Text zu „NAH DRAN extended: Deep Calls“ (11./12. Juni 2022) von Sharón Mercado Nogales, ins Deutsche übersetzt von Auro Orso

 

Last Sunday, the 12th of June, I saw "NAH DRAN extended: Deep Calls" at ada Studio - an evening with 3 pieces. 

 

LEAH MAROJEVIĆ & TEMITOPE AJOSE-CUTTING aka N.I.PS (Nuns in Paradise)

>Wet Dreams<

I entered a dark space, one body was melting on the top of the other, merging into the other, you could see some liquid around this body they both created. I was very busy trying to catch their mouths . You could hear the voice coming from one mouth to the other, calling for tenderness, receiving some seduction, claiming love and giving love. The fine line of the word desire where the intentions can easily create opposite effects. Together they move as one body, they are naked and lots of plastic fringe are tied around their neck and waist. The water around highlights the heaviness of this body, it produces some sounds revealing force and weight. They are moving only in one area as if the struggle of taking all the space will make them separate, the room becomes red and from time to time a wave of violines pass through like sirens calling the crows because there is a being on the verge of death. They eat each other, are they codependents or there is resistance towards this relation? They cry, the melancholy touches my skin and my thoughts… I keep watching and hearing this wailing. I feel something and I want to write -devastation-. Techno music takes over, shifting from their togetherness to the collectivity, they dress up and somehow they greet all of us.

 

PAULA BELLAGUARDA

>Lonely trees: Forest<

A piece of wood was placed on the floor while the video of a forest was projected on the space, the performer started to move, as if she wanted to imitate the movement of the branches and the leaves on a windy day. The different qualities of movement she was bringing helped us to see those images as a general landscape, her body in the image and the image in her body. While her movements became detailed and small, she started to focus on simple things or maybe becoming a specific thing instead of dancing in the whole landscape picture. After holding a fluid improvisation in between these two perceptions I found, she looked at us and told us a text - I think: the question of our roles as humans in nature or as part of nature, made me wonder what does it actually mean nature? - In the program I read “What are the forests that live within ourselves?” I have to think about the pain that comes to my throat when I see how the concept of Forest has been modified to serve extractive activities in the world. How hard is it to find an uncontrolled forest? For myself, sometimes they all looked uniformed. What would they say then? I don’t know, but I feel that the complexity of nature should be a constant and expanded question, that is transformed according to the contexts, our bodily experiences and our relationship with our own environment.

 

MICHAEL KADDU

>Underneath climate cracks<

The last show of the night started outside of the studio, without any call or announcement. The performer started right away with a sort of preparation for a ceremony. At that moment I became busy watching the reactions of an audience that in its majority is white, a feeling of respect settled in the space and we all became part of it. From the corner a violinist walked playing western classical music, this combination opened many thoughts I have towards the kind of decisions or aesthetics that exist in the global south where the contradiction of certain combinations shakes the usual western perception of how we need to conceive art or make art. The performer dances, a very endowed ability that allows us to receive something beyond his movements. He invites us inside and we follow, I found myself in a circle situation. He keeps on dancing on the rhythm of the music and a text is being said as a continuation of the rhythm we were following, 

 

I heard: “the see walking over the skeletons”

I think: “The latent sound of lament behind the rhythm,

The euphoric dance behind the urgency”

 

The beat of techno music takes over and the performer invites some people from the audience to dance, they join and later on the performer takes us out of the studio for the last part. The fire burned and he touched the fire as if seeking its protection. At that moment I remember seeing my aunt in that same eagerness with the smoke of tobacco around her hands and neck.

 

Am Sonntag, dem 12. Juni 2022, sah ich "NAH DRAN extended: Deep Calls" im ada Studio - einen Abend mit drei Stücken.

 

LEAH MAROJEVIĆ & TEMITOPE AJOSE-CUTTING aka N.I.PS (Nuns in Paradise)

