Text zu NAH DRAN 51 (4./5. Juli 2015) von Thomas Schaupp
Nun ist es schon soweit... Zum letzten Mal schreibe ich im Rahmen der Einundfünfzigsten Ausgabe von NAH DRAN für das ada Studio. Wie sagt man so schön.... Ach, was die Zeit vergeht!
Zwölf Monate Studioschreibersein zerliefen zu zwölf Texten über mehr als sechzig verschiedene Tanzstücke, Performances und Präsentationen, quer durch alle Stile, Theorien und Praktiken. Sie
liegen nach diesem Jahr in Erinnerung, in Archiven (on- und offline) und verknappt, verurteilt, gelobt und in Lettern gepresst vor mir und Ihnen auf dem Bildschirm. Resultate meiner
Auseinandersetzung nach außen (und innen) und der Suche nach Ausdruck über die ganze Vielfalt und Bandbreite des Tanzes – von abstrakten bis kuriosen Versuchen, über Stücke nach „Art des Hauses
HZT” bis hin zu eher klassischen Tanztheaternummern war alles dabei.
Für mich war es eine wahre Schule des Schreibens. Und nicht immer fiel es mir leicht, liegt mein Hintergrund doch eher anders – einerseits in einer akademischen und andererseits
produktionsdramaturgischen Denk- und Herangehensweise an ein Schreiben. Welche Worte verlieren über eine Arbeit, die einem fremd ist? Und was schreiben, wo es nichts zu sagen gibt oder ein Zugang
fehlt? Wie das Geschehene eindrücklich und prägnant auf den Punkt bringen? Wie kritisch sein ohne allzu platt oder allzu abgehoben? An all diesen Fragen konnte ich mir nun in den zwölf Texten die
Hörner abstoßen, mal dieses und jenes ausprobieren, behalten oder wieder verwerfen. Gewünscht hätte ich mir eine kritischere Auseinandersetzung über meine Texte: Hie und da kam mir ein
unzufriedenes Grummeln zu Ohren, aber direkt hat es mich nie erreicht. Das ist schade, denn ich glaube, erst im Dialog mit den KünstlerInnen und/oder ZuschauerInnen beginnt die eigentliche
kritische Reflektion. Das Niederschreiben, Aufzeichnen, Festhalten des Studioschreibers kann nur Anstoß sein, Provokation. Am Ende blieb es jedenfalls doch nur eine subjektive Dokumentation von
Außen. Aber die ist auch unendlich wichtig, ist sie nicht nur dem ada Studio selbst und den KünstlerInnen und TänzerInnen, sondern auch der „Szene” an sich ein Spiegel, in dem sich ihr Schaffen
reflektiert – in den Farben der mir eigenen, subjektiven Art und Weise.
Eine immer wiederkehrende Frage, die ich bis zuletzt aber unausgesprochen ließ, zumindest auf dem Papier, war die nach der „Diskurshoheit” – ein im Grunde unsäglicher, aber doch auch
alternativloser und immer wieder zu lesender und hörender Begriff. Es fiel auf, dass die ChoreographInnen, die dem Hochschulzentrum Tanz entsprungen sind, für die ZuschauerInnen und auch für mich
persönlich überdurchschnittlich oft in sich aufgehende oder gar spannende Arbeiten zeigten, während andere keinesfalls immer, aber doch öfter schwächer, langweiliger, weniger kohärent oder
durchdacht erschienen. Wenn man dann aber anfängt darüber nachzudenken, was denn diese „Hoheit” genau auszeichnet, welch „gemeinsame” bzw. „trennende” künstlerische oder inhaltliche Qualität sich
durch all diese Arbeiten zieht, ist man schnell aufgeschmissen. Da kommt dann bald auch schon, wahrscheinlich zurecht, der Verdacht auf, dass der eigene Blick zu sehr geprägt ist von den
Auftritten der Sprösslinge der Berliner Schule. Vielleicht aber sind wir einfach auch zu sehr verwöhnt und benebelt vom steten Mantra „Berlin – Welthauptstadt des Tanzes” - Irgendwann glaubt man
es einfach und ist irgendwie auch stolz darauf, auf eine Art und Weise Teil dessen zu sein. Da geht es dann nicht mehr so richtig um ein Verstehen, sondern ein Glauben. Es muss ja schließlich
auch was dahinter stecken, nicht?! Aber wer sagt denn, dass das, was in der Provinz für wahre Freudentaumel sorgt, automatisch untergehen muss in der „avantgardistischen” Szene der Hauptstadt?
Ist unser Blick vielleicht einfach zu elitär und verkopft? Welche Erfahrungen und Eindrücke verpassen wir dadurch vielleicht? Das jedenfalls sind ein paar wenige der vielen Fragen, die ich mir
aus meiner Tätigkeit als Studioschreiber mitnehmen werde.
