NAH DRAN hyper-extended: Force Fields
Kuratiert von Lee Méir
15./16. Juni 2019
Diese Ausgabe von „NAH DRAN hyper-extended“ wurde von Lee Méir kuratiert und präsentiert vier Arbeiten von Choreograf*innen, die sich in ihrem inneren, äußeren, oberen, unteren Selbst bewegen, in
einem Geflecht aus intensiven und widersprüchlichen Zuständen von Körper und Geist.
Laufen, entwirren, springen, begehren, erschöpfen, versinken, zusammenbrechen, enthüllen, stoßen, verlieren (den Verstand) (den Zugriff), brauchen, sich ergeben, aufgreifen, auseinanderfallen,
loslegen. Zerstreut, aufgelöst, benommen und verwirrt, extrem und obsessiv, ohne jegliche Richtung, mit dem Körper und ohne Verstand, mit Verstand und ohne Körper. Alles zur gleichen Zeit.
Lee Méir ist Choreografin, Performerin und Kostümbildnerin. Sie wurde in Jerusalem geboren und lebt und arbeitet heute zwischen Berlin und Tel
Aviv. In ihrer Arbeit untersucht sie paradoxe Zustände, Fragen zu Rhythmus und Sprache und die Spannung(en) zwischen Wort und Aktion. Seit 2011 entwickelt
sie ihre eigene Solopraxis, ihre letzten Solostücke sind „fourteen functional failures“ (Soloreihe, 2016-2017) und „Line Up“ (Uferstudios 2018). Gleichzeitig engagiert sie sich in verschiedenen
kollaborativen Formaten, wie z.B. in der kollektiven Arbeit „Across the Middle, Past the East, an Unsettled Cabaret“ (Sophiensaele, 2018). Sie sieht in ihrer kollaborativen Praxis die
Möglichkeit, individuelle Ideen zu hinterfragen und gemeinsam zu praktizieren.
Lees Stücke wurden u.a. im Rahmen von Tanz im August, Brighton Festival, Heidelberger Tanzbiennale, Roter Salon in der Volksbühne Berlin, Tanzquartier Wien gezeigt.
Ihr Studium der Choreografie am Hochschulübergreifendes Zentrum Tanz in Berlin schloss sie 2013 ab.
Seit 2017 kuratiert Lee zweimal pro Jahr die Reihe „NAH DRAN extended“ im ada Studio Berlin, wo sie junge Choreografen bei der Realisierung ihrer ersten Werke
begleitet. Ihre kuratorische und ihre choreografische Arbeit bereichern einander und sind für Lee zwei Möglichkeiten, ihr Verständnis von künstlerischer Arbeit als einem Zusammentreffen von
Ideen, Menschen und Handwerk zu vertiefen.
Kürzlich erhielt sie in Kooperation mit L'École des Sables in Senegal das Pina Bausch-Stipendium 2019.
Derzeit arbeitet sie mit dem Schweizer Regisseur Boris Nikitin zusammen, um eine neue Produktion zu realisieren, die 2020 in der Kaserne Basel uraufgeführt wird.
www.leemeir.com
This edition of “NAH DRAN hyper-extended” is curated by Lee Méir and presents four works by choreographers who are
navigating their inner-outer-upper-lower selves, in a network of intense and contradicting states of mind and body.
Running, unraveling, leaping, desiring, exhausting, sinking into, collapsing, revealing, pushing, losing (your mind) (your grasp), needing, surrendering, picking
up from, falling apart, going for (it). Diffused, dissolved, dazed and confused, extremely and obsessively, with no direction, by all means, with the body without the mind, with the mind without
the body. With everything at once all the time.