>Wet Dreams<

Ich betrat einen dunklen Raum, ein Körper schmolz auf dem anderen, verschmolz mit dem anderen, man konnte etwas Flüssigkeit um diesen Körper sehen, den sie beide erschufen. Ich war sehr damit beschäftigt, ihre Münder zu erhaschen. Man konnte die Stimme hören, die von einem Mund zum anderen kam, die nach Zärtlichkeit verlangte, die eine Verführung empfing, die Liebe forderte und Liebe gab. Die feine Linie des Wortes Begehren, wo die Absichten leicht entgegengesetzte Wirkungen hervorrufen können. Gemeinsam bewegen sie sich als ein Körper, sie sind nackt und haben viele Plastikfransen um ihren Hals und ihre Taille gebunden. Das Wasser um sie herum unterstreicht die Schwere dieses Körpers, es erzeugt einige Geräusche, die Kraft und Gewicht verraten. Sie bewegen sich nur in einem Bereich, als ob der Kampf um den ganzen Raum sie trennen würde, der Raum wird rot und von Zeit zu Zeit geht eine Welle von Violinenklängen durch den Raum, wie Sirenen, die die Krähen rufen, weil es ein Wesen am Rande des Todes gibt. Sie fressen sich gegenseitig auf, sind sie voneinander abhängig oder gibt es Widerstand gegen diese Beziehung? Sie weinen, die Melancholie berührt meine Haut und meine Gedanken... Ich beobachte und höre immer wieder dieses Wehklagen. Ich fühle etwas und möchte -Verwüstung- schreiben. Die Techno-Musik übernimmt, sie wechseln von ihrer Zweisamkeit zur Kollektivität, sie ziehen sich an und irgendwie grüßen sie uns alle.

 

PAULA BELLAGUARDA

>Einsame Bäume: Ein Wald<

Ein Stück Holz lag auf dem Boden, während das Video eines Waldes in den Raum projiziert wurde. Die Performerin begann sich zu bewegen, als wolle sie die Bewegung der Äste und Blätter an einem windigen Tag nachahmen. Ihre unterschiedlichen Bewegungsqualitäten halfen uns, diese Bilder als eine allgemeine Landschaft zu sehen, ihren Körper im Bild und das Bild in ihrem Körper. Während ihre Bewegungen detaillierter und kleiner wurden, begann sie, sich auf einfache Dinge zu konzentrieren oder vielleicht zu einer bestimmten Sache zu werden, anstatt in dem gesamten Landschaftsbild zu tanzen. Nachdem sie eine fließende Improvisation zwischen diesen beiden Wahrnehmungen gehalten hatte, blickte sie uns an und erzählte uns einen Text - ich denke: die Frage nach unserer Rolle als Menschen in der Natur oder als Teil der Natur bringt mich zu der Frage, was es eigentlich bedeutet, Natur zu sein? - Im Programmheft las ich "Was sind die Wälder, die in uns selbst leben?" Ich muss an den Schmerz denken, der mir in der Kehle sitzt, wenn ich sehe, wie das Konzept des Waldes verändert wurde, um den extraktiven Aktivitäten in der Welt zu dienen. Wie schwer ist es, einen unkontrollierten Wald zu finden? Für mich selbst sahen sie manchmal alle uniformiert aus. Was würden sie dann sagen? Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl, dass die Komplexität der Natur eine ständige und erweiterte Frage sein sollte, die sich entsprechend den Kontexten, unseren körperlichen Erfahrungen und unserer Beziehung zu unserer eigenen Umgebung transformiert.

 

MICHAEL KADDU

>Underneath climate cracks<

Die letzte Show des Abends begann außerhalb des Studios, ohne jeden Aufruf oder Ankündigung. Der Performer begann sofort mit einer Art Vorbereitung für eine Zeremonie. In diesem Moment war ich damit beschäftigt, die Reaktionen des mehrheitlich weißen Publikums zu beobachten, ein Gefühl des Respekts ergriff den Raum und wir alle wurden Teil davon. Aus der Ecke kam eine Person, die westliche klassische Musik auf der Geige spielte. Diese Kombination eröffnete mir viele Gedanken über die Art von Entscheidungen oder Ästhetik, die im globalen Süden existieren, wo die Widersprüchlichkeit bestimmter Kombinationen die übliche westliche Wahrnehmung davon, wie wir Kunst konzipieren oder machen müssen, erschüttert. Der Performer tanzt und hat eine sehr ausgeprägte Fähigkeit, die es uns erlaubt, etwas jenseits seiner Bewegungen zu empfangen. Er lädt uns nach drinnen ein und wir folgen ihm, ich fand mich in einer kreisförmigen Situation wieder. Er tanzt weiter im Rhythmus der Musik und ein Text wird als Fortsetzung des Rhythmus, dem wir folgen, gesprochen.

 

Ich hörte: "Das Meer geht über die Skelette"

Ich denke: "Der latente Klang des Klagens hinter dem Rhythmus,

der euphorische Tanz hinter der Dringlichkeit"

 

Der Beat der Technomusik nimmt überhand und der Performer lädt einige Leute aus dem Publikum zum Tanzen ein; sie machen mit, und später nimmt der Performer uns für den letzten Teil aus dem Studio mit. Das Feuer brannte draußen und er berührte das Feuer, als ob er einen Schutz suchte. In diesem Moment erinnere ich mich, wie ich meine Tante in demselben Eifer sah, mit Tabakrauch um ihre Hände und ihren Hals.


Das ada Studio wird seit 2008 als Produktionsort von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert.


 

ada Studio für zeitgenössischen Tanz

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