Zu den Stücken der Einundfünfzigsten Ausgabe von NAH DRAN: An diesem Abend waren Rike Flämig & Zwoisy Mears-Clarke mit ihrer work in progress „Idiosyncrasies”, die dem/r geneigten
ada-ZuschauerIn schon bestens bekannten Tänzerinnen Rachell Clark und Alice Heyward mit ihrer Kollaboration „Ship”, sowie die Tangente Company mit ihrer Arbeit „Four Rooms” zu erleben. Eine
ungeschriebene, aber mit auffälliger Regelmäßigkeit wiederkehrende Regel, dass das erste Stück eigentlich immer ein spannender Auftakt ist, die zweite Arbeit leider meist die schwächste und die
dritte schließlich eine Überraschung, wurde auch an diesem Abend wieder bestätigt. Den Auftakt also bildeten die unglaublich sympathischen PerformerInnen Rike Flämig und Zwoisy Mears-Clarke mit
ihrem Stück „Idiosyncrasies” (work in progress), indem sie anhand ihrer eigenen Biographie ihre eigene Verortung innerhalb der soziologischen Debatte zum Third Culture Kid suchten.
„Idiosyncrasies” ist, wie der Titel schon andeutet, eine eigentümliche, aber in sich kohärente und gelungene Aneinanderreihung unterschiedlicher Formate und Stile: Schon beim Betreten des Raumes
war man mittendrin – Da standen sie. Zugegeben, beide haben nicht ganz den Körperbau, den man sich gemeinhin als Ideal einer TänzerIn vorstellen würde. Eigentlich völlig schnuppe, aber irgendwie
doch noch bemerkenswert, da erste Reaktionen im Publikum Erstaunen erkennen ließen. Sie standen also da - mit einer unglaublich starken Präsenz und Gewahrung, von der sich viele etablierte
MöchtergernperformerInnen noch einige Scheiben abschneiden können – bevor sie sich in den Raum verteilten und, erst mit fragmentierten, zitternden Bewegungen beginnend, erfrischend non-chalant zu
uns hin tanzten. Nicht unbedingt räumlich, sondern vielmehr persönlich. Sie rückten immer näher an uns ran und nahmen uns buchstäblich mit auf die Reise in ihre eigenen und gemeinsamen
Geschichten über Herkunft und Identität. Sie erzählten mal eher trocken, aber mit viel Humor in Form einer schulischen Präsentation, dann wieder deviierend über Bewegung..... bis sie schließlich
alles von sich abschüttelten, die Haare vor die ZuschauerInnen warfen und im Hier und Jetzt ankamen. Wann und Wo findet die Premiere statt? Ich werde da sein!
Die Australierinnen Rachell Clark und Alice Heyward sind mir in meinem letzten Jahr als Studioschreiber mehrmals zwischen die Tastatur gekommen: So waren sie beide Tänzerinnen in Nebahat Erpolats
Präsentation im Rahmen von NAH DRAN 50, und Rachell Clark war zu „10 times 6” im November letzten Jahres eingeladen. Nun also zeigen sie mit „Ship” erstmal eine Kostprobe ihrer schon länger
währenden künstlerischen Kollaboration. Leider war genau das, was schon der Programmtext erwarten ließ, auch zu sehen: „Ein ganzer Teil einer Summe aus einigen Teilen. Eine Gleichung aus
Situationen in verschiedenen Rubriken von Zeit, Beziehungen und Zielen. Zwei Personen bewegen sich und werden bewegt...”, und so weiter. Aus dieser Unentschlossenheit und inhaltlichen Irrevelanz
konnten sich die beiden trotz ihrer tänzerischen Qualitäten und trotz des lautstarken und aufmerksamkeitsfordernden Percussion-Intros und späterer Jazz-Noise Einlagen vom Band leider nicht
befreien. Zwei Passagieren auf einem Schiff in Seenot gleichend, flogen, wogten, drehten und spannen sich Clark und Heyward mal im Solo, dann wieder als Duett durch den Raum, erst vielleicht in
Panik, später dann ihr Schicksal akzeptierend und nur noch den Untergang abwartend, Arm in Arm, Körper auf Körper. Schnitt – Das Schiff ging unter und in gülden-glitzernder Kostümierung gehen sie
langsam von dannen, hin zu unbekannten Gefilden. So ungefähr vielleicht könnte man das Ganze erzählen, wenn man den Titel bedenkt. Aber da ging jetzt auch ordentlich meine Phantasie mit mir
durch.
„Four Rooms” von Tangente Company war mal wieder eines dieser Stücke, das irgendwie in seiner theatralen und urbanen „Pop-igkeit” nicht so Recht reinpassen will
(siehe Diskussion Diskurshoheit), dann aber doch und ausgerechnet wunderbar funktioniert und den meisten Applaus einholt. Mit „Four Rooms” choreographierte und inszenierte Johannes Schuchardt
eine Art Action-Tanzkrimi à la Quentin Tarrantino. Die vier TänzerInnen Lea Svenja Dietrich, Johanna Jörns, Bahar Meric und Christina Wüstenhagen brachten all ihr tänzerisches und
schauspielerisches Können virtuos ein und rasten mit uns durch die dunklen Gassen amerikanischer Großstädte. Natürlich waren Stühle Requisiten (die kann man so schön durch den Raum schmeißen und
sich drunter verstecken und so weiter... funktioniert), natürlich kämpfte Gut gegen Böse und war am Ende der Gewinner und so weiter. Zwischendurch hatte „Four Rooms” auch mal seine Längen, etwa
wenn völlig vorhersagbar nacheinander jede der Tänzerinnen ihr Solo bekam – aber das sind dann so die klassischen dramaturgischen Kniffe, die man auch mal aushalten kann. Am Ende war es einfach
gute Unterhaltung, und das ist schon viiiieeeellll Wert!