Lee Méir is a freelance choreographer, performer and costume designer. She was born in Jerusalem and today lives and works between Berlin and Tel-Aviv. Her work explores the tension(s) between language, movement, sound, and meaning production, and can be situated somewhere between playful and intense. Lee has been developing her solo practice since 2011, her recent solos include “fourteen functional failures” (a solo series, 2016-2017) and “Line Up” (Uferstudios 2018). She sees her solo practice as a home base to go from and come back to. Simultaneously she works in collaborative formats such as the collective piece “Across the Middle, Past the East, an Unsettled Cabaret” (Sophiensaele, 2018). She sees her collaborative practice as a way to destabilise individual ideas and to practice making together. Lee’s works are presented internationally in platforms such as: Tanz im August Berlin, Brighton Festival, Heidelberg Tanzbiennale, Roter Salon at the Volksbühne Berlin, Tanzquartier Vienna. In 2013 Lee completed choreography studies at HZT Berlin. Since 2017, Lee curates the series NAH DRAN extended, at ada Studio Berlin, where she accompanies young choreographers in realising their first works. Her curatorial work and choreographic work feed back and forth to each other, and are both ways for Lee to deepen her understanding of artistic work as a meeting point between ideas, people and craft. Recently she has been awarded the 2019 Pina Bausch Fellowship in cooperation with L’ecole des Sables in Senegal. She is currently collaborating with the swiss director Boris Nikitin, for a new production premiering at Kaserne Basel in 2020. www.leemeir.com
Fotos: Nuria Höyng, Tanja Siren, Tom O’Doherty, Rocio Marano
Jelena Alempijević, Nuria Höyng & Lena Strützke: Die Fahrt
Das Tanzstück „Die Fahrt“ beginnt mit dem Einsatz von elektronischer Musik und einer fortlaufenden, zeitlupenartigen Bewegung von drei Tänzerinnen. Die ausgedehnten und flüssigen Bewegungen, die
in Verbindung mit vorantreibenden Klängen bewegte Bilder erzeugen, ziehen sich durch das 30-minütige Stück und bilden einen kontinuierlichen, soghaften Zeitstrom. In lange Mäntel gekleidet,
bewegen sich die Tänzerinnen durch den Raum, wobei sie sich mal wie Planeten umkreisen, sich dann wieder voneinander entfernen und in unregelmäßigen Abständen innehalten. Es ist schwierig
anzukommen, wenn die Umgebung nicht klar erkennbar ist, sagt Jelena. Mit dem Körper als Transportmittel wird die Navigation selbst zum Modus der Erkundung. Seine Beschaffenheit und Ausrichtung
bestimmt die Art und Weise der Fortbewegung und das, was während der Fahrt wahrgenommen werden kann.
Jelena Alempijević, Lena Strützke und Nuria Höyng haben bereits in unterschiedlichen Konstellationen zusammen gearbeitet und kommen für das Tanzstück „Die Fahrt“ zum ersten Mal
zu dritt zusammen. Sie teilen ein gemeinsames Interesse für den Zusammenhang von Bewegungsqualität, physischem Zustand, Form und Musikalität im Tanz. Im Prozess der Stückentwicklung haben sie
unterschiedliche Rollen eingenommen und aus ihrer jeweiligen Perspektive als auch gemeinsam an der Entstehung mitgewirkt.
The dance piece “Die Fahrt” (“The Drive”) begins with the use of electronic music and a continuous, slow-motion movement by three dancers. The extensive and
fluid movements, which in conjunction with the driving sounds create moving images, run through the 30-minutes piece and form a continuous, sog-like stream of time. Wrapped in long coats, the
dancers move through space, sometimes orbiting like planets, then moving away from each other and pausing at irregular intervals. It is difficult to arrive, when the surroundings are not clearly
recognizable, says Jelena. With the body as a means of transport, navigation itself becomes the mode of exploration. Its state and orientation determine the manner of locomotion and what can be
perceived during the drive.
Jelena Alempijević, Lena Strützke and Nuria Höyng have already worked together in different constellations and are coming together for the first
time as a trio for the dance piece “Die Fahrt”. They share a common interest in the relationship between movement quality, physical state, form and musicality in dance. In the process of piece
development, they took on different roles and participated in the creation from their individual perspective as well as together.
Simo Vassinen: Gegenübertragung
Konzept & Performance: Simo Vassinen
Komposition & Live Performance: Ksenija Ladic
„Gegenübertragung“ ist die unausweichliche Vermischung der Rolle der Patient*in und der Psychoanalytiker*in, derer sich die Analytiker*in bewusst sein muss. Wie so oft ist es ein endloses Bemühen
jemand Anderen zu sehen, ohne dabei sich selbst zu sehen.
Psychoanalyse erlaubt dem treibenden und frei schwebenden Geist der Patient*in sowohl Mythologien als auch profanen Ereignissen zu begegnen. Die Beziehung zwischen Patient*in und Analytiker*in
bietet das Potential für eine ungewöhnliche Freundschaft, in der sich ständig verschiebende Grenzen – zwischen persönlicher und geteilter Erfahrung, dem Körpereigenen und dem Universellen,
Helfer*in und Geholfene*rin – beiden erlauben, im Nebel zu schiffen.
