NAH DRAN extended: MISSED PIECES I

12., 13. und 14. November 2021 - Freitag, Samstag und Sonntag, jeweils 20.30 Uhr

Videostream vom 15. November 2021, 10 Uhr, bis zum 18. November 2021, 23.59 Uhr.

 

„NAH DRAN“ ist eine Performance-Reihe für junge Berliner Choreograf*innen. Sie bietet die Möglichkeit, neue Stücke - fertig oder im Arbeitsprozess - zu präsentieren. Das Format versammelt drei Stücke verschiedener junger Künstler*innen an einem Aufführungsabend. „NAH DRAN“ („close to“) bedeutet, dass es buchstäblich keine Lücke zwischen Performer*innen und Publikum gibt, was einen intimen Rahmen für das Teilen der Arbeit schafft.

„NAH DRAN extended“ heißt, dass die Arbeiten unter einem speziellen kuratorischen Aspekt ausgewählt wurden. Diese Ausgabe versammelt drei Arbeiten, in denen sich die Künstler*innen auf Reisen begeben haben: Grenzen überquerend, Systeme sprengend und die Erde von oben betrachtend. Alle vier Künstler*innen haben ihre choreografischen Reisen während des ersten und zweiten Corona-Lockdowns im ada Studio begonnen, nahmen den Transit durch die virtuelle Welt und kommen nun zurück ins Studio, wo sie vermisst wurden. Wo ein Publikum vermisst wurde. Wo wir alle Stücke übers Reisen und andere Abenteuer vermisst haben. Wo wir jetzt endlich alle zusammen kommen, um uns von dem, was war und was ist, zu erzählen. 

 

“NAH DRAN” is a performance series for Berlin based emerging choreographers. It provides an opportunity to present new pieces, finished or in process. The format assembles 3 pieces by different young artists in one performance evening. “NAH DRAN” (“close to”) means that there is literally no gap between performers and audience, which offers an intimate setting for sharing the work.

“NAH DRAN extended” means that the works were selected under a specific curatorial aspect. This edition assembles three works in which the artists have embarked on journeys: Crossing borders, breaking systems, and looking at the earth from above. All four artists began their choreographic journeys during the first and second corona lockdowns at ada studio, took transit through the virtual world, and now come back to the studio where they were missed. Where an audience was missed. Where we all missed pieces about journeys and other adventures. Where we now finally all come together to tell each other about what was and what is. 

Fotos: Aïsha Mia Lethen

Akiles: Trance

Choreografie & Performance: Akiles Sound: Calvin Lanz | Lichtdesign: Robert Prideaux Produktion: Sirine Malas

 

Stimmen, die in Wellen treiben, sich verdichten und zusammenwirken, um Begriffe und Bewegung zu erzeugen. Wir hören nicht mehr nur Klänge, denn Klänge setzen sofort eine Stimmung, wenn diese Stimmen zu einem Bild werden, das aus unserer Wahrnehmung hervorgegangen ist. Auf diese Weise formen die kleinsten atomaren Details ein Bild aus dem Hörbaren und formen direkt etwas Visuelles.

Ein Bild einer „Was wäre wenn“-Situation in einem einzigen Zeitfenster malen. Was wäre, wenn die Aktionen der Menschen mit echten Stimmen echter Menschen aus Revolutionen, Demonstrationen und Protesten aus verschiedenen Teilen der Welt erfolgreich wären? Was wäre, wenn alles verstummte? In dieser Zeit wird ein „Was wäre, wenn?“ wertlos, wenn die Ereignisreihe in der Stille endet. Dieses eine Zeitfenster ist nicht an Erinnerungen oder Erwartungen oder Reaktionen geknüpft. Es assimiliert einen Zustand, der nie erlebt wurde. Folglich stellen sich andere Was-wäre-wenn-Fragen: Was wären unsere Bestrebungen als Menschen gewesen, wenn wir nicht reagieren könnten? Waren meine Bestrebungen echt oder waren sie hauptsächlich das Ergebnis meiner Reaktion auf Handlungen, die ich in meinem ganzen Leben erlebte? Ein Nachbeben dieses Bildes, das während vieler Jahre von Stimmen wahrgenommen wurde.

Akiles ist ein zeitgenössischer Tänzer und Choreograf aus dem Irak, der seit 2014 in Berlin lebt. Seine Karriere begann in Syrien am Damaskus Opera House, dem römischen Amphitheater von Busra Asham. Weitere Auftritte fanden in Bahrain und Katar statt. Seine Premiere in Berlin war eine 6-minütige Präsentation von „The Parallel side of the Road“ im ada Studio. Die Vollversion wurde während der Tanztage 2017 in den Sophiensaelen Berlin präsentiert. Sein letztes Projekt war ein weiterer Ausblick auf seine Forschung unter dem Titel „The Pain…The Pursuit…“, aufgeführt im Rahmen des Weltoffenes Berlin-Stipendienprogramms der Uferstudios. Akiles studiert aktuell im Masterprogramm Choreografie am HZT Berlin. 

