Text zu „reinkommen“ (29. November 2019) von Johanna Ackva
Bei der zweiten Ausgabe der neuen Reihe 'reinkommen' im ada Studio gibt Simone Gisela Weber einen Einblick in ihre neueste Arbeit, die sich mit dem Begriff des „Flows“ beschäftigt. Johanna hat schon ein paar Tage früher bei Simone hereingeschaut:
Zu Besuch im Studio bei Simone Gisela Weber
Langsam, fast so, als geschehe rein gar nichts, rollt die Hüfte über den Boden, gleitet ein Arm zum Kopf hin. Es ist, als ob wir fallen, von einer Ecke des Raums in die ihr diagonal gegenüber liegende – nur viel, viel langsamer und immer im Kontakt mit dem Boden. Oder als seien wir eine tektonische Verschiebung auf der Oberfläche der Erde. Oder erkaltende Lava, die zäh ihre letzte Strecke zurücklegt. Unter einem Arm hindurch fällt mein Blick auf Simones Oberkörper. Auf unserem gemeinsamen Weg gen Studioecke mir ein Stück voraus, dreht dieser sich gerade über links. Ein paar ruhige Atemzüge lang blicken wir in die gleiche Richtung, bevor uns der langsame Fluss unserer Bewegungen wieder in unterschiedliche Positionen bringt.
Simone Gisela Webers zweiwöchige Residenz im ada Studio ist der Beginn ihrer Recherche zum Phänomen des „Flows“. Ich besuche sie an Tag sieben und wir verbringen zwei Stunden mit Gesprächen und einigen Tasks, die Simone im Rahmen der Auseinandersetzung mit ihrem Thema für sich selbst formuliert, immer wieder ausprobiert und abgewandelt hat. „Ich habe festgestellt,“ sagt sie mir zur Einführung, „dass ich, wenn ich improvisiere bzw. alleine tanze, eigentlich immer auf der Suche nach einer Art von Mühelosigkeit bin, einer Harmonie oder eben einem Flow, in dem mein Körper durchlässig ist, das Eine zum Nächsten führt und meine Bewegungen wie von selbst zu geschehen scheinen.“
Jetzt, wo sie dem Bedürfnis nach einem Gefühl der Befriedigung und des ganz-und-gar-versunken-Seins in der Kontinuität gezielt nachgeht, stellen sich ihr viele Fragen: Was erzeugt einen Flow und wie kann er aussehen? Was für eine Art von Körper kreiert der Flowzustand? Wie lassen sich Flow und Komposition, das Ordnen von Material in Raum und Zeit, das unabdingbar scheint, wenn aus dem Tanz eine Choreografie, ein Stück werden soll, unter einen Hut bringen? Dabei geht es in dieser ersten Phase der Recherche zunächst darum, sich von den Fragen und der eigenen Neugier leiten zu lassen, den Bildern, Assoziationen und Phantasien zu folgen, um „ein eigenes Universum“ zu schaffen. Dass beispielsweise das langsame Gleiten über den Boden, welches wir gemeinsam ausprobieren, etwas mit Flow zu tun haben soll, klingt auch für mich überraschend. Üblicherweise mag man bei Flow vielleicht als erstes an dynamische Bewegungen und bei dynamisch wiederum als erstes an Geschwindigkeit denken. Beim Tun hingegen erschließt sich mir sofort, wie der ständige Kontakt zum Boden und zum eigenen Körper, dem man in der Langsamkeit besonders gut von Moment zu Moment nachspüren kann, einen sensorischen Halt gibt, der das Erleben eines fließenden Kontinuums tatsächlich erleichtert.
„Ich glaube, Flow hat viel damit zu tun, niemals der Zeit voraus zu sein bzw. voraus zu denken“, sagt Simone. Ich stelle es mir so vor, dass man beim Tanzen vor allem aus dem Raum der Wahrnehmung heraus arbeitet. Eine bestimmte Art der Selbstbetrachtung und Betrachtung des Geschehens von außen, die ihre Gegenstände im Bezug auf eine größere Idee oder eine Abstraktion feststellt und einteilt, hat hier folglich weniger Platz. Was uns zurück führt zur Frage nach dem Verhältnis von Flow und Komposition. Gibt es vielleicht auch eine Möglichkeit, Komposition aus dem Flow heraus zu denken, statt die beiden als Gegensätze zu betrachten?
Bei einer anderen Übung, die ich mit Simone mache, geht es darum, einen Stift in einer ununterbrochenen Linie, die sich selbst nie kreuzt, über das Papier zu führen, wobei wir möglichst wenig intendierte Entscheidungen treffen, tief durch die Nase in den Bauch atmen und die Augen immer dem Stift folgen. Die so entstehenden Zeichnungen sind ebenso klar und unterschiedlich in der Form, wie sie in ihrer Textur einen eindeutig wiedererkennbaren Charakter haben. Ich sehe mir die Linien genauer an: Sie sind weich, niemals schnurgerade, winden sich, um miteinander auf dem Papier zurecht zu kommen, in labyrinthartigen Schleifen hin und her. Recht ziellos, will man sagen und doch entsteht am Ende etwas, das aussieht wie ein Blatt mit vielen Adern, oder wie eine Zelle. Ist der Flow, frage ich mich, wenn ich an Zeichnung, Blatt und Zelle denke, vielleicht sogar eines der ältesten Prinzipien für die Erschaffung von Dingen und Ordnungen? Der in diesen Breiten recht populäre Mythos von einem gut organisierten Gott, der an sechs strikt durchgeplanten Arbeitstagen megalomane Tagesziele erfüllt, und am Sonntag natürlich er-schöpft sein muss, scheint mir als Vorstellung jedenfalls weniger attraktiv als die These, dass da einfach Teilchen im Flow waren ...
Simone, für die die Residenz im ada Studio nach ihrem Studienabschluss im Sommer das erste Projekt ist, hofft auch im Hinblick auf die zweite Woche vor allem darauf, ihren eigenen Erfahrungen gegenüber neugierig zu bleiben. Außerdem will sie dem Wunsch nachgehen, ihre künstlerische Praxis, für die der Flow eine wichtige Rolle spielt, nach dem Studium in neuen Umgebungen weiter zu entwickeln. Perspektivisch gedacht, meint sie, wäre es schön, das, was sie über den Flow herausfindet, mit mehreren Körpern zu erkunden.