Simo Vassinen, Absolvent der Wirtschaftswissenschaften und ehemaliger Zukunftsforscher, begann 2014 Performances zu kreieren. Seine eigenen Arbeiten zeigte er im ada Studio,
Theater im Delphi, Sophiensaele und beim STATE Arts and Science Festival, und er arbeitete mit anderen Berliner Performer*innen am Theater Freiburg und im Ballhaus Ost. Vassinens Arbeiten in
Performance und Tanz koexistieren und mischen sich mit seinen anderen freiberuflichen Berufen als Übersetzer, Dolmetscher, Veranstalter und Journalist. Sein erstes Solo „Om (Mm…)“, uraufgeführt
im ada Studio, war unter den 10 Finalisten für „Das beste deutsche Tanzsolo 2015“.
“Gegenübertragung” (“Countertransference”) is the inevitable mix-up of the roles of the patient and the psychoanalyst, and something the analyst must consciously
be aware of. As anywhere, it is an endless effort to see someone without seeing yourself. Psychoanalysis allows the patientʼs drifting and free-flowing mind to meet with both mythologies and
mundane events. The relationship between the patient and the analyst has potential for an unusual friendship where the ever-shifting borders – of personal and shared experience, of bodyspecific
and universal, of helper and the one helped – allow both to navigate the fog.
A business school graduate and former futures researcher, Simo Vassinen started performance making in 2014. He has shown his own work at ada Studio, Theater im
Delphi, Sophiensaele and the STATE Arts and Science Festival, and performed alongside other Berlin performers at Theater Freiburg and Ballhaus Ost. His performance and dance work co-exists and
mixes with his other freelance jobs as a translator, interpreter, researcher, event producer and journalist. His first solo “Om (Mm...)” premiered
at ada Studio and was a top 10 finalist in Germanyʼs Best Dance Solo 2015.
Agnė Auželytė & Stephen Doyle: UNDONE, a heart score
„UNDONE“ ist eine improvisierte Duo-Performance, die verschiedene Herz-Kreislauf-Zustände erforscht. Nach einer einfachen Partitur laufen zwei Körper eine Stunde lang, ohne Publikum. Wenn der
Höhepunkt erreicht ist, entwickelt sich das Stück aus der Auflösung des Zustands nach dem Zusammenbruch. Es ist ein Dialog zwischen Bewegung und Klang, die ineinander übergehen und die Grenzen
zwischen den Disziplinen verwischen. Perkussive Strukturen zerfallen. Körper geraten in eine meditative Trance, treiben ihren Puls ans äußerste Limit und lassen ein abstraktes Klang- und
Bildgedicht entstehen, bei dem die Intelligenz des Herzens auf der Suche nach der Intuition benutzt wird.
Die aus Litauen stammende Agnė Auželytė ist eine in Berlin lebende Performerin, Tänzerin und Köchin. Seit 2012 ist Agnė an verschiedenen Theater-, Tanz- und interdisziplinären
Projekten in Europa, den USA und Indien beteiligt. Sie arbeitet allein und kollaborativ mit Improvisation, Sound Making, Textilien sowie mit Nahrungsmitteln als kreativem Medium. Derzeit ist Agnė
im Cast für „The School of Hard Knocks“ unter der Regie von Yoshiko Chuma und arbeitet an experimentellen Klanglandschaften mit Bands wie Otolitos, Dragons/Doyle und Vrouw! zwischen Berlin und
Amsterdam.
Der Schlagzeuger Stephen Doyle lebt und arbeitet in Amsterdam. Seine Sounds sind Teil der Kreationen von Dagora, 78rpm, Dragons / Doyle sowie von gelegentlichen Duo-Auftritten
mit Lisa Simpson (Agente Costura) und Aonghus McEvoy (von Woven Skull). Als Schlagzeuger kombiniert er die meditativen Effekte der Wiederholung mit den verfeinerten künstlerischen Fähigkeiten
einer verpassten Punkjugend. Dies ermöglicht eine spielerische Verzahnung chaotischer Spontaneität mit künstlerischer Neugier für das akustische Potenzial von Raum und Architektur. Stephen tourt
in Europa und darüber hinaus.
