein beliebtes Instrument, um die Prekarität der Grenze zwischen „fiktiver“ Theaterfigur und „realem“ Schauspielerkörper herauszustellen.
Trotzdem produzieren Kims Erzählungen Bedeutung und haben auch ein klares Anliegen, etwa wenn sie von Bertolt Brechts Faszination für die Körpersprache des asiatischen Theaters spricht und damit seinen eurozentristischen Blick und den Hang zum Exotismus entlarvt. Die Künstlerin begibt sich hier in einen Diskurs, der sowohl in der Kultur-, Theater- und Tanzwissenschaft, als auch in der Ausrichtung der künstlerischen Praxis im Tanz seit einiger Zeit einen enormen Stellenwert hat (siehe etwa das Thema der Tanztage Berlin 2016 u.v.m.), und damit auch auf ein sicheres Gebiet. MeMe – I see. Ah! wirkt auf mich ein bisschen wie das Aufarbeiten der eigenen Identitätsgeschichte, die jedoch praktischerweise auch den zeitgenössischen Diskurs bedient, beziehungsweise umgekehrt. Olivia Hyunsin Kim spielt mit gängigen Asia-Klischees wie Karaoke-Songs, Fächer etc. und Deutsch-Klischees wie der Strickliese, und fragt uns Zuschauende damit permanent: Na, was siehst du? Du denkst jetzt Asiatisch!, stimmts? Dieses Entlarven funktioniert auch sofort, denn sofort denke ich an Asiatisch!, wenn ich bestimmte Dinge sehe. Was ich aber auch denke ist: Ja, ich weiß, man will jetzt auch, dass ich Asiatisch! denke, damit man mich entlarven kann – es mischt sich also eine Gedankenebene dazu, die ich während des ganzen Stücks nicht richtig abstellen konnte. So hatte ich stellenweise das Gefühl, dass der Diskurs in meinem Kopf, der ja das Stück bedient und umgekehrt, die eigentliche Wahrnehmung des Stücks irgendwie korrumpiert hat.
Zum Schluss wird dann noch ein Video an die Wand projiziert, in dem ein Staubsauger-Roboter in einem Zimmer zu noch einem Schnulz-Song staubsaugt – wohl wieder ein Asia-Klischee, über das ich aber schmunzeln muss. Olivia Hyunsin Kim versucht dazu, auf einem Barhocker zu tanzen und thematisiert durch das immer wiederkehrende Herunterfallen vom Hocker auch das Scheitern, was zum Einen einen schönen Kontrast zur plastikrosa klingenden Musik bildet und zum Anderen auf einer Meta-Ebene nochmal auf die Absurdität und Widersprüche so einiger Identitätskonstruktionen verweist.


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

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