Calvin Lanz wurde in Deutschland geboren, verbrachte aber den größten Teil seines Lebens damit, von Land zu Land zu ziehen. Dieses Umherziehen bestimmt die Art und Weise, wie er die Welt wahrnimmt und mit ihren Bewohnern interagiert. Mit 15 Jahren begann er, Musik zu machen, aber seine wahre Leidenschaft für das Medium Klang entwickelte sich in den Jahren seines Studiums Creative Music Technology an der University of Salford in Manchester/Großbritannien. Nach Abschluss des Studiums landete er in der Welt der Freiberufler, wo er sein Talent für das Mastering entdeckte. Außerdem liebt er es, Klanglandschaften zu kreieren, Welten im auditiven Sinne zu erschaffen, sowie Beats und elektronische Musik zu komponieren.

 

Voices that drift in waves, densify and interact together generating notions and movement. We do not only hear sound anymore, for sounds set a mood immediately as these voices start to grow into an image begotten from our perception. This is how the small atomic details form an image out of audible input directly forming visual output. Painting an image of a “what if” situation in a one time slot, what if people’s actions succeeded using true voices of real people from revolutions,demonstrations and protests from different parts of the world. What if everything went into silence? In this time, “what if?” becomes void of value as the event series cease inside the silence. This one time slot is not attached to any memories or expectations or reactions. It assimilates a state that was never experienced. Consequently, other what if questions arise: what would have been our aspirations as humans if there weren’t action for us to react to? Were my aspirations genuine or were they mostly the outcome of my reaction to actions encountered throughout my life. An aftershock of that image perceived during many years of voices.

Akiles is a contemporary dancer and choreographer from Iraq living in Berlin since 2014. His debut was in Syria as a dancer performing part of local dance companies at the Damascus Opera House, the Roman amphitheater of Busra Asham/Syria, in addition to shows in Bahrain and Qatar. His premiere in Berlin was a 6-minute presentation of “The Parallel side of the Road” in ada Studio. The full version was presented during the Tanztage 2017 at Sophiensaele Berlin. His last project was a further outlook of his research under the title of “The Pain…The Pursuit…” performed as part of the Weltoffenes Berlin fellowship program at Uferstudios. Akiles is now studying at the master program chorepgraphy at HZT Berlin. 

Calvin Lanz was born in Germany, but spent most his life moving from country to country. This moving around dictates the way he sees the world and interacts with its inhabitants. He stared making music at around 15, but a true passion for the medium of sound developed in the years studying Creative Music Technology at the University of Salford in Manchester/Great Britain. After completing his studies, he landed of into the world of freelance, where he discovered his talent for mastering. Additionally, he likes creating soundscapes, manufacturing worlds in an auditory sense, as well as composing beats and electronic music.

Elvan Tekin: to be a fish in a raki bottle

Choreografie & Performance: Elvan Tekin Sounddesign: Barry Despenza | Sound-Quellen: "Katschma" by Derya Yildirim & Tellavison Lichtdesign: Robert Prideaux Künstlerische Mitarbeit & Probenleitung: Magdalena Lermer

'Ich wünschte, ich wäre ein Fisch in einer Raki-Flasche' (Orhan Veli Kanik)

Die letzte Strophe des Gedichts 'Eskiler Aliyorum (dt. Ich kaufe Lumpen)' des türkischen Dichters Orhan Veli offenbart sich als metaphysische Suche; Gefühle der Verzweiflung führen zu der Fantasie, ein Fisch in einer Raki-Flasche zu sein. Der Fisch symbolisiert die Zerbrechlichkeit seiner Existenz innerhalb des Ökosystems, was auf die Ohnmacht der Völker der Türkei angesichts politischer und wirtschaftlicher Herausforderungen bezogen werden kann; die ontologische Krise des Individuums führt zur Erschaffung von Utopien und dem verzweifelten Versuch, die Realität durch dionysische Feste und Feiern zu überwinden. 

Elvan Tekin (sie/ihr) stammt aus der Türkei, lebt in Berlin/Hamburg und ist als Übersetzerin und Tänzerin tätig. Auf der Bühne arbeitete sie unter anderem mit Eyal Dadon (ORPHEUS, Thalia Theater Hamburg) und José Vidal (EMERGENZ, Kampnagel Hamburg; EMERGER, NAVE Santiago de Chile) und Edan Gorlicki (LOST BODIES-URBAN ENCOUNTERS, Inter-Actions Heidelberg). Der Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit liegt auf den sozio-politischen Dimensionen von Körpern als Form des Widerstands. Dabei interessiert sie auch die Frage, wie man Übersetzungstheorien als Werkzeug für kreatives Schaffen einsetzen kann.