“UNDONE” is an improvised duo performance exploring various cardio states. Following a simple score, two bodies run for one hour with no audience present.
Entering at the peak, the piece emerges from the unraveling of the post-collapse state. It is a dialogue between movement and sound, which cross into one another, blurring the lines between
disciplines. Percussive structures crumble. Bodies enter into a meditative trance, pushing their pulses to the limit, allowing an abstract sonic and visual poem to occur where the intelligence of
the heart is employed in search for ones intuition.
Lithuanian Agnė Auželytė is a performing artist, dancer and cook based in Berlin. Since 2012 Agnė has been part of various theatre, dance and interdisciplinary
art creations performing across Europe, USA, India. She works solo and collaboratively with embodied improvisation, sound making, textiles as well as with food as a creative medium. Currently,
Agnė is a cast member for “The School of Hard Knocks” directed by Yoshiko Chuma and working on experimental soundscapes with bands such as Otolitos, Dragons/Doyle and Vrouw! between Berlin and
Amsterdam.
Stephen Doyle is a drummer, living and working in Amsterdam. His sounds are part of the creations of Dagora, 78rpm, Dragons/Doyle as well as occasional duo
performances with Lisa Simpson (Agente Costura) and Aonghus McEvoy (of Woven Skull). As a drummer he combines the meditative effects of repetition with the refined skill of a misspent punk youth.
This allows for a playful embrace of chaotic spontaneity to overlap with an artistic curiosity about the acoustic potential of space and architecture. Stephen has toured throughout Europe and
beyond.
Rocio Marano aka Cat Ninja: Insanity Solo
Das Stück entstand nach einer genauen Bewegungsrecherche, die hochintensive Trainingseinheiten, Krumping und somatische Praktiken (was ich „Somatic Krump“ nenne) kombiniert. Die Verkörperung
einer aggressiven und losbrechenden Geste wirkt als Gegenkraft für die diktatorischen Reden einiger Fitness-Kulturen. Hier wird die Vorstellung vom Körper als einer vom Geist gesteuerten Maschine
mit einer ganzheitlichen Sicht auf den Körper konfrontiert, bei der der Körper nicht vom Geist getrennt ist und bei seinem Versuch, als Einheit zu agieren, versagt. Inspiriert von den
nordamerikanischen Heimtrainingsvideos „Insanity Max Out“, die zu extremen Körperleistungen animieren.
Rocio Marano studierte an der Escola Superior d'Art und Disseny de les Illes Balears, Mitglied einer Theater-Company auf Mallorca und danceWEB Stipendiatin 2016. Sie
kollaborierte mit dem K.A.U. Kollektiv, Alfredo Zinola, Alma Toaspern, Susanne Grau und performte in Tino Sehgals „KISS“. Zu ihren eigenen Arbeiten gehören „Insanity Solo“ (2017) - Bienal de
Performance de Buenos Aires, „Danza Sin Fin“ (2012) und - in Co-Regie mit Lea Kieffer - Workshops und Performances unter dem Pseudonym Los(t) Ninjas (2014/19). Sie ist Teil des
MUDPACK-Kollektivs, das sich der Erforschung immersiver Performances im Techno-Bereich beim Waking Life Festival verschrieben hat.
The piece was created after a rigorous movement research that combines high-intensity workouts, KRUMP and somatic practices (what I called “Somatic Krump”). The
embodiment of both an aggressive and repairing gesture acts as a counter-force for the dictatorial speeches of some Fitness Culture. Here the idea of the body as a machine controlled by the mind
is confronted with a holistic view on the body, where body is not separate from mind, and fails on its attempt to act like one. Inspired by North-American home-training-videos “Insanity Max Out”
which encourages extreme body performance.
Rocio Marano graduated from Escola Superior d’Art and Disseny de les Illes Balears, was part of a Theater Company in Mallorca and danceWEB scholarship recipient
2016. She has collaborated with K.A.U Kollektiv, Alfredo Zinola, Alma Toaspern, Susanne Grau and interpreted Tino Sehgal's “KISS”. Her own work includes “Insanity Solo” (2017) - Bienal de
Performance de Buenos Aires, “Danza Sin Fin” (2012) and co-directing with Lea Kieffer workshops and performances under the pseudonym of Los(t) Ninjas (2014/19). She is part of MUDPACK collective,
devoted to research immersive performativities within the techno-field at Waking Life Festival.