 

‘I wish I were a fish in a raki bottle’ Orhan Veli Kanik

The last verse of the poem ‘Eskiler Aliyorum (tr. I buy rags)’ by the Turkish poet Orhan Veli reveals itself as a metaphysical quest; feelings of desperation leading to the fantasy of being “a fish in a raki bottle.” The fish symbolises the fragility of existence within its ecosystem which relates to the impotence of the peoples in Turkey in the face of political and economic challenges across the country; the ontological crisis faced by the individual leads to the creation of Utopia, and the frantic attempt to overcome reality through Dionysian feasts and celebrations.

Elvan Tekin (she/her) is a dance artist and translator from Turkey based in Hamburg/Berlin. As a dancer she worked among others with Eyal Dadon (ORPHEUS, Thalia Theater Hamburg), José Vidal (EMERGENZ, Kampnagel Hamburg; EMERGER, NAVE Santiago de Chile) and Edan Gorlicki(LOST BODIES-URBAN ENCOUNTERS, Inter-Actions Heidelberg). In her choreography, she focuses on socio-political dimensions of the individual body as a form of resistance, implementing and experimenting with translation theories as a tool for creation.

cobracobra (Sharon Mercado Nogales & Kiana Rezvani): Earth Beings

Konzept & Performance: cobracobra (Sharón Mercado Nogales & Kiana Rezvani) 

Musik: Jorge Villaseca | Konzept Lichtdesign: Marcelo Schmittner Umsetzung 

Lichtdesign: Robert Prideaux | Kostümassistenz: Nina Kreiner

 

Wir haben beide einen parallelen geografischen Hintergrund. Dort, wo wir herkommen, hat der Horizont keine Form, er ist eine Schlange unter der Erde, die sich bewegt und das schafft, was wir Berge nennen. Wir kamen zu der Erkenntnis, dass ihre Anwesenheit ihre Umgebung ständig verändert und umgestaltet, und auch wir tragen dieselbe Kraft in unseren Körpern. Wir fragten uns: Sind wir auch ein Berg? Seit wir in Berlin leben, spüren wir die Abwesenheit von Bergen. Durch Google Earth, Zeremonien, Fußtänze und Erinnerungsübungen gelangen wir zu einer virtuellen Geo-Choreografie, in der wir einen Verlust betrauern und eine Ausbeutung beklagen.

Kiana Rezvani ist in Teheran aufgewachsen und war froh, dass es in dieser dichten und intensiven Stadt Berge gab. Als Kind spielte sie mit den Jungen aus der Nachbarschaft Fußball und tanzte allein in ihrem Zimmer für sich selbst. Ihr künstlerisches Werk ist ein Puzzle, das aus Pixeln ihrer Biografie und einigen fehlenden Teilen besteht. Wie die Stadt, in der sie aufgewachsen ist, ist sie daran interessiert, intensive emotionale und sensationelle Erfahrungen zu schaffen. Sie ist Mitbegründerin von amigas und cobracobra collective.

Sharon Mercado Nogales studierte Tanz beim Wayruru Project La Paz und im BA-Programm am HZT Berlin. Sie ist Mitbegründerin von amigas und cobracobra collective. In ihre Arbeit bezieht sie autobiografisches Material ein, das eine Erinnerungsübung durchläuft mit dem Ziel, dekoloniale Körperpraktiken zu schaffen, indem sie das Wissen ihrer Vorfahren mit ihrer aktuellen Lebenserfahrung verbindet. Sie ist ständig bestrebt, das aktuelle kulturelle Spektrum durch den Körper auszulösen. Als Teil ihrer Forschung entwickelt sie derzeit eine Tanzpraxis namens Technocumbia.

 

We both share a parallel geographical background. Where we come from, the horizon has no form, it is a snake under the earth moving around and creating what we call mountains. We came to realize that their presence constantly shifts and transforms their environment and we carry the same force in our bodies too. We asked ourselves, are we a mountain too? Living in Berlin we felt the absence of mountains. We arrive at a virtual geo-choreography through google earth, ceremonies, foot dances and exercises of memory, grieving a loss and mourning an exploitation.

Kiana Rezvani grew up in Tehran feeling lucky for the presence of mountains in the intensity and density of that city. As a kid she was playing football with the boys in the neighbourhood and besides that, she was dancing alone in her room for herself. Her artistic work is a puzzle made from pixels of her biography and some missing pieces. Like the city she grew up in, she is interested in creating intense emotional and sensational experiences. She is co-founder of amigas and cobracobra collective.

Sharón Mercado Nogales studied dance with the Wayruru Project La Paz and at the BA program at HZT Berlin. She is co-founder of amigas and cobracobra collective. In her work she incorporates autobiographical material that goes through an exercise of memory. With the aim of creating decolonial body practices by setting the knowledge of her ancestors and her current life experience. She constantly seeks to trigger the current cultural spectrum through the body. As part of her research she is currently developing a dance practice called Technocumbia. 


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

ada Studio für zeitgenössischen Tanz

in den Uferstudios/Studio 7

Uferstraße 23

13357 Berlin

T: +49 (0) 30-218 